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Hannes Heer, Walter Manoschek, Alexander Pollak Ruth Wodak:
Wie Geschichte gemacht wird
Zur Konstruktion von Erinnerungen an Wehrmacht und Zweiten Weltkrieg
Czernin Verlag 2003
Euro 32,00

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Das Buch wird während der Internationalen Buchmesse in Jerusalem vom 13. bis 18. Februar präsentiert.

 

 

Dokumentation zur Wehrmachts-
ausstellung bei haGalil

Zur Konstruktion von Erinnerung:
Wie Geschichte gemacht wird

Rezension von Karl Pfeifer

1995 wurde in Wien die Ausstellung "Vernichtungskrieg, Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" gezeigt, die heftige Diskussionen auslöste. Hannes Heer, Walter Manoschek, Alexander Pollak und Ruth Wodak gaben das Sammelwerk "Wie Geschichte gemacht wird" heraus.

Im ersten Teil "Wehrmacht und Weltkrieg im Gedächtnis der Kriegsgeneration" dokumentiert Walter Manoschek die verbrecherischen Befehle und wie sich diese auswirkten. Er setzt sich auch mit der Rolle der Wehrmacht beim Massenmord an Juden auseinander. Neu während der achtziger und neunziger Jahren vorgenommene historische Forschungen belegen, "dass Wehrmachtseinheiten an vielen Massakern bei der Vernichtung der europäischen Juden und an Kriegsverbrechen – insbesondere während des Ostkrieges sowie in den eroberten und besetzten Gebieten Ost-, Süd- und Südosteuropas – unmittelbar beteiligt waren und dort einen rücksichtslosen Vernichtungskrieg führten, so dass die Wehrmacht letztlich als ‚Komplize des Bösen’, und ‚stählernen Garant’ und nicht als vermeintlich unpolitischer Bereich des NS-Staates anzusehen ist".

Das Kapitel "Der Holocaust in Feldpostbriefen von Wehrmachtsangehörigen", gründet auf einer Sammlung von etwa 25.000 Feldpostbriefen. Allerdings nur etwa 120 Briefe (ca. 0,5%) enthalten Aussagen über Juden. Sie widerspiegeln den Bewusstseinstand, die Mentalität und die Tatbeteiligung von Wehrmachtssoldaten fragmentarisch. Die von der nationalsozialistischen Propaganda initiierte Gleichsetzung von "Jude = bolschewistisches System" prägte die Wahrnehmung der Soldaten im Osten. Dass die Wehrmacht in Osteuropa direkt am Judenmord beteiligt war und viele ihrer Angehörigen von dieser Propaganda beeinflusst waren, ist bekannter, als die antijüdische Haltung der Wehrmacht in anderen besetzen Ländern.

Weil die Erschießung von nichtjüdischen Geiseln in Frankreich und dem Ausland Entsetzen auslöste, entschloss sich der Militärbefehlshaber von Frankreich, General Otto von Stülpnagel, im November 1941 zur Erschießung von Juden überzugehen. Ein Obergefreiter der Feldgendarmerie kommentierte dies so: "In Paris wurden 100 Juden für ein erneutes Attentat erschossen und viele zur Zwangsarbeit nach Rußland geschafft, und eine Milliarde Gold-Francs müssen sie als Strafe zahlen. In solch einer Weltstadt treibt sich halt allerlei Verbrechergesindel umher."

Der Brief des Soldaten Sigbert M., der – wie so viele andere Wehrmachtsangehörige und sonstiges Besatzungspersonal – beim Bahntransport zur Ostfront auf dem Eisenbahnknotenpunkt Auschwitz auf seinen Weitertransport wartete und das Geschehen im KZ beobachtete, zeigt dass die industrielle Vernichtung von Juden nicht unbekannt war: "Hier oben sieht man so viele Strafgefangenenlager, die Bauarbeiten und noch so verschiedenes machen. Juden kommen hier, das heißt in Auschwitz, woöchentlich 7-8.000 an, die nach kurzem den ‚Heldentod’ sterben. Es ist doch gut, wenn man einmal in der Welt umher kommt."

Nahezu unbekannt ist, dass ab März 1944 über 20.000 Wehrmachtsangehörige als Bewacher in Konzentrationslagern eingesetzt waren. Damit stellte die Wehrmacht im letzten Kriegsjahr mehr als die Hälfte des gesamten KZ-Bewachungspersonals.

Aufschlussreich ist auch die Schilderung der "Rache- und Angstphantasien der Täter". Aus den Briefen derjenigen, die nicht selbst mordeten, "ist übereinstimmend eine implizite, meist aber sogar explizite Zustimmung zum Judenmord herauszulesen."

Walter Manoschek schildert die quantitative und qualitative Auswertung der Fragebogenuntersuchung "Österreicher im Zweiten Weltkrieg" aus dem Jahr 1982 bzw. 1993. Die in Österreich oftmals postulierte Unterscheidung zwischen "Ostmärkern" und Reichsdeutschen wird von den Daten nicht gestützt, 75,1 % gaben an, dass es keinen Unterschied gab, 14,7% bejahten Unterschiede.

Die Frage "Wer war nach Ihrer persönlichen Meinung der Hauptschuldige am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges?" wurde so beantwortet 66,3% nannten Deutschland als Hauptschuldigen, danach folgte England und die USA, und "die Juden" mit 26,4%. Mehr als ein Viertel der ehemaligen Wehrmachtssoldaten zählte "die Juden" zu den Hauptschuldigen am Zweiten Weltkrieg, wobei auffällt, dass auch hier die Gruppe der Offiziere mit 35% Zustimmung nur knapp hinter den Waffen-SS-Angehörigen (36%) liegt und der Prozentsatz bei Akademikern höher liegt (30%) als bei jenen ohne Maturaabschluss (25%). 15,4% gaben an, dass sie die Notwendigkeit des Zweiten Weltkrieges darin sahen, "weil das Weltjudentum das deutsche Volk hasste", 8,9% waren überzeugt, dass "die Deutschen als Volk von den Juden bedroht waren."

Hannes Heer befasst sich mit "Krieg und Nazizeit in den Erzählungen der Besucher der Wehrmachtsausstellung 1995 in Wien".

Der zweite Teil des Buches "Die Wehrmacht in kollektiven Gedächtnissen nach 1945" sagt viel über die Zweite Republik aus, die sich offiziell als "erstes Opfer des Nationalsozialismus" ausgab.

Günther Sandner und Walter Manoschek weisen nach wie mit dem "Kriegsopferversorgungsgesetz (KOVG) "die Krieger als Opfer" behandelt wurden. Bereits im Mai 1946 wurde im Ministerrat Konsens darüber erzielt, dass für ehemalige Angehörige der Waffen-SS im Hinblick auf das KOVG Ausnahmebestimmungen etabliert werden sollten, um in bestimmten Fällen Versorgungsleistung für ehemalige Angehörige der Waffen-SS zu ermöglichen. In Österreich wurden die Versorgungsleistungen nach dem Opferfürsorgegesetz und dem KOVG gekoppelt und so die politisch fundamentale Trennung von Täter- und Opfergruppen aufgehoben.

Auch Rosa Jochmann, ehemalige KZ-Insassin und als SPÖ-Abgeordnete jahrzehntelang unermüdliche Kämpferin für die Rechte der NS-Opfer, vertrat diesen nationalen Opferbegriff. In einer Radioansprache anlässlich einer Novellierung des Opferfürsorgegesetzes im Februar 1949, definierte sie den Opferbegriff folgendermaßen: "Opfer des Faschismus waren wir alle. Opfer war der Soldat, der draußen an der Front den Krieg in seiner furchbarsten Form erlebt hat, war die Bevölkerung, die im Hinterland voll Entsetzen auf den Kuckucksruf [Fliegeralarm K.P.] wartete, um in ihre Unterstände zu flüchten und voll Sehnsucht den Tag herbeiwünschten, der diesen Schrecken von ihr nahm. Opfer waren jene, die die Heimat verlassen mußten, um das zumeist traurige Los der Emigranten auf sich zu nehmen, und Opfer waren schließlich wir, die wir in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern wehrlos der SS angeliefert gewesen sind."

Entsprechend der von Jochmann genannten österreichischen Opferpyramide waren auch die materiellen, politischen und emotionalen Leistungen gewichtet. "An der untersten Stelle befanden sich die politisch Verfolgten und die Opfer des NS-Rassismus. Ihr Anspruch beschränkte sich auf die Gewährung staatlicher Almosen in Form von Fürsorgeleistungen, die sich an den Leistungen des KOVG orientierten. Während Waffen-SS-Angehörige, "minderbelastete" Nationalsozialisten und deren Angehörige vom KOVG erfasst wurden, blieb z.B. eine von den Nürnberger Rassengesetzen definierte Opfergruppe von den gesetzlichen Leistungen ausgeschlossen."

Alexander Pollak setzt sich als Sprachwissenschaftler mit dem Geschichtsbild der "sauberen Wehrmacht" auseinander. "Der Zweite Weltkrieg wurde als ein Ereignis konstruiert, bei dem hinsichtlich der Darstellung der Akteure eine klare Trennlinie gesetzt wurde: Auf der einen Seite die NS-Verbrechen – für die die NS-Führung und die SS verantwortlich gemacht wurden – und auf der anderen Seite der Krieg der Wehrmacht, deren Soldaten in den Mediendarstellungen bis Mitte der 1880er Jahre kaum unmittelbar mit Verbrechenshandlungen in Berührung gebracht wurden."

Sabine Loitfellner beschäftigt sich mit dem Thema "Die Wehrmacht und ihre Soldaten in österreichischen Schulbüchern" und sieht es als evident, "dass Schulbücher kaum den aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis bzw. wissenschaftlicher Debatten wiedergeben [...] Die historische Realität über die Wehrmacht, über ihre (österreichischen) Soldaten und die Rolle im NS-Vernichtungskrieg in Schulbüchern betreffend, besteht jedenfalls Handlungsbedarf, SchülerInnen mit den historischen Zusammenhänger und Fakten zu konfrontieren."

In seinem zweiten Beitrag befasst sich Pollak kritisch mit "Stalingrad" und Wehrmachtsmythos im Fernsehdokumentarfilm. Wie hier die Leiden der Zivilbevölkerung und der nazistische Vernichtungskrieg ausgeblendet werden, andererseits das Gewicht auf die Leiden der in die sowjetische Kriegsgefangenschaft geratenen Österreicher und ihre "Pflichterfüllung für die (deutsche) Heimat" betont werden, kann den leidgeprüften Konsumenten des ORF Fernsehens nicht überraschen.

Der dritte Teil des Buches beschäftigt sich mit der Rezeption der Wehrmachtsausstellungen. Die Sprachwissenschaftler Alexander Pollak und Ruth Wodak nehmen den Tatort "Wehrmachtsausstellung" unter die Lupe. Hannes Heer, stellt teilweise pro domo die Geschichte der Wehrmachtsausstellung dar, und gibt den "mitunter unsensiblen Umgang des Hamburger Instituts für Sozialforschung mit den Kritikern der Ausstellung" die Schuld für die darauf in den Medien geführte Kampagne gegen die Ausstellung. Eine eingesetzte Kommission, kam zum Schluss, "dass von den 1433 Fotografien der Ausstellung weniger als 20 Fotos nicht in eine Ausstellung über die Wehrmacht gehören." Das zeigt, wiederum, wie wichtig es ist, hochnotpeinlich die Quellen zu überprüfen und sachliche Kritik nicht einfach zu ignorieren.

Die erste Wehrmachtsausstellung war laut Heer ein Spiegel, der vier Jahre lang dem was von der deutsch-österreichischen Volksgemeinschaft übrig blieb vorgehalten wurde. "Aber der Schrecken des Vernichtungskrieges und seiner Verbrechen war zu groß.[...]. Der Spiegel wurde zerschlagen. Installationen, die mehr Schonung versprachen, traten an seiner Stelle."

Heidemarie Uhl vertritt in ihrer Arbeit über die Resonanz der Ausstellung einen anderen Standpunkt und folgert: "Festzuhalten ist, dass es der zweiten Wehrmachtsausstellung offenkundig gelungen ist, das Verstörungspotential von "Vernichtungskrieg" zu neutralisieren, die Brisanz zu entziehen und die Transferierung in einen Konsens- und Versöhnungszusammenhang zu ermöglichen, [...] Die Vorstellung der "sauberen Wehrmacht" erscheint – gerade durch die das Spannungsverhältnis beider Ausstellungskonzepte – nicht mehr darstellbar, ohne zugleich die Frage nach den Dimensionen des ‚Vernichtungskriegs’ zu stellen."

Schade, dass einige Teile des Buches, z.B. die von Heer und Wodak verfasste Einleitung in einem Stil geschrieben sind, die manchen Leser daran hindern könnten, das wertvolle Buch weiterzulesen. Wissenschaftliche Texte, kann man und sollte man so schreiben, dass auch jeder Nichtwissenschaftler sie versteht.

hagalil.com 03-02-05











 

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