Stephan Grigat (Hg.):
Feindaufklärung und Reeducation
Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus
ça ira-Verlag 2006
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Befreite Gesellschaft und Israel:
Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Zionismus
Von Stephan Grigat
erschienen in: Stephan Grigat (Hg.): Feindaufklärung und Reeducation.
Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus. Freiburg: ça ira-Verlag
2006, S. 115 - 129.
Kritische Theorie ist das Gegenteil von linker Gesinnung. Rekapituliert man,
was in den letzten vierzig Jahren so alles unter "die Linke" firmierte und
damit einen Anspruch darauf anmeldete, Teil einer umfassenden
Emanzipationsbewegung zu sein, läßt sich in der Rückschau die Tatsache, daß
die Schriften der Kritischen Theoretiker zumindest in einigen Fraktionen
dieser Linken als Pflichtlektüre galten, nur durch die selektive Wahrnehmung
der Gedanken Adornos und Horkheimers erklären.
Während
der Marxismus-Leninismus den Staat zum Garanten der Befreiung adelte und ihn
mit Vorliebe gegen "Kosmopoliten" vorgehen ließ, Anarchisten zu Freunden von
"kleinen Einheiten" mutierten, die gegen die "Superstruktur" in Anschlag
gebracht wurden, und alternative Lebensphilosophen immer neue
Verzichtsideologien auf den Markt warfen, hielt die Kritische Theorie
beharrlich an ihrem Ziel fest: die befreite Gesellschaft auf dem
höchstmöglichen Stand von Zivilisation und Luxus. Während die diversen
Fraktionen der Linken, einschließlich jener, die bei Adorno und Horkheimer
studierten, den Klassenkampf zur anbetungswürdigen und überhistorischen
Geheimwaffe der Emanzipation verklärten, sprach Adorno von der klassenlosen
Klassengesellschaft, der "Pseudomorphose der Klassengesellschaft an die
klassenlose" (1942: 391), dem zu sich selber kommen der Klassenherrschaft
durch die falsche Abschaffung der Klassen. Während die meisten
Faschismusforscher, und zwar gerade die linken, den Antisemitismus
ignorierten, als Herrschaftstechnik verharmlosten oder einfach dem Rassismus
im Allgemeinen subsumierten, hat die Kritische Theorie die materialistische
Antisemitismustheorie, das heißt: Kritik des Antisemitismus als
Gesellschaftskritik, begründet.
Während
Postmoderne und Poststrukturalisten Kritik zur Attitüde, zur
nonkonformistischsten aller Begründungen für’s Mitmachen erniedrigte, bei
der man selbst noch mit Heidegger kokettieren kann, dessen Ungeist Adorno
und die anderen fast das Leben gekostet hätte, widmete sich Kritische
Theorie der Denunziation der deutschen Ideologie und des Nachlebens des
Faschismus in der Demokratie. Und während die Studenten Ende der sechziger
Jahre in den Nachfolgestaaten des Nationalsozialismus nach einem kurzen
Erschrecken über ihre Eltern meinten, es sei eine prima Idee, dem "Volke zu
dienen" und sich von den palästinensischen Fedayin ausbilden zu lassen,
ahnten die nach Frankfurt Zurückgekehrten schon früh, wohin dieser deutsche
Aufbruch führen würde und setzten dagegen die Solidarität mit den
prospektiven Opfern. Diese Solidarität führte zwar nicht dazu, die Bedeutung
des Zionismus in vollem Ausmaß zu erfassen (vgl. Scheit 2004: 322), aber sie
implizierte ganz selbstverständlich die Solidarität mit Israel als
Zufluchtstätte für alle vom Antisemitismus Bedrohten.
Max
Horkheimer war sich bereits im Klaren darüber, daß der Antizionismus als
Platzhalter für den Antisemitismus dienen mußte und sah die diesbezüglichen
Überschneidungen zwischen staatssozialistischer und nationalsozialistischer
Propaganda. 1969 schrieb er in einem Brief an Zachariah Shuster: "In der
Nationalzeitung wird das Wort 'Juden', wie in den Zeitungen des Ostblocks,
durch 'Zionisten' (…) ersetzt." (1949-1973: 725) Wie man in einer Notiz aus
dem Jahre 1970 nachlesen kann, registrierte Horkheimer, auch wenn das in der
öffentlichen Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung kaum eine Rolle
spielte, die Verbrüderung der deutschen Linken mit der damals noch viel
unumwundener auf Vernichtung setzenden palästinensischen Nationalbewegung
(vgl. 1949-1969: 539)
In
seinen Notizen zur Situation nach dem israelischen Sinai-Feldzug stellte er
heraus, wie das Anlegen gleicher Maßstäbe in der Staatenkonkurrenz auf Grund
der ungleichen Ausgangsbedingungen zum Angriff auf Israel gerät. Er
registrierte das Desinteresse für die Aggressionen der arabischen
Regierungen und strich heraus, daß sich ein Staat wie Israel anders gegen
seine Feinde zur Wehr setzen muß als eine Weltmacht: zeitweise präventiv und
aggressiv (vgl. 1991: 243f.).
Von
Adorno weiß man zwar aus seiner Korrespondenz, daß er es mitunter ablehnte,
bei proisraelischen Veranstaltungen als öffentlicher Redner aufzutreten. Am
20. Juni 1967 schrieb er beispielsweise an Horkheimer: "Ich sollte bei einer
pro-israelischen Veranstaltung (…) als einer der Hauptredner (…) auftreten.
Ich habe das aber abgesagt, aus mehr als einem Grund. Auch in dieser Absage
weiß ich mich mit Dir einig." (Horkheimer 1949-1973: 660) Was die genauen
Gründe dafür waren, erfährt man nicht. Doch aus anderen Schriften darf man
folgern, daß solche Absagen keineswegs aus mangelnder Sympathie für den
Staat der Shoahüberlebenden zustande kamen. Am 5. Juni 1967, dem Tag des
Ausbruchs des Sechs-Tage-Krieges, schrieb Adorno an seine Wiener Freundin
Lotte Tobisch: "Wir machen uns schreckliche Sorgen wegen Israel. (…) In
einem Eck meines Bewußtseins habe ich mir immer vorgestellt, daß das auf die
Dauer nicht gut gehen wird, aber daß sich das so rasch aktualisiert, hat
mich doch völlig überrascht. Man kann nur hoffen, daß die Israelis
einstweilen immer noch militärisch den Arabern soweit überlegen sind, daß
sie die Situation halten können." (Adorno/Tobisch 2003: 197) Einen Tag
später sprach er öffentlich, als er sich zu der Ermordung des Studenten
Benno Ohnesorg in Berlin äußerte, auch von dem "Furchtbaren, das Israel, der
Heimstätte zahlloser vor dem Grauen geflüchteter Juden, droht." (zit. n.
Kraushaar 1998: 241) Zwei Jahre später war Adorno vom Niederbrüllen des
israelischen Botschafters in Frankfurt durch deutsche linke und
arabisch-nationalistische Studenten dermaßen entsetzt, daß er in einem Brief
an Herbert Marcuse gar von der Gefahr eines Umschlagens der
Studentenbewegung in Faschismus sprach (vgl. ebd.: 652).
Marcuse,
der für die regressiven Tendenzen in der Studentenbewegung sehr viel weniger
sensibilisiert war als Adorno und Horkheimer, erklärte sich mit dem
Grundmotiv der zionistischen Bewegung solidarisch: "Ich kann nicht
vergessen, daß die Juden jahrhundertelang zu den Verfolgten und
Unterdrückten gehörten, daß sechs Millionen von ihnen vor nicht allzu langer
Zeit vernichtet worden sind. Das ist eine Tatsache. Wenn endlich für diese
Menschen ein Bereich geschaffen wird, in dem sie vor Verfolgung und
Unterdrückung keine Angst mehr zu haben brauchen, so ist das ein Ziel, mit
dem ich mich identisch erklären muß." (2004: 142) In der Jerusalem Post, wo
er 1972 seine Eindrücke von einer zweiwöchigen Israelreise zusammenfaßte,
schrieb er: "Ich glaube, daß der historische Zweck der Gründung des Staates
Israel darin bestand, eine Wiederholung von Konzentrationslagern, Pogromen
und anderen Formen der Verfolgung und Diskriminierung zu verhindern. Diesen
Zweck (...) unterstütze ich voll." (ebd.: 147 f.) Er war sich auch bewußt
darüber, daß dieser Zweck nicht in Form eines UN-Reservats für Juden und
Jüdinnen oder durch andere paternalistische Maßnahmen jener Weltgemeinschaft
erreicht werden kann, die sich von der Shoah kaum beeindruck gezeigt hat:
"Unter den gegenwärtigen internationalen Bedingungen setzt die Verfolgung
dieses Zwecks die Existenz eines souveränen Staates voraus, der verfolgte
oder von Verfolgung bedrohte Juden aufnehmen und schützen kann." (ebd.)
Gleichzeitig äußerte Marcuse scharfe Kritik an der Art der israelischen
Kriegsführung, an Folterungen und an Diskriminierungen der arabischen
Bevölkerung in Israel. Die Empörung über derartiges trieb ihn soweit, daß er
in einem Interview mit einer linken us-amerikanischen Zeitung 1970 meinte,
jenen zustimmen zu müssen, "die grundsätzlich kritisch gegenüber Israel
eingestellt sind." Zugleich wies er aber die antizionistische Propaganda
solcher "grundsätzlichen" Kritiker in die Schranken, wandte sich gegen die
Mär von Israel als us-amerikanischen Brückenkopf und wies gegen die
Vorstellung von der besonderen Perfidie des israelischen Staates auf das
Wesen von Staatlichkeit im allgemeinen hin: "In all diesen Aspekten
unterscheidet sich die Gründung des jüdischen Staates nicht wesentlich von
den Ursprüngen praktisch aller Staaten in der Geschichte: der Gründung durch
Eroberung, Besetzung und Diskriminierung." (ebd.: 148)
Marcuse
brachte eine Reihe von realpolitischen Vorschlägen zur Beendigung des
permanenten Kriegszustands im Nahen Osten zu Papier, die stark von seinen
optimistischen Vorstellungen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklungen
jener Potentiale geprägt waren, die auf die allgemeine Emanzipation zielen.
Allerdings formulierte Marcuse auch eine entscheidende Einschränkung für
seine Versöhnungsvorschläge. Im Vorwort für die hebräische Ausgabe von Der
eindimensionale Mensch nennt er eine Bedingung für eine friedliche
Koexistenz von Juden und Arabern im Nahen Osten, die bis heute nicht erfüllt
ist: "Nur eine freie arabische Welt kann neben einem freien Israel
bestehen."(ebd.: 143)
Ähnlich
wie Marcuse äußerte sich auch Leo Löwenthal, der in seiner Studentenzeit in
Heidelberg Mitglied einer zionistischen Studentenorganisation war, sich
später aber enttäuscht zeigte von der israelischen Realität. Auch Löwenthal
formulierte massive Kritik an der Art und Weise der zionistischen
Siedlungspolitik und befürchtete, daß eine fehlende Aussöhnung mit der
arabischen Bevölkerung zu "bösen Konflikten, wenn nicht zu Katastrophen"
(1990: 274) führen könne, verbat sich aber gleichzeitig jeden Zweifel daran,
daß er ein Unterstützter Israels sei.
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Antiimperialismus als Feind der Emanzipation
hagalil.com
09-05-06 |