Stephan Grigat (Hg.):
Feindaufklärung und Reeducation
Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus
ça ira-Verlag 2006
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Befreite Gesellschaft und Israel:
Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Zionismus
Von Stephan Grigat
erschienen in: Stephan Grigat (Hg.): Feindaufklärung und Reeducation.
Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus. Freiburg: ça ira-Verlag
2006, S. 115 - 129.
Antiimperialismus als Feind der Emanzipation
Es ist
nicht allein das Bewußtsein über die Gefahren, denen die israelische
Gesellschaft ausgesetzt ist, welches die Kritische Theorie spätestens ab
Mitte 1967, nach der propalästinensischen Wende der deutschsprachigen
Linken, auch in diesem Punkt in einen Gegensatz zum linken Mainstream
brachte, und das sie so unangenehm aktuell macht. Insbesondere von
Horkheimer gibt es, mit allen dabei wohl kaum zu vermeidenden Übertreibungen
und partiellen Fehleinschätzungen, zahlreiche hellsichtige Äußerungen zum
Antiimperialismus. Bereits 1960, als es auf Grund der Existenz der
Sowjetunion und ihres leider völlig in Verruf geratenen
"Sozialimperialismus", bei dem versucht wurde, mittels Zivilisationsexport
Einflußsphären abzusichern, noch sehr viel mehr Anzeichen für eine
tatsächlich vorhandene Dialektik von nationaler und sozialer Befreiung gab
als heute, schrieb er in einem Brief an Hans Dollinger: "Die Souveränitat
eines Landes ist etwas anderes als die Freiheit derer, die in ihm leben."
(1949-1973:490)
Insbesondere in Horkheimers Notizen finden sich immer wieder weitsichtige
Ausführungen zu einem möglichen Bündnis zwischen Deutsch-Europa und den auf
die Vernichtung Israels abzielenden arabischen Staaten. Besonders deutlich
formulierte er seine Befürchtungen in einer längeren Notiz aus dem Jahr
1960, die den Titel Vom Sinn des Neonazismus trägt: "Um die Jahreswende
1959/60 sind in sehr vielen westlichen oder zum Westen haltenden Ländern
Synagogen und andere Gebäude mit pronationalistischen, antisemitischen
Losungen und Symbolen bedeckt worden. (…) Ich habe eine Vorstellung vom Sinn
der Aktion. Sie geht von Nasser und seinen nazistischen Beratern aus, hinter
denen mutmaßlich auch manche Gruppen in Deutschland stehen. Trotz
Wirtschaftswunder und Aufrüstung ist die Bundesrepublik allein zu schwach,
um den Traum vom Dritten Machtfaktor oder wenigstens des Züngleins an der
Waage zu verwirklichen. Nicht wenige mächtige Männer mögen deshalb einen
Sinn, ja ein Interesse an Nassers Ideen haben, das Feldgeschrei gegen
Israel, das die arabischen Völker einigen sollte, auch auf weitere Nationen
auszudehnen. (…) Der Plan ist die starke, Rußland wie Amerika gegenüber
machtvolle, dritte Gewalt darzustellen, einen faschistischen Block, der
Staaten der alten Welt mit den sogenannten unterentwickelten Völkern
zusammenfaßt." (1949-1969: 100)
Ähnliche
Befürchtungen formulierte auch Adorno. In Was bedeutet: Aufarbeitung der
Vergangenheit, ein Aufsatz, der in der universitären Linken der 60er und
70er Jahre stark rezipiert wurde, ohne das die Warnungen vor einem
regressiven trikontinentalen Antiimperialismus zu breiteren Diskussionen
geführt hätten, schreibt er: "Das faschistische Wunschbild heute verschmilzt
ohne Frage mit dem Nationalismus der sogenannten unterentwickelten Länder
(...). Einverständnis mit denen, die in der imperialistischen Konkurrenz
sich zu kurz gekommen fühlten, und selber an den Tisch wollen, drückte schon
während des Krieges in den slogans von den westlichen Plutokratien und den
proletarischen Nationen sich aus." (1959: 565)
Bei
Horkheimer heißt es 1960 in einem Brief an Oscar Gans hinsichtlich der
Zunahme offen nazistischer Manifestationen in der BRD: "Entscheidend ist,
daß die Angelegenheit nicht auf Deutschland beschränkt ist, vielmehr in ihr
eine Mächtekonstellation sich ankündigt, deren Modell Herr Nasser und die
alten Nazis in Kairo bilden. Wenn der anti-israelische Slogan bei der
Einigung der Araber seine Dienste tut, so soll (…) der antijüdische ein
Bündnis der unterentwickelten Orientalen mit anderen Teilen der Welt, die
von den Angelsachsen, wie den Kommunisten, sich emanzipieren wollen,
vorbereiten. In zukünftigen Krisen, die denen vom Ende der zwanziger Jahre
gar nicht so unähnlich zu sein brauchten, könnte es geboren werden."
(1949-1973: 458f.)
Hier
liegt die Aktualität Kritischer Theorie leider deutlich auf der Hand.
Horkheimer hat das unmenschliche Wesen des Antiimperialismus früh erkannt.
Deutschland hatte und hat mit seiner spezifischen Variante eines
antiwestlichen Antiimperialismus als Form nachholender Entwicklung, bei der
man "seine Rückständigkeit kurzerhand als Avantgardeposition nutzt und ein
antibürgerliches Kapitalverhältnis installiert, das auf dem Kurzschluß von
Ressentiment und Legalität, von Volksmobilisierung und Staat basiert"
(Nachtmann 2004b: 56) ein attraktives Modell für den trikontinentalen
Antiimperialismus geliefert, mit dessen arabischen Ausprägungen schon das
nationalsozialistische Deutschland das Bündnis gesucht und gefunden hatte.
Horkheimers Antizipation eines möglichen Bündnisses zwischen Deutsch-Europa
und den zu kurz gekommenen Staaten des Trikont, das sich zwangsläufig gegen
Israel wenden muß, ließt sich wie eine Beschreibung der Entwicklung der
letzten Jahre, bei der Deutschland, mal in Kooperation, mal in Konkurrenz zu
Frankreich seine Kontakte in die arabische Welt ausbaute, einen Art Kalten
Krieg niederer Intensität gegen die USA eröffnet hat und stets, gegen den
ausdrücklichen Willen Israels und der USA, an Arafat als Verhandlungspartner
festhielt.
Eine
Differenzierung wäre allerdings hinsichtlich der antiimperialistischen und
antikolonialistischen Bewegungen der fünfziger, sechziger und siebziger
Jahre notwendig. Man kann Ho Chi Min und Pol Pot, Fidel Castro und Idi Amin
nicht in einen Topf schmeißen. Jede Form des Antiimperialismus ist durch den
positiven Bezug auf Staat und Nation wesenhaft antiemanzipatorisch. Dennoch
lohnt es sich in Erinnerung zu rufen, daß dieser Antiimperialismus das eine
mal zur partiellen Emanzipation der Frauen, zu Alphabetisierung, sozialer
Absicherung und humanistischer Gesinnung geführt hat, während er ein anderes
mal in Völkermord, Intellektuellenverfolgung, Rassismus und Antisemitismus
seine Erfüllung fand. Ebenfalls lohnt es sich, den traditionalistischen
Antiimperialismus Leninscher Prägung mit seinem positiven Bezug auf die
Russische Revolution von jenem "Antiimperialismus des Djihadismus" (Krug
2003a: 9) zu unterscheiden, mit dem die Sowjetunion im Afghanistan der 80er
Jahre in einen blutigen Konflikt geraten ist. Bei all seiner
staatssozialistischen Borniertheit beinhaltete der traditionelle
Antiimperialismus immer auch ein Element der Befreiung, daß in den
trikontinentalen Entwicklungsdiktaturen, die sich an der Sowjetunion
orientierten, Ansätze jener emanzipativen Entwicklungen hervorgebracht hat,
gegen die sich der djihadistische Antiimperialismus wendet.
Mit dem
Wegfall des zweiten Weltmarktes der RGW-Staaten ist es allerdings vorbei mit
diesen überschießenden Elementen, und die nationale Befreiung offenbart
überall dort, wo sie in Erscheinung tritt, ihr barbarisches Wesen. Die
Unterscheidung zwischen einem leninistischen und einem djihadistischen
Antiimperialismus ist heute nahezu obsolet. Das zeigt sich unter anderem in
den weltweiten Solidaritätserklärungen linker Gruppierungen und Bewegungen
mit den islamistischen und panarabistisch-faschistischen Massenmördern im
postba’athistischen Irak und in der Fraternisierung des castristischen Kubas
oder der venezuelanischen Regierung unter Hugo Chavez mit dem islamistischen
Klerikalfaschismus im Iran.
Doch
sollte man nicht aus den Augen verlieren, daß auch die israelische
Staatsgründung in formaler Hinsicht ein antiimperialistischer und
antikolonialistischer Akt war. Das drückte sich zum einen im
linkssozialistisch-zionistischen Selbstverständnis aus, das sich zeitweise
auf antikolonialistische Theoretiker wie Frantz Fanon berief (vgl. Diner
1969: 9ff.). Zum anderen sahen auch gar nicht wenige der
antikolonialistischen Bewegungen, insbesondere in Afrika, Israel - trotz der
ökonomischem und militärischem Kalkül geschuldeten zeitweiligen
Unterstützung der israelischen Politik für die Bekämpfung
antikolonialistischer Befreiungsbewegungen - als einen erfolgreichen, und
daher vorbildhaften Fall von Entkolonialisierung. Viele dieser Bewegungen
haben, nachdem sie die Macht erobert hatten, eng mit Israel kooperiert und
in Afrika wimmelte es lange Zeit insbesondere in den links orientierten neu
gegründeten Staaten von israelischen Agrarberatern. Das änderte sich erst
1973 und hatte weniger mit dem Wesen des antikolonialistischen Kampfes als
vielmehr mit dem Druck der antisemitischen arabischen Regimes zu tun (vgl.
Meir 1975: 339ff.).
Im Jom
Kipur-Krieg bekam Israel einen Eindruck davon, wie es mit dem
emanzipatorischen Potential der weltweiten "Befreiungsbewegungen" bestellt
war. In einer Situation, als Israel sich an den Rand einer Niederlage
gedrängt sah, von der jeder wußte, daß sie die Vernichtung des Staates der
Shoahüberlebenden und der Mehrzahl seiner jüdischen Bewohner bedeutet hätte,
und die nur durch die massiven US-amerikanischen Waffenlieferungen
abgewendet werden konnte, schickten fast sämtliche "Befreiungsbewegungen"
Solidaritätsadressen an die angreifenden arabischen Staaten und wünschten
ihnen alles Gute im antiimperialistischen Feldzug gegen den zionistischen
Feind. Daß der israelische Staat diese "Befreiungsbewegungen" in der Zukunft
wie Todfeinde behandelt hat, ist nicht sehr verwunderlich.
Das
zionistische Projekt war aber nur der Form halber ein Akt nationaler
Befreiung. Daß sich die israelische Staatsgründung auch als
antikolonialistischer Kampf gegen Großbritannien behaupten mußte war mehr
oder weniger zufällig. Formal waren Ben Gurion und Wladimir Jabotinsky die
Führer nationaler Befreiungsbewegungen. Dem Wesen nach ist Israel aber
gerade die Reaktion auf den nationalen Wahn. Unabhängig vom zionistischen
Selbstverständnis ist es weniger eine antikolonialistische als vielmehr eine
Art antinationalistischer Nation. Als Staat, dessen vorrangige Aufgabe die
Verhinderung der Vernichtung ist, und der den Überlebenden des nazistischen
Mordprogramms ein Refugium gab, galt ihm bei aller Kritik im einzelnen die
Solidarität der Kritischen Theorie.
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09-05-06 |