Erinnerungen an Czernowitz:
Wo Menschen und Bücher lebten
"Czernowitz war eine Stadt voller Minderheiten; keine von ihnen war
dominant, doch alle fühlten sich irgendwie benachteiligt." Mit dieser
Charakterisierung beginnt der Althistoriker Zvi Yavetz seinen
autobiografisch unterlegten Ausflug in jene Kulturmetropole, die sich
Ukrainer, Rumänen, Deutsche, Polen und Juden teilten.
Yavetz wurde 1925 in Czernowitz geboren und verbrachte seine Kindheit
in jener Stadt, die lange als Symbol für friedliches multikulturelles
Zusammenleben stand, bis der Zweite Weltkrieg und die deutsche Besatzung
die daraus entstandene kulturelle Blüte zunichte machten.
Wenn auch das "Czernowitzer Deutsch" des Autors oft ein wenig holprig
zu lesen ist, versteht er es sowohl die Geschichte der Stadt in den 30er
und 40er Jahren anschaulich zu vermitteln, als auch seine eigene
Lebensgeschichte schlicht und doch ergreifend zu erzählen.
Der Leser lernt das Alltags- und Kulturleben, Presse, sowie
Kulturschaffenende und -förderer von Czernowitz kennen. Yavetz berichtet
dabei nüchtern vom zunehmenden Antisemitismus in der interkulturellen
Stadt, was sich sofort im Alltagsleben deutlich zeigte: "Der Sohn
unseres Nachbarn, Radu Freitag, begrüßte mich nach der Gründung der
Cuzistenregierung mit den Worten: "Guten Morgen, Saujude!""
In einem gesonderten Kapitel widmet sich Yavetz dem Czernowitzer Humor,
im Anhang finden sich außerdem zwei Aufsätze über den Einfluss des
Czernowitzer Humors auf die nicht-jüdischen Schriftsteller Georg
Drozdowski und Gregor von Rezzori und die Czernowitzer Presse als Quelle
zur Geschichte der Stadt.
1938 schloss sich Yavetz, der von der Auswanderung nach Palästina
träumte, der zionistischen Jugendbewegung Hanoar Hazioni an. Nach der
Besatzung der Bukowina durch deutsche Truppen kam Yavetz in
verschiedenen Lagern und Ghettos unter. Nach dem Tod seiner Mutter, nach
kurzem schweren Leiden im Czernowitzer Ghetto 1941, gelang ihm über die
Türkei und Zypern die Flucht nach Palästina.
Die zionistische Jugendbewegung spielte dabei die entscheidende Rolle.
Die allgemeine Lage im Dezember 1941 war verzweifelt. "Ich aber ging
nicht verloren", erinnert sich Yavetz. "Wer mir dazu verhalf, waren eben
die Mitglieder der Jugendbewegung "Hanoar Hazioni"; ihre Freundschaft,
Liebenswürdigkeit, Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft waren
grenzenlos."
Nach der Gründung des Staates Israel studierte Yavetz in Jerusalem
Geschichte, Klassische Philologie und Soziologie und promovierte
schließlich an der Hebräischen Universität.
Er folgte damit dem Testament seines Großvaters, der sich wünschte,
sein Enkel möge bei Joseph Klausner und Martin Buber an der Hebräischen
Universität studieren. Bei Buber blieb er bis zum Ende des Studiums und
promovierte bei ihm in Kultursoziologie: "Seine Seminare waren immer
hochinteressant, obwohl ich nicht alles verstand."
Im Anschluss lehrte Yavetz an der Universität Tel Aviv, aber auch in
zahlreichen Gastprofessuren in Europa und den USA, so auch in München.
Seit 1989 ist er zudem Professor am Queens College in New York. Zu
seinen zahlreichen Veröffentlichungen gehört unter anderem
"Judenfeindschaft in der Antike".
Yavetz' "Erinnerungen an Czernowitz" sind ein wundervoller Ausflug in
eine vergangene Welt, die der Autor ohne nostalgischen Kitsch
wiederaufleben lässt und zugleich in den historischen Kontext stellt.
al / hagalil.com
19-07-07 |