antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil

Newsletter abonnieren
 
 
 

 


Richard Bauer/Michael Brenner (Hg.):
Jüdisches München
Vom Mittelalter bis zur Gegenwart

C.H. Beck Verlag München 2006
Euro 19,90

Bestellen?

 

Rezension

Leseprobe:
Jüdisches München

Einleitung von Michael Brenner

Natürlich war München nie jüdisch, so wie es etwa katholisch, bayerisch oder bierselig ist. Es hatte keine so reichhaltige jüdische Geschichte aufzuweisen wie Frankfurt mit seinem jahrhundertealten Ghetto, Hamburg mit seiner spanisch-portugiesischen Judengemeinde oder Berlin, das im Mittelpunkt der jüdischen Aufklärungsbewegung stand. Von der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde in München wissen wir aus der Zeit vor ihrer Vertreibung im Jahre 1442 nur wenig. Danach gab es über drei Jahrhunderte lang nur spärliches jüdisches Leben. Selbst im 20. Jahrhundert rechneten sich nie mehr als zwei Prozent der Münchner zur jüdischen Gemeinschaft.

Dennoch gab es ein "jüdisches München" in dem Sinne, daß in den letzten beiden Jahrhunderten Menschen jüdischer Herkunft das Bild der Stadt entscheidend mitgestaltet haben. Dazu gehörten natürlich Musiker, Maler und Schriftsteller - was wäre die Musikszene ohne einen Hermann Levi (der übrigens in München 1882 die Parsifal-Uraufführung des nicht gerade als Judenfreund bekannten Richard Wagner dirigierte), was wäre der Simplicissimus ohne seinen Zeichner Thomas Theodor Heine, was die Literaturszene ohne Lion Feuchtwanger, was der Kunst- und Antiquitätenhandel ohne die Familien Bernheimer, Thannhauser oder Rosenthal? Doch sind es nicht nur die Künstler und Intellektuellen, die das "jüdische München" ausmachten. Heute ist nur noch wenigen bekannt, wie viele "ur-münchnerische" Traditionen mit den Namen jüdischer Mitmenschen eng verknüpft sind. Man denke nur an das bayerische Bier, die bayerischen Trachten, den FC Bayern München oder das Bergsteigen.

Das Schicksal so mancher Münchner Brauerei ist mit dem ihrer jüdischen Gründer, Eigentümer oder führenden Mitarbeiter verbunden. Das prominenteste Beispiel ist sicherlich Hermann Schülein, der als Generaldirektor der Löwenbräu AG vorstand, bis er in die USA flüchten mußte. Das Traditionshaus Wallach galt als das führende Trachtengeschäft Münchens: Dirndl, Lederhosen und Bauernmöbel waren bis in die dreißiger Jahre ebenso mit dem "Volkskunsthaus" dieser jüdischen Familie verbunden wie man antike Luxusmöbel mit der Galerie Bernheimer und moderne Gebrauchsgegenstände mit dem Kaufhaus Uhlfelder im Rosental verband. Der in den zwanziger Jahren als "Judenclub" verschrieene bürgerliche Verein FC Bayern München wurde von seinem jüdischen Präsidenten Kurt Landauer und seinem Trainer Richard "Littl" Dombi, der als Richard Kohn geboren wurde, zu seiner ersten Meisterschaft 1932 geführt. Unter den Mitgliedern der Münchner Sektion des Alpenvereins waren zahlreiche Juden, wie etwa Professor Gottfried Merzbacher, nach dem im "Wilden Kaiser" noch heute ein Weg benannt ist, bis der Verein bereits ab 1924 von einer antisemitischen Führung dominiert wurde.

So ist also ein gutes Stück Münchner Kultur von Juden geschaffen oder geprägt, und einem Stück jüdischer Kultur wurde umgekehrt in München der Stempel aufgedrückt. Dies war zu Beginn der Neuzeit nicht unbedingt abzusehen. Als sich im 18. Jahrhundert langsam wieder jüdisches Leben in der Stadt manifestierte, stand München noch im Schatten größerer und bedeutenderer jüdischer Gemeinden in Ortschaften wie Ichenhausen, Floß und natürlich Fürth. Noch bis 1816, als der Friedhof in der Thalkirchner Straße eingerichtet wurde, mußten die Münchner Juden ihre Toten in Kriegshaber bei Augsburg begraben. Zehn Jahre später zählte die Gemeinde bereits sechshundert Mitglieder und wuchs stetig an. Doch selbst als die Zahl der Münchner Juden seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Zuwanderung sowohl aus den fränkischen und schwäbischen Landgemeinden wie auch aus Osteuropa um ein Vielfaches zugenommen und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Rekordstand von über elftausend Mitgliedern erreicht hatte, blieben diese Zahlen nicht nur um ein Fünfzehnfaches hinter denen Berlins zurück, sondern waren auch deutlich kleiner als die der jüdischen Gemeinden in Frankfurt, Hamburg, Köln oder Breslau.

Die jüdische Geschichte Münchens läßt sich auch als eine Geschichte verpaßter Gelegenheiten erzählen. Zwei Beispiele mögen genügen. Man mag sich einmal ausmalen, was München gewonnen hätte, wäre Heinrich Heines Wunsch in Erfüllung gegangen, 1828 in München eine Professur zu erhalten. Dies wurde ihm verwehrt, nicht zuletzt unter Verweis darauf, daß er sich "unverhohlen als Jude zu erkennen" gebe, wie der Theologe Ignaz von Döllinger vermerkte. So verließ Heine nach kurzem Intermezzo München und ging schließlich nach Paris. Ohnehin fehlte ihm in der Stadt das rechte Verständnis für Humor. "Ironie haben wir nicht", läßt er die Münchner Kellnerin Nannerl in seiner Reise von München nach Genua ausrufen, "aber jedes andre Bier können Sie doch haben." Ganz ohne Humor reagierte auch die Münchner jüdische Gemeinde, als Theodor Herzl 1897 seinen ersten Zionistenkongreß an der Isar abhalten wollte. Die Vorstandsmitglieder der Kultusgemeinde waren so um ihr Ansehen als "deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens" besorgt, daß sie der Anfrage eine deutliche Absage erteilten. So kam schließlich Basel die Ehre zu, der Geburtsort des politischen Zionismus zu werden.

München war zumindest Durchgangsstation für viele prominente jüdische Zeitgenossen, die sehr unterschiedliche Abschnitte in ihrem Leben mit der Isarmetropole verbanden: Albert Einstein ging hier bis 1894 zur Schule, Lion Feuchtwanger wurde hier 1897 Bar Mitzwa, Kurt Eisner 1918 erster Ministerpräsident des Freistaats Bayern, der Dramatiker Arthur Schnitzler ließ sich 1921 in München scheiden, der Chemienobelpreisträger Richard Willstätter legte 1924 nach einem antisemitischen Zwischenfall seine Professur an der Ludwig-Maximilians-Universität nieder, der Dichter Karl Wolfskehl wurde 1933 von hier vertrieben — um nur einige wenige Namen zu nennen.

Wurde München auch nicht die Geburtsstätte des Zionismus, so immerhin doch Ausgangspunkt einer wichtigen wissenschaftlichen Bewegung. Die Erforschung der modernen Kabbala, der jüdischen Mystik, nahm hier ihren Ausgang. Grund hierfür war die Wahl Münchens als Promotionsort für den jungen Berliner Gerhard Scholem. Unter dem Namen Gershom Scholem sollte er die wissenschaftliche Erforschung der jüdischen Mystik im 20. Jahrhundert von seinem neuen Wirkungsort Jerusalem aus begründen. Daß er 1923 gerade in München promovierte, hatte einen Grund: Hier befand (und befindet) sich eine weltweit einzigartige Judaica- und Hebraica-Sammlung als Teil der Bayerischen Staatsbibliothek. Zu ihren Besonderheiten zählt nicht nur die einzige vollständige mittelalterliche Talmudhandschrift, sondern auch das wichtigste Manuskript des ersten kabbalistischen Traktats, des am Ende des 12. Jahrhunderts in der Provence redigierten Buches Bahir.

Jüdisches München. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, S. 14-17.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

hagalil.com 27-10-06











 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved

ehem. IDPS (Israeli Data Presenting Services) Kirjath haJowel, Jerusalem