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Frauengeschichten als Guckloch in die Vielfalt des heutigen Israel

Angenehm kurzweilig, informativ und bunt ist Daniela Segenreichs neues Buch über ’starke‘ Frauen in Israel. Segenreich porträtiert darin 15 durch sie interviewte Frauen. Der jeweiligen spezifischen Thematik fügt sie übersichtliche Hintergrundinformationen bei. So entstand ein Buch, in dem die Diversität der Bevölkerung und die Geschichte des Landes informativ und sehr persönlich abgebildet werden…

Von Ruth Zeifert

Ob Chaja, die Ende der 1930er Jahre aus Österreich mit Zug und Schiff in das damalige Palästina ausreisen konnte, Tsega, einer äthiopischen Jüdin, die 1984 mit einer der letzten Jugendgruppen nach Israel geflogen wurde oder M., die 2010 aus Eritrea über Äthiopien und den Sudan in den Sinai und von dort nach Israel flüchtete: Segenreich berichtet über zugereiste Frauen, die sich mit dem Land verbinden und sich für ein Leben in diesem engagieren. Auch jene jüdischen und nichtjüdischen ‚Sabres’*, die sich nicht auf Herkunftsrechten und Traditionen ausruhen, lässt Segenreich zu Wort kommen. Sie spricht beispielsweise mit einer Drusin, wie auch mit einer orthodoxen Jüdin und einer moslemischen Israelin. Es geht bei einigen um die Öffnung ihrer Vorstellungen hin zu einer moderneren Welt. Segenreich zeigt aber auch Bewahrerinnen – des Wissens und der Kultur – die durch die Mischung und die Modernität stets in Teilen verloren zu gehen drohen. Die alte Weise der ‚black hebrews‘ sei hier mit ihrem sozialen Engagement ebenso erwähnt, wie Ruth Dayan, die aus Traditionen von Migrantinnen ein Lable macht, das zu einem Markenzeichen in Israel werden sollte. Das moderne Leben, wie das der alleinerziehenden Tel Aviver Künstlerin oder das einer Jerusalemer Dragqueen gehören selbstverständlich zur gemischten Realität israelischer Frauen, die Segenreich in ihrer Vielfalt so eindrucksvoll einfängt. Die Diversität der Menschen, die in diesem Land zusammen leben ist bemerkenswert.

Es geht Segenreich, wie in der Einleitung durch ihren Mann beschrieben, um Frauen, die kämpfen, etwas erreichen und die Gesellschaft verändern. Der erste von zwei Kritikpunkten an Segenreichs Buch ist dann aber eben der, dass es durch ihre Darstellung schlicht unpolitisch ist. Die Geschichten sind so leicht und, mit ca. 10 Seiten pro Erzählung, kurz, dass der tragische Abschied der äthiopischen Jüdin von ihrer Mutter oder das Betreuen und Erziehen von vier Kindern neben einer Arbeit als Führungskraft in der israelischen Armee, wie leicht zu bewältigende, persönliche Hindernisse wirken. Die angenehm wiedergegebenen Geschichten der Frauen fokussieren fast ausschliesslich die individuellen Lebensgeschichten in einer erfolgreich rückblickenden Zusammenfassung mit zuversichtlichem Ausblick. Alle sind zufrieden, alle Querulantinnen, was Personen, die die Gesellschaft verändern in der Regel sind, haben Erfolg und bekommen dadurch irgendwie auch Recht.

Und das ist der zweite Kritikpunkt: der Erfolg macht Segenreichs Frauen zu starken Frauen und das ist weder empirisch noch emanzipatorisch korrekt oder vertretbar. Das Buch setzt auf die Botschaft, dass es nur wenige, vorbildliche starke Frauen gäbe. Möglicherweise aufgrund meiner in einem friedlichen und finanziell stabilen Land lebenden deutschen Sicht, ist dies nicht begreiflich. Alle Geschichten dieser Frauen sind lesenswert – und wären auch als stark zu bewerten, wenn sie nicht mit ‚Führung‘ verbunden wären. Denn jede nach Israel geflüchtete Frau beispielsweise hat einen Lebensweg, der mutmasslich viel Stärke erfordert: im Verlassen der Heimat, wie im Weg selbst und im Neuaufbau. Jede Soldatin, Mutter oder nicht, beschreitet einen Weg, der wahrscheinlich eine gewisse Stärke voraussetzt oder jede Beduinin lebt an Orten, an denen der schnöde Alltag mir bereits als unüberwindbar scheint. Lese ich, dass nur die erfolgreichen die starken Frauen sind, ist dies eine für mich nicht nachvollziehbare Abwertung der wohl meisten israelischen Frauen und darüber hinaus eine kapitalistische Wertung, in der Erfolg das Kriterium von Stärke ist.

Hätte Daniela Segenreich unterlassen, ihrem Buch diese gesellschaftsrelevante Bedeutung aufzuzwingen, wäre meine Bewertung wohl ausschliesslich positiv ausgefallen. Denn tatsächlich sind es Portraits, die charmant eine große Bandbreite israelischer Frauen und innerisraelischer Thematiken zeigen. Kurz und dennoch nicht oberflächlich. Es entsteht gar die einen Weitblick fördernde Gewissheit, dass es in diesem Land unzählige andere, hoch interessante Themen und persönliche Geschichten anzureissen und zu erzählen geben muss. Und das, ohne, dass die Konflikte die Leser_innen auffressen würden. Somit gehört dieses Buch meines Erachtens in jeden Koffer, in dem ein leichtes, unparteiisches und hoffnungsvolles (quasi) Sachbuch über Israel sein soll.

Daniela Segenreich: Zwischen Kamelwolle und Hightech. Starke Frauen in Israel. Vorwort von Ben Segenreich & Danielle Spera, Styria Premium 2014, 192 S., Euro 22,99, Bestellen?

* Der Begriff ‚Sabra‘ ist eigentlich Juden, die auf dem Gebiet des heutigen Israel geboren sind vorbehalten.