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Joseph Feiner – Ein jüdischer Lehrer aus Wittlich

Stationen eines bewegten Lehrerlebens…

Eine deutsch-jüdische Beziehungsgeschichte, erzählt an einem Beispiel aus Wittlich. Der 1863 in Wittlich geborene und aufgewachsene Joseph Feiner war nach seiner Ausbildung in der „Marks-Haindorf-Stiftung“ in Münster von 1884 bis zu seiner Pensionierung 1929 als Lehrer und Rektor in Sonsbeck, Finsterwalde und an verschiedenen jüdischen (Reform-)Schulen in Hamburg tätig. Von 1908 bis 1922 stand er an der Spitze des „Verbandes der jüdischen Lehrervereine im Deutschen Reiche“. Für seine Ideen trat der liberale Jude und Freimaurer in zahlreichen Artikeln und mehreren Monographien auch publizistisch ein. Zu Leben und Werk dieses bedeutenden – in Vergessenheit geratenen – Wittlichers legt Franz-Josef Schmit erstmals eine Biografie vor, die sich auch mit dem tragischen Tod Feiners und dem Schicksal seiner Familie in der nationalsozialistischen Zeit auseinandersetzt. Joseph Feiner schied am 11. März 1938 durch Suizid aus dem Leben.

Franz-Josef Schmit: Joseph Feiner – Ein jüdischer Lehrer aus Wittlich. Stationen eines bewegten Lehrerlebens, Paulinus Verlag 2011, 168 S., Euro 16,90, Bestellen?

LESEPROBE
Joseph Feiners Tod – am Ende nur noch Verzweifelung?

Joseph Feiner lebte zuletzt im gut bürgerlichen Hamburger Stadtteil Blankenese zur Untermiete bei Familie Kohn in einer am Hang gelegenen Villa. Heute erinnert dort ein „Stolperstein“ an Joseph Feiner, dessen Name schon 1934 aus dem Adressbuch der Stadt Hamburg getilgt worden war. Man darf davon ausgehen, dass Josef Feiner nach 1933 zunehmend vereinsamt ist. Ob die zweite Ehefrau Hetti überhaupt nach der Eheschließung 1920 langere Zeit bei ihm in Hamburg gelebt hat, erscheint unsicher. Viele frühere Freunde und Kollegen waren schon emigriert. Die fortschreitende Entrechtung der deutschen Juden hatte auch seine Lebenskreise immer mehr eingeschrankt. Dass dies für ihn, der sich so sehr als deutscher Staatsbürger gefühlt hat, nicht nur ein rechtliches Problem war, braucht nicht eigens ausgeführt zu werden.

Joseph Feiner mit seinen Enkelkindern

Das Schicksal seiner erwachsenen Kinder Hermann und Hertha dürfte ihm hart zugesetzt haben. Insbesondere der Suizid von Sohn Hermann (1935) war mit Sicherheit ein herber Schlag für den alleinstehenden Vater. Hertha lebte in Berlin und hatte selbst viele Sorgen, ihr Leben in der Großstadt zu organisieren, getrennt von ihren beiden Töchtern in der Schweiz. Der jüngste Sohn Erich war bereits vor 1933 emigriert. Wer konnte dem alten Mann überhaupt noch beistehen?

Mit der Einstellung der Logenarbeit hatte Joseph Feiner ein wichtiges soziales und geistiges Refugium verloren, das für ihn in früheren Jahren von tragender Bedeutung war. War Joseph Feiner 1938 völlig vereinsamt, hatte er nur noch Not, aber keinerlei Hoffnung mehr? Wir wissen es nicht. Persönliche Briefe von Joseph Feiner, die darüber Auskunft geben könnten, sind nicht erhalten. Es muss aber sehr schlimm um ihn bestellt gewesen sein. Seinen jüdischen Glauben mag er sich bewahrt haben, aber sein Glaube an die Werte der Aufklärung, der praktizierten Humanität und sein deutsches Vaterland wird in den Jahren der Nazi-Barbarei verloren gegangen sein. Viele deutsche Juden haben sich aus Verzweifelung in und nach der so genannten „Reichskristallnacht“ vom 9./10. November 1938 das Leben genommen.

Joseph Feiner ist bereits Monate vorher, nämlich am 11. März 1938, im 75. Lebensjahr stehend, aus dem Leben geschieden. Der Nachruf auf Joseph Feiner in der „Jüdischen Lehrerzeitung“ vom 1. April 1938 lässt den Leser ahnen, wie es um den Ehrenvorsitzenden des jüdischen Lehrerverbandes gestanden haben muss: Am Ende hat sich wohl die Düsternis der Zeit und des eigenen Ungemachs um die Seele des Heimgegangenen gelegt; sein Leben ist nur noch schwere Last gewesen und so kam der Tod als Freund zur rechten Stunde.

Todesanzeige in der C.V.-Zeitung

Die „Jüdische Schulzeitung“ schreibt in ihrer Mai-Ausgabe zur Beerdigung: Bei der Beerdigung Joseph Feiners sprach Oberrabbiner Dr. Italiener für die Familie und würdigte insbesondere des Heimgegangenen große Verdienste um die Hamburger jüdische Gemeinde. In zwei Wahlperioden gehörte Feiner als eifriger Vertreter von Schulfragen dem Repräsentantenkollegium und seit Jahrzehnten bis zuletzt dem Schulvorstand der jüdischen Mädchenschule an. Waisenhausdirektor Raphael Plaut dankte im Auftrag des Reichsverbandes jüdischer Lehrervereine und im Namen der Arbeitsgemeinschaft jüdischer Lehrer und Lehrerinnen in Groß-Hamburg dem Entschlafenen für all seine fruchtbare Arbeit, die er als Vorsitzender der jüdischen Lehrerschaft in Deutschland geleistet hat. Mit ihm sei ein Mann dahingegangen, der wegen seiner umfassenden Bildung, seiner rhetorischen Begabung und seiner stets lebendigen Tatbereitschaft überall eine geschätzte Persönlichkeit gewesen sei.

Beerdigt wurde Joseph Feiner in Hamburg-Ohlsdorf neben seiner ersten Frau Fanny (Feld B 9, Nr. 228). Seine Enkelin Dr. Inge Flehmig, älteste Tochter Herthas, berichtet, Joseph Feiner sei nach einem Gespräch auf der Straße, das er mit einer ehemaligen nichtjüdischen Schülerin geführt habe, als Rasseschänder denunziert worden. So weit war es also 1938 in Feiners geliebtem Hamburg und Deutschland gekommen. Aus der Akte der Polizeibehörde geht hervor, dass Josef Feiner am 11. 3. 1938 gegen 0 Uhr 30 tot in einem Lehnstuhl liegend aufgefunden wurde. Haupthahn und alle vier Hähne des Gasherdes waren geöffnet. Weiterhin ist zu lesen, dass seine Festnahme wegen „Rassenschande“ für den Tag zuvor geplant war, man ihn aber in seinem Dachgeschosszimmer nicht angetroffen habe. Lapidar heißt es dann in der Akte: Anscheinend hat Feiner von seiner bevorstehenden Festnahme Kenntnis bekommen und aus Furcht vor Strafe den Freitod gesucht. Die bitterste Zeit danach ist ihm erspart geblieben. Oder schreiben wir besser: Hat er sich selbst erspart.

Franz-Josef Schmit: Joseph Feiner – Ein jüdischer Lehrer aus Wittlich. Stationen eines bewegten Lehrerlebens, Paulinus Verlag 2011, 168 S., Euro 16,90, Bestellen?