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Das Akademische Karussell: Die Einsamkeit Israels

Stephan Grigat hat ein nachdenklich stimmendes Buch geschrieben: „Die Einsamkeit Israels“. Darin geht es, in zahlreichen kürzeren Einzelbeiträgen, um Zionismus und die Geschichte Israels, um Antisemitismus von links und von rechts und um die iranische Bedrohung Israels…

Von Samuel Salzborn
Erschienen bei: publikative.org

Eigentlich geht es aber um die Mischung aus Verzweiflung und Zorn, die die gegenwärtige Haltung vieler Intellektueller aus Politik, Kultur und Wissenschaft auslöst, wenn man diese in antizionistischer Rhetorik antisemitische Stereotype formulieren hört. Stereotype, die mit Israel, seiner Geschichte und vor allem seiner Situierung als nach wie vor einziger Demokratie im Nahen Osten, die sich seit Staatsgründung aufgrund der militärischen und terroristischen Bedrohung notgedrungen im Ausnahmezustand befindet, wenig bis nichts zu tun haben.

Kaum jemand von denen, die sich Israel als Projektionsfläche für ihre antisemitischen Ressentiments suchen, hat sich ernsthaft mit der Geschichte und Politik des Staates befasst, der nicht nur in seiner formalen Strukturierung als Demokratie ein hohes Maß an Ähnlichkeit mit den westlich-republikanischen Modellen aufweist und dabei – etwa mit Blick auf den nach wie vor nicht abgeschlossenen Verfassungsgebungsprozess, bei dem in seiner pluralen Streitbarkeit durch die Implementierung von mehreren Grundgesetzen (den basic laws) in einen zukünftigen Gesamtkorpus möglichst viele Interessen integriert werden sollen – sogar ein höheres Maß an partizipatorischen Elementen integriert, als jene; sondern auch die israelische Gesellschaft ist in einem Maß streitbar, wie dies gerade für Deutschland unvorstellbar ist, noch zumal mit Blick auf die Selbstkritikfähigkeit, wie sie in der israelischen Postzionismusdebatte zum Ausdruck kam.

Dass von palästinensischer Seite eine ähnliche Diskussion geführt würde, zum Beispiel über die mythologische Verklärung der „Nakba“ oder das irrationale Aufrechterhalten eines angeblichen Flüchtlingsstatus über mehrere Generationen, scheint eine Hoffnung, die so unvorstellbar ist, dass sie gar nicht erst formuliert wird.

Der “Jude unter den Staaten”

Israels Weg „von Krieg zu Krieg“, den Grigat beschreibt, mündet aufgrund der antisemitischen Ziele, die Terrororganisationen wie die Hamas konstitutiv verfolgen, immer wieder in einer Situation, in der die Legitimationswahrnehmung international umgedreht wird: wird Israel zwar von den Antisemiten zum „Juden unter den Staaten“ gemacht und fortwährend von islamistischen Terroristen angegriffen, wird der Akt der Selbstverteidigung medial – zumindest in der deutschen Öffentlichkeit – schnell zur Aggression umgedeutet.

Dass eine Demokratie gar keine anderen Wahl hat, als sich gegen Terrorismus zu verteidigen, noch zumal wenn die agierenden Terrororganisationen offen die antisemitische Vernichtung als ihr zentrales Ziel erklärt haben, fällt in der beschleunigten Berichterstattung deutscher Medien oft unter den Tisch – was noch schwerer wiegt, wenn man mit Grigat reflektiert, dass der von westlichen Intellektuellen vorschnell ausgerufene „Arabische Frühling“ schon längst zu einem „islamistischen Herbst“ geworden ist.

Und hier droht Israel, mehr noch als durch die verbalen Delegitimierungsversuche, die Grigat am Beispiel von Jakob Augstein und Judith Butler stellvertretend für linken Antisemitismus und mit Blick auf die ungarische Jobbik-Bewegung und die NPD exemplarisch für rechten Antisemitismus beschreibt, durchaus substanzielle Gefahr, die die internationale „Einsamkeit Israels“ so erschreckend macht: vom Iran. Die Bedrohung Israels durch den Iran und die Fehler westlicher Appeasement-Politik werden von Grigat, der einer der wenigen deutschsprachigen Iran-Experten ist, in drei Beiträgen in dem Band skizziert.

Viele der Texte von Grigat sind vorher an anderer Stelle erschienen. Es ist gut, dass sie jetzt noch einmal in einem Band zusammengetragen sind – zum einen, weil mittelfristig Artikel und Aufsätze immer schwieriger zu beschaffen sind, als Bücher, zum anderen, weil sich auch zeigt, dass der analytische Wert gerade der in Wochenzeitungen und Magazinen veröffentlichten Beiträge deutlich über die normale Halbwertzeit von Beiträgen dieses Formats hinausweist und sie langfristig für die Analyse von Antisemitismus wichtig bleiben – insbesondere des gegen Israel gerichteten Antisemitismus und gerade auch in seiner substanziellen und auf Vernichtung zielenden Bedrohung, wie sie durch den Iran manifestiert wird. Was bleibt nach der Lektüre ist die Hoffnung, dass doch noch einmal der Funke der Aufklärung einen großen Teil der intellektuellen Debatte in Deutschland ergreifen mag, der zu einer Umkehr mit Blick auf Israel führt. Eine einsame Hoffnung, fraglos. Denn dafür bedürfte es wohl zunächst einer Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, eine Fähigkeit zur radikalen Selbstkritik, deren Abstinenz durchaus eine Verbindung zur Projektionsfläche darstellt, die die Palästinenser für viele Antisemiten bieten.

Stephan Grigat: Die Einsamkeit Israels. Zionismus, die israelische Linke und die iranische Bedrohung, Hamburg: KVV konkret 2014, 181 Seiten, Bestellen?

* Samuel Salzborn ist Professor für Grundlagen der Sozialwissenschaften am Institut für Politikwissenschaft der Georg-August-Universität Göttingen. Von ihm ist in diesem Jahr erschienen: Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze, Nomos/UTB: Baden-Baden 2014.

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Auf Publikative.org schreibt Salzborn die Kolumne „Das Akademische Karussell“