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Ödipus im Kibbuz? Eran Rolnik erzählt die Geschichte der Psychoanalyse im jüdischen Palästina

Die Bedeutung der Psychoanalyse in der jüdischen Gemeinschaft in Palästina (Jischuw) und in Israel war und ist groß. Chaim Weizmann soll dem Freud-Biografen Ernest Jones von Immigranten erzählt haben, die »ohne Kleider, aber mit dem Kapital von Marx in einer Hand und mit Freuds Traumdeutung in der anderen Hand in Palästina angekommen« seien. Auch heute noch wächst die Zahl der Anwärter auf Ausbildungsplätze am Institut für Psychoanalyse in Jerusalem ständig…

Die Geschichte der Psychoanalyse im jüdischen Palästina, die Eran Rolnik uns erzählt, ist endlich auch für deutsche Leser zugänglich. David Ajchenrand hat sie aus dem Hebräischen übersetzt. Bislang unveröffentlichte Briefe Sigmund Freuds können dort in Ausschnitten erstmals nachgelesen werden.

Warum fand die Psychoanalyse schon damals in Jischuw unter Zionisten und Sozialisten so enthusiastische Anhänger? »Manchen Leser bedienten sich der Texte Freuds als Projektionsfläche«, erklärt uns Eran Rolnik, und zu diesen Lesern gehörten Zionisten und Sozialisten in besonderer Weise. Die Freudsche Theorie nach ihrer Lesart eignete sich hervorragend, um ihre ideologischen Ziele zu befördern. »Der Zionismus mag Freuds theoretische Ansichten nicht geteilt haben, aber er war stark auf sie angewiesen.« (Rolnik)

06.10., 11 Uhr: Museum Judengasse, Frankfurt am Main
(Vortrag und Diskussion mit Eran Rolnik und Micha Brumlik, moderiert von Sibylle Drews)

Freud wies Versuche, die Psychoanalyse als ›Weltanschauung‹ zu bezeichnen, wiederholt zurück und versuchte um jeden Preis zu verhindern, dass die Psychoanalyse darauf reduziert werde, allein eine Lösung für das Problem des jüdischen Volkes zu sein. Freud betrachtete den Zionismus »nüchtern«, er »glaube nicht, daß Palästina jemals ein jüdischer Staat werden kann«. Sein Selbstverständnis als Psychoanalytiker habe nichts zu tun mit seiner jüdischen Zugehörigkeit. Doch fest steht auch: Der Vater der Psychoanalyse war Jude, die Mehrheit seiner Schüler, Anhänger und Gegner waren es auch. Die Geschichte ist komplex.

Schüler, Anhänger, Gegner – nicht nur um Psychoanalyse geht es in diesem Buch, sondern auch um prominente Psychoanalytiker. Zum Beispiel von Max Eitingon erzählt Rolnik Folgendes: Freud kränkte diesen Vertrauten und bedeutendsten Förderer posthum so tief, dass Eitingon, der akribisch alles von Freud sammelte, eigenhändig den ›Schmähbrief‹ von Freud an Arnold Zweig verbrannte, dessen Gegenstand er war.

Heute nimmt der Einfluss der Lehren Freuds in Israel ab, beliebter sind traumazentrische Theorien. Die anhaltende existenzielle Bedrohung im Konflikt mit Palästina sowie die nach wie vor spürbaren Folgen der Schoah erfordern dies. Traumazentrische Erklärungsmodelle sind für Rolnik jedoch auch ein Indikator für »Israels schwindende Bereitschaft, sich kritisch mit der eigenen Rolle bei der Eskalation des israelisch-arabischen Konflikts auseinanderzusetzen.«

Dr. Eran Rolnik ist Psychiater, Psychoanalytiker und Historiker. Er lehrt an der Universität Tel Aviv und am Max Eitingon Institute for Psychoanalysis in Jerusalem und führt eine eigene Praxis in Tel Aviv.

Eran Rolnik:
Freud auf Hebräisch. Geschichte der Psychoanalyse im jüdischen Palästina
Mit einem Vorwort von Dan Diner, aus dem Hebräischen von David Ajchenrand, 285 Seiten mit 10 Abb. geb.

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