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Roman: Die radioaktive Marmelade meiner Großmutter

Über dem ganzen Buch liegt eine Traurigkeit, die, obwohl viel älter als Romy, die Heldin des Romans, die gewissermaßen als Tagebuchschreiberin auftritt, die Beziehungen zwischen ihr und ihren Großeltern bestimmt. Die haben sich in ein Reservat zwischen Verdrängung, Angst und Wut abgeschlossen, weil sie noch immer kaum glauben können, dass man ausgerechnet sie vergessen hat umzubringen…

Während sie sich lieber still verhalten, versucht sich ihre Enkelin umsomehr im Über-Leben. Und immer stärker kontrastiert die Geborgenheit und Wärme, in die sie der goldene Glanz einer Heroinspritze versetzen kann, zum kargen Schweigen ihrer Lieben und Romy muss viel tun, um ihrer Rolle als letzte Hoffnung der Zerbrochenen weiterhin gerecht zu werden.

Schon in der „Vorbemerkung“ legt sich die Autorin mit Jean Paul und seinem berühmten Satz an, der besagt: „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können„, und widerspricht: „Nach dem Holocaust ist doch wohl klar, dass die Erinnerung das Einzige ist, was uns aus dem Paradies der Gegenwart vertreibt.

Sie weiss doch, dass die Oma, nach dem Tod des Opas, niemanden mehr hat und auch sonst keine Familie. Also schluckt sie und macht allen viel Freude, bald auch völlig Fremden am Strassenstrich, denn irgendwoher muss das Heroin ja kommen und das Gefühl nicht nur gebraucht, sondern „sowas wie geliebt“ zu werden.

Manche Leute werden schon als Junkies geboren. Sie sind von klein auf süchtig. Süchtig nach Leben und Liebe. Süchtig nach Heimat oder wenigstens einem sicheren Ort„.

Ganz oft fallen Ramona Ambs Sprachschöpfungen und Analogien ein, die überraschen und beeindrucken. Aber auch ganze Philosophien finden sich zwischen den Zeilen, die man in einem Erstlingswerk nicht erwarten würde.

So wird der Leser durch die Dynamik in der Sprache der Autorin immer wieder mitgerissen, fast so, wie Romy durch Lebendigkeit versucht, die Lähmung ihrer Großeltern zu überwinden und die Fesseln der einengenden Beziehung lockern möchte.

Doch die Großmutter kocht lieber Marmelade, Pudding, alles im Vorrat, nur um beschäftigt zu sein und einen Grund zu haben, zu reden und trotzdem allen Fragen nach dem Schmerz aus dem Weg zu gehen. Es ist nicht leicht, sich von den als extrem abhängig empfundenen Großeltern zu lösen und ihrer offenen Wunde einen weiteren Riss zuzufügen.
Es bedarf einer Gleichgültigkeit, die Romys Gewissen kaum erträgt. Um ihren Schmerz zu betäuben, braucht sie immer mehr Heroin. Ihre Mutter ist bereits daran gestorben…

Mit ihrem Erstlingswerk stellt Ramona Ambs einen Roman vor, der in einer kurzen wie eindringlichen Episode aus dem Leben einer gerade 20-Jährigen, gleich drei Themenbereiche ins Zentrum rückt, die hierzulande  nicht gerne angesprochen werden, über die man grundsätzlich nicht spricht, die einfach „zu schwer“ sind oder „zu privat“. So muss sie notwendigerweise auch gegen Hemmungen, Befangen- und Verklemmtheiten anschreiben, die ebenso wenig die ihren sind, wie die Ängste der Großeltern.

Zwischen zwei Buchdeckeln auf gerade 120 Seiten, erfährt der Leser ungewöhnlich viel, aus fernen Welten, die doch so nah und gegenwärtig sind.

dg

Unbedingte Leseempfehlung:
Auf dem Weg zur Sonne
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Mit Koby Israelite nach Nashville und zurück…:
Das Akkordeon ist die neue Gitarre!
Ein Konzert, das mich schon in der ersten Minute überrascht und in die Schieflage bringt? Das passiert eher selten, also hör ich mir das mal weiter an…

Heute ist es soweit:
Multi-Instrumentalist Koby Israelite veröffentlicht am 15. März ein neues Album!
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Sonnige Grüße
Jam tikhoni veod…

Buch-Tipp:
Neuausgabe der Pessach Hagaddah
Pessach naht mit riesen Schritten! Eine wunderschöne Version der Pessach Haggada, die vergriffen und nur noch für horrende Preise gebraucht zu beziehen war, liegt nun in einer erweiterten Neuausgabe vom Verlag Hentrich & Hentrich vor…