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Die Ideologie der iranischen Islamisten

Eine neue Studie analysiert den Hass auf Israel und die Verfolgung der Bahai als zentrale Elemente der Ideologie des iranischen Regimes…

Von Stephan Grigat

Der Konflikt mit dem Iran spitzt sich immer mehr zu. Trotz der Diskussion über neue Sanktionen gegen die iranische Zentralbank und die iranischen Ölexporte arbeitet das Regime der Ajatollahs und Revolutionswächter weiterhin unbeirrt an seinem Raketen- und Atomprogramm, und eine militärische Eskalation ist keineswegs auszuschließen. Umso wichtiger ist es, sich mit der Gedankenwelt der Machthaber in Teheran auseinander zu setzen.

Wahied Wahdat-Hagh, promovierter Politikwissenschaftler aus Berlin, hat in früheren Arbeiten die institutionelle Herrschaftsstruktur des iranischen Regimes untersucht. Nun legt er den Fokus auf das ideologische Selbstverständnis der Mullahs und betont, dass die Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel ein zentraler Bestandteil der iranischen Staatsdoktrin sind und lange vor der Machtübernahme der Ajatollahs von iranischen Islamisten bereits die Zerstörung des jüdischen Staates gefordert wurde. Wahdat-Hagh ruft in Erinnerung, dass der Hass auf Israel keineswegs auf Präsident Ahmadinejad beschränkt ist, sondern auch der starke Mann im Iran, der Oberste Geistliche Führer Ali Khamenei, beständig die Vernichtung des Staates der Shoahüberlebenden propagiert, zuletzt im Oktober 2011, als er ein „Palästina vom Nil bis zum Euphrat“ forderte. Der wissenschaftliche Mitarbeiter der European Foundation for Democracy dokumentiert, dass sich hinsichtlich der Leugnung des Existenzrechts Israels so genannte Reformislamisten und Hardliner ebenso einig sind wie bei der Frage der Unterstützung von Gruppierungen wie der radikalislamistischen Hisbollah.

Wahdat-Hagh charakterisiert die Kombination aus Holocaustleugnung und Vernichtungsdrohungen gegen den jüdischen Staat als „genozidalen Antizionismus“ und verdeutlicht, dass die Leugnung und Relativierung des Holocaust auch bei den iranischen Revolutionswächtern, die das Nuklearwaffenprogramm kontrollieren, weit verbreitet ist. Er verweist darauf, dass die Propaganda des Regimes auch in der EU Verbreitung findet, beispielsweise durch den Fernsehsender Jameh Jam, der über den europäischen Satelliten Hot Bird zu empfangen ist, und durch das deutschsprachige Programm des iranischen Rundfunks IRIB. Angesichts dessen solle sich niemand „wundern, wenn der islamistische Antisemitismus auch in Europa ein immer größeres Problem wird.“

Mit der Verfolgung der Bahai rückt Wahdat-Hagh einen Aspekt des iranischen Terrors in den Vordergrund, der in der bisherigen Forschung und Berichtserstattung chronisch unterbelichtet war. Er beschreibt die Hetze islamistischer Geistlicher gegen diese sich an Humanismus und Aufklärung orientierende Religionsgemeinschaft, die beispielsweise die völlige Gleichberechtigung von Mann und Frau als gottgewollt erachtet. Khomeini hatte die Bahai schon in den 1960er Jahren als „Handlanger“ der Israelis attackiert. Nach 1979 setzten staatliche Verfolgung und systematische Diskriminierung ein. Hunderte Bahais wurden hingerichtet. Die Besetzung staatlicher Ämter ist ihnen verboten und der Besuch von Universitäten untersagt. Immer wieder kommt es zu willkürlichen Verhaftungen und Übergriffen. Wahdat-Hagh, der seine Kindheit in Teheran verbracht hat und dessen Vater 1982 auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Bahai-Religion vom iranischen Regime ermordet wurde, vergleicht die Situation der Bahai mit jener der Juden im Deutschland der 1930er Jahre und kommt zu dem Schluss, dass es das Ziel der iranischen Machthaber ist, „die Bahai-Gemeinde zu zerstören.“

Zu den instruktivsten Teilen der Studie gehören die Ausführungen über die Entstehung des modernen Islamismus im Iran des 19. Jahrhunderts, mit denen der Autor der Annahme widerspricht, die Gründung der ägyptischen Muslimbrüder in den 1920er Jahren habe am Beginn des bis heute seine Blutspur ziehenden Djihadismus gestanden. Wahdat-Hagh portraitiert den 1897 verstorbenen Jamal Al-Din Assababadi, der unter dem Namen Afghani bekannt wurde, als „Begründer des Panislamismus“ und kann überzeugend zeigen, wie stark der Einfluss iranischer Islamisten des 19. Jahrhunderts auf Hassan al-Banna, den Gründer der Muslimbrüder, gewesen ist.

Eine Besonderheit des iranischen Islamismus ist der stark ausgeprägte Messianismus, der sich im Glauben an die Wiederkehr des Mahdi, des verborgenen zwölften Imams zeigt. Insbesondere Ahmadinejad und sein langjähriger geistlicher Förderer Ajatollah Mesbahe Yasdi, aber auch Ali Larijani, der einflussreiche Vorsitzende des iranischen Pseudoparlaments und ein möglicher zukünftiger Präsidentschaftskandidat, gelten heute als besonders strikte Verfechter des Mahdismus, der eine aktive Beförderung der Wiederkehr des zwölften Imams fordert. Wahdat-Hagh sieht im apokalyptischen Messianismus einen „zentralen Bestandteil der Staatsideologie“ des iranischen Regimes und zitiert Ahmadinejad mit der Hoffnung, dass „die Regierung des Messias für die ganze Welt errichtet“ wird, was den globalen Herrschaftsanspruch des djihadistischen Islam unterstreicht. Diesen hatte Revolutionsführer Khomeini bereits 1979 verkündet, und alljährlich wird auch in europäischen Hauptstädten am so genannten Al Quds-Tag für die globale Dominanz des Islam demonstriert, für welche die „Befreiung Jerusalems“ den Auftakt bilden soll.

Wahdat-Hagh streicht die Brisanz des apokalyptischen Messianismus schiitischer Prägung vor dem Hintergrund des iranischen Strebens nach der Technologie der Massenvernichtung heraus: Das iranische Atomprogramm wird von einem Regime betrieben, „dessen Repräsentanten behaupten, dass der Frieden erst nach dem Ende der westlichen Vorherrschaft kommen könne. Überdies leben führende iranische Politiker in der Erwartung, dass der bald kommende Messias eine letzte Schlacht gegen das Böse in der Welt führen werde. Die iranische Gesellschaft wird auf diese messianistische Endzeit seit Jahren vorbereitet.“

Wahdat-Hagh betont, dass die westlichen Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran „nicht dem Wandel der Staatstrukturen, sondern ihrer Stabilisierung“ dienen. Er beschreibt die Diskreditierung von Christen, die systematische Diskriminierung und Drangsalierung von Frauen, die in der Verfassung verankerte Todesstrafe für Homosexuelle, die brutale Repression gegen Oppositionelle und die Produktion und Verbreitung antisemitischer Klassiker wie der Protokolle der Weisen von Zion oder Mein Kampf im Iran. Er analysiert den Machtzuwachs der Revolutionswächter seit der Präsidentschaft Ahmadinejads und konstatiert die Unreformierbarkeit des Systems der „Islamischen Republik“. Kaum etwas davon ist neu, aber es wurde wohl noch nie so detailreich und akribisch mit Originalquellen belegt. Die Studie macht zahlreiche persische Texte und Dokumente, aus denen ausführlich zitiert wird, für die Diskussionen im deutschsprachigen Raum zugänglich.

Wahdat-Hagh betrachtet den „khomeinistischen Islamismus“ als einen „pseudoreligiösen Totalitarismus“ und den Islamismus insgesamt als „dritte Spielart totalitärer Herrschaft“. Doch gerade dort, wo er den Vergleich mit dem nationalsozialistischen und dem realsozialistischen „Totalitarismus“ expliziert wird deutlich, dass der Totalitarismusbegriff mehr zudeckt als erhellt. Wo es gerade um das Herausarbeiten der Unterschiede ginge, wird schlecht verallgemeinert. Die Studie, der ein strukturierendes Lektorat sehr gut getan hätte, ist weniger auf Grund der fragwürdigen, mitunter widersprüchlichen Analyse des iranischen Islamismus als Variante des Totalitarismus empfehlenswert, sondern in erster Linie als umfassende Materialsammlung, die einen guten Einblick in die mörderische Ideologie des iranischen Regimes gibt.

Wahied Wahdat-Hagh: Der islamistische Totalitarismus. Über Antisemitismus, Anti-Bahaiismus, Christenverfolgung und geschlechtsspezifische Apartheid in der „Islamischen Republik Iran“. Peter Lang Verlag: Frankfurt am Main 2012, 340 Seiten, Euro 49,80, Bestellen?

Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter an der Universität Wien und Mitherausgeber von Iran im Weltsystem. Bündnisse des Regimes und Perspektiven der Freiheitsbewegung (Studienverlag 2010). Die Rezension erschien in redaktioneller Bearbeitung unter dem Titel „Die letzte Schlacht“ in Konkret, Heft 5, 2012, S. 28).