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Amani, das Hirtenmädchen

Der Jungbrunnen Verlag Wien ist ein seit 1923 bestehender Kinderbuch-Verlag, zu dessen bekanntesten Erscheinungen das grandiose „Das kleine Ich bin Ich“ gehört (das übrigens gerade in einer viersprachigen Version – Deutsch, kroatisch, serbisch und türkisch – neu erschienen ist). Qualitativ hochwertig ist das Programm, und so habe ich auch das vorliegende Buch mit großen Erwartungen in die Hand genommen…

Von Andrea Livnat

„Amani, das Hirtenmädchen“ der in Toronto lebenden Lehrerin und Bibliothekarin Anne Laurel Carter, die für ihre Kinderbücher mehrfach ausgezeichnet wurde, erzählt die Geschichte eines palästinensischen Mädchens. Amani will in die Fußstapfen ihres Großvaters steigen und Schafhirtin werden. Gegen den Widerstand ihres Vaters kann sie sich durchsetzen und lernt vom Großvater, die Herde verantwortungsvoll zu führen. Sie geht nicht in die Schule, sondern wird zuhause unterrichtet. Die Tage verbringt sie mit dem Großvater unter freiem Himmel. Nach dessen Tod führt sie die Herde erfolgreich alleine.

Das ruhige Leben in dem kleinen Dorf beginnt sich durch den Bau einer Siedlerautobahn zu verändern. Zuerst ist es die Straße, daraufhin folgen Planierraupen und schließlich wird am Berg des Großvaters, an dessen Abhängen Amanis Schafe weiden, eine jüdische Siedlung gebaut.

Doch auch innerhalb der palästinensischen Gesellschaft werden Umbrüche sichtbar. Amanis Bruder geht nach Ramallah zum Studium. Amani lernt über die Vergangenheit ihrer Familie und das schwierige Zusammenleben der unterschiedlichen Familienzweige, das ihr bisher so selbstverständlich erschien.

So weit so gut, ein sehr schönes Buch, denke ich beim Lesen, eine einfühlsame Geschichte über das Leben in der Westbank durch die Augen eines Mädchens, die auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt ist. Mit dem unangenehmen Gefühl im Bauch, wie es wohl enden wird. Und tatsächlich, die Lage eskaliert und damit auch das Gleichgewicht im Buch.

Die Autorin habe seit 1971 immer wieder Israel besucht, dort in Kibbuzim gearbeitet, Hebräisch studiert und ich Ramallah unterrichtet. Während der Recherchen zum Roman habe sie bei verschiedenen palästinensischen Familien gelebt. Authentisch ist das Buch also, wird dem Leser dadurch versichert. „Der Konflikt um die israelische Siedlungspolitik in Palästina – in vielen Facetten, ohne zu beschönigen, ohne pauschal zu verurteilen“, heißt es im Klappentext.

Das kann das Buch auf jeden Fall nicht halten. Dass die Siedler, die schließlich den Berg in Beschlag nehmen und Stacheldraht aufziehen, die Olivenernte stören, ist nicht an den Haaren herbeigezogen. Alljährlich gibt es diese Zwischenfälle in der Westbank. Dass sie Amanis Haus abreißen wollen, ihr Hirtenhund erschossen, ihre Schafe vergiftet und der Vater verhaftet werden, das also schließlich die gesamte Existenz der so friedfertigen Familie bedroht wird, ist zwar nicht beschönigt, aber es gibt eine klare Verpauschalierung.

Die Gewaltbereitschaft und den Fanatismus der Siedler möchte ich keineswegs herunterspielen oder beschönigen. Nur fehlt es an den Facetten auf der anderen Seite. Es ist zwar ab und an die Rede davon, dass es auch andere Möglichkeiten des Widerstandes gibt, keiner ergreift sie jedoch. Nicht nur in Amanis Familie sind alle friedfertig, auch ansonsten wird das Thema der Gewalt von palästinensischer Seite nur durch kurze Hinweise auf Nachrichten im Fernsehen am Rande erwähnt.

Gute Juden bzw. gute Israelis tauchen auch auf, das schon. In Form eines Siedlerjungen, den Amani auf ihren Streifzügen mit der Herde kennenlernt und der die Lebensweise seines Vaters ablehnt und am Ende zurück nach New York geht. Und in Form eines Rabbiners, der sich für die Rechte der Palästinenser engagiert und von Amani um Hilfe gebeten wird, nachdem ihr Vater verhaftet wurde. Ansonsten ist das Muster einfach, auf der einen Seite friedliebende Palästinenser, die das Land, den Boden, die Natur lieben, gewalttätige religiös fanatische Juden auf der anderen.

Schade, denn der überwiegende Teil des Buches, empfohlen im Übrigen ab 13 Jahren, ist durchaus gelungen. Noch während ich die letzten Kapitel des Buches las, ereignete sich in der Siedlung Itamar nahe Nablus ein schrecklicher Terrorakt. Palästinenser drangen nachts in das Haus einer jüdischen Familie ein und ermordeten Vater, Mutter und drei Kinder, darunter ein drei Monate altes Baby, dem sie wie den übrigen Opfern die Kehle durchschnitten. Drei weitere Kinder überlebten das Massaker unentdeckt im Nebenzimmer. Es hätte kein so radikales Beispiel gebraucht, um auch diese Seite des Konfliktes darzustellen.

Anne Laurel Carter: Amani, das Hirtenmädchen, Jungbrunnen Verlag Wien 2011, Euro 13,90, Bestellen?