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Sozialpsychologie: Zur Generationengeschichte des Nationalsozialismus

Charakteristisch für nahezu das gesamte Feld der sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit Rechtsextremismus in der Bundesrepublik ist, dass rechtsextreme Orientierungen von Jugendlichen aus der Enkelgeneration bisher nicht in Verbindung mit dem Nationalsozialismus ihrer Großeltern und der Familiengeschichte gebracht werden oder eine solche Verbindung verneint wird…

Jan Lohl

Einleitung zu Gefühlserbschaft und Rechtsextremismus, einer sozialpsychologische Studie zur Generationengeschichte des Nationalsozialismus

Der Soziologe und Politikwissenschaftler Klaus Schröder vertritt in seiner Rechtsextremismusstudie folgende Position: Es lassen »sich rechtsextremistische Einstellungen und Verhaltensweisen keineswegs allein aus der angeblich nicht bewältigten (nationalsozialistischen) Vergangenheit Deutschlands erklären« (Schröder 2004, S. 25). Sicherlich lässt sich Rechtsextremismus nicht allein aus den Nachwirkungen des Nationalsozialismus herleiten. Diese Annahme wird in keiner der mir bekannten wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema »Rechtsextremismus in Deutschland« vertreten; eine derart eindimensionale Position scheint es überhaupt nicht zu geben. Schröder schildert im Weiteren den erinnerungskulturellen, politischen und juristischen Umgang mit der NS-Vergangenheit in den nachnationalsozialistischen Jahrzehnten, ohne diesen jedoch in ein Verhältnis zu dem von ihm untersuchten Rechtsextremismus zu setzen. Ob sich also Rechtsextremismus, neben anderen Einflussfaktoren, wenn nicht allein, so doch auch aus einer Verbindung mit der NS-Vergangenheit speist, wird von Schröder indirekt thematisiert, jedoch als These nicht weiter verfolgt.

Charakteristisch für nahezu das gesamte Feld der sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit Rechtsextremismus in der Bundesrepublik ist, dass rechtsextreme Orientierungen von Jugendlichen aus der Enkelgeneration bisher nicht in Verbindung mit dem Nationalsozialismus ihrer Großeltern und der Familiengeschichte gebracht werden oder eine solche Verbindung verneint wird. So haben beispielsweise nach  Heitmeyer rechtsextreme Jugendliche »keine lebensbiographischen Kontinuitätsbezüge (allenfalls in Einzelfällen über Eltern, Großeltern hinweg) zum historischen Faschismus« (Heitmeyer 1987, S. 210). Dies ist deshalb bemerkenswert, weil Heitmeyer diese Annahme in seiner Studie nicht überprüft und seine Forschungsmethoden auch nicht die im weiteren Verlauf dieser Arbeit beschriebenen transgenerationellen Identifizierungsprozesse erfassen können.

Klärner und Kohlstruck beginnen die Einleitung des von ihnen herausgegebenen Sammelbandes zum sogenannten modernen Rechtsextremismus mit dem Hinweis, dass es Rechtsextremismus ohne Nazis geben könne. Dennoch sei »eine Problemsicht vorherrschend«, die sich durch den zeitgenössischen Rechtsextremismus an den historischen Nationalsozialismus erinnert fühle und Interventionen »aus der Geschichte begründete «. Dies münde in einen »kategorischen Imperativ des »Nie wieder!« und ein Primat der Verhinderung (Klärner/Kohlstruck 2006, S. 7): »Der Rechtsextremismus wird im Horizont einer Gefahrenabwehr behandelt«, die aus einer nach Klärner und Kohlstruck für die alte Bundesrepublik geltenden Verschränkung von »Vergangenheitsbewältigung und Behandlung des Rechtsextremismus« hervorgehe (ebd., S. 8).

Legen die Autoren implizit nahe, dass diese Verschränkung mit der deutschen Vereinigung, der neuen Bundesrepublik und dem modernen Rechtsextremismus ungültig geworden und daher auch von der Forschung aufzubrechen sei? Bemerkenswert wäre dies auch deshalb, weil sich in dem Sammelband von Klärner und Kohlstruck ein Aufsatz der Biografieforscherin Michaela Köttig findet, die qualitative Interviews mit rechtsextrem orientierten Mädchen und jungen Frauen aus der dritten Generation1 geführt hat und während ihrer Forschungsarbeit auf massive intergenerationelle Bezüge und Dynamiken gestoßen ist: Köttig weist nach, dass »die Ereignisse der Familienvergangenheit als zentrale Bedingung für die rechtsextreme Orientierung« anzusehen sind (Köttig 2004, S. 18; vgl. Decker et al. 2008, S. 377, 461). Ohne Berücksichtung der »Familienvergangenheit« sei – so lautet Köttigs zentrales Forschungsergebnis – die konkrete rechtsextreme Aktivität ihrer Interviewpartnerinnen nicht voll zu verstehen: Die Hinwendung zu der rechtsextremen Szene und die Selbstverortung in ihr verläuft als Prozess, »der sich im wechselseitigen Zusammenwirken schwieriger biographischer, ›unbearbeiteter‹ familiengeschichtlicher Themen und stützender sozialer Rahmenbedingungen vollzieht« (Köttig 2006, S. 265).

Köttig kann die erhebliche Bedeutung von Angehörigen der ersten Generation und der intergenerationellen Prozesse für die Entwicklung rechtsextremer Orientierungs- und Handlungsmuster in der dritten Generation herausarbeiten. In ihrer Studie erforscht sie, wie sich rechtsextreme Jugendliche auf intergenerationell Übertragenes und auf den familiären Umgang mit der NS-Vergangenheit beziehen, ohne jedoch die Übertragung selbst zu untersuchen. Da Köttig weder ein theoretisches Konzept der intergenerationellen Weitergabe verwendet, noch einen drei Generationen umfassenden Prozess untersucht, fordert sie in ihrem Ausblick mit Nachdruck eine entsprechende Erforschung des Rechtsextremismus: »Vor allem im Hinblick auf Transformationen familiengeschichtlicher Ereignisse und die Wirksamkeit von tradierten Erfahrungen in den Generationen wären mehr und detailliertere Erkenntnisse zu erwarten. Mit anderen Worten: Die Erforschung des gegenwärtigen Rechtsextremismus kann sich nicht auf die Beobachtung einer Generation beschränken, sondern sollte auch den intergenerationellen Zusammenhang berücksichtigen« (Köttig 2004, S. 381; vgl. Schiebel 1992).

Die von Köttig geforderte Untersuchung des aktuellen Rechtsextremismus aus einer intergenerationellen Perspektive liegt bisher nicht vor, was allerdings nicht nur ein Defizit der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem aktuellen Rechtsextremismus ist. Auch in der Generationenforschung fehlen ausführliche wissenschaftliche Studien, die den intergenerationellen Folgewirkungen des Nationalsozialismus auf der »Täterseite« bis in die dritte Generation hinein nachspüren sowie die Dynamik und Struktur einer »Gefühlserbschaft« (Freud) der Enkel von NS-Tätern und Mitläufern untersuchen.

Generationenübergreifende Nachwirkungen des Nationalsozialismus wurden zuerst bei den Nachkommen von Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung untersucht: Als die Kinder der Opfer in psychoanalytische Behandlung kamen, litten sie unter Symptomen, die von Menschen bekannt waren, die die Grausamkeit und Unmenschlichkeit der Nazi-Verfolgung am eigenen Leib erfahren mussten. Die während der Verfolgung und im Lager erlittenen Traumata, die durch eine vielerorts fehlende gesellschaftliche Anerkennung oftmals nachträglich noch verstärkt wurden, drangen in das Leben der nachgeborenen Generationen ein und entfalteten hier eine konkretistische psychische Wirkung: »The children of survivors show symptoms that would be expected if they actually lived through the Holocaust« (Barocas/Barocas 1979, S. 331; vgl. exempl. M. Bergmann/Jucovy/Kestenberg 1982; Grubrich- Simitis 1979; Grünberg 2000; Kogan 1995). Kinder von Überlebenden fungieren in ihren Familien aufgrund besonderer intergenerationeller Mechanismen vielfach als Ersatz für ermordete Familienangehörige und Liebesobjekte oder sollen durch ihr Leben, ihre Ziele und Leistungen die seelischen Verletzungen ihrer Eltern heilen und deren psychische Integrität stellvertretend wiederherstellen.

Inzwischen finden sich auch wissenschaftliche Nachweise für solche spezifischen generationenübergreifenden Folgewirkungen des Nationalsozialismus bei Kindern und Enkeln von NS-Tätern und Mitläufern, die im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses meiner Arbeit stehen. Untersucht wurden aus einer generationengeschichtlichen Perspektive zum Beispiel der Einfluss eines Hörigkeitsverhältnisses gegenüber Hitler als nationalsozialistischem Massenführer auf die Ichideal- und Über-Ich- Bildung in der Generationenfolge oder der Stellenwert von Schuld und ihrer Abwehr im intergenerationellen Prozess oder die Weitergabe und Erbschaft von Identifizierungen, Abwehrmechanismen und Affektdynamiken. Gegenstand der Forschung ist zudem der familiäre Dialog über die Nazi-Zeit, wobei die Untersuchung der generationenübergreifenden Auswirkungen des Verschweigens schuldbesetzter Aspekte der eigenen Vergangenheit ebenso einen prominenten Platz einnimmt wie die Erforschung der intergenerationellen Dynamik von nicht-erzählten (groß-) elterlichen Geschichten über das Leben unter dem Hakenkreuz.

Die Beschäftigung mit den intergenerationellen Folgewirkungen des Nationalsozialismus auf der »Täterseite« ist ein junges Forschungsfeld, dessen Bearbeitung schleppend in Gang gekommen ist (vgl. Chr. Schneider 1998, S. 33f.; vgl. Bohleber 1990, S. 74; 1997a, S. 958). Nach den klinischen Pionierarbeiten von Rosenkötter (1979, 1981), Simenauer (1978, 1982), Hardtmann (1982) und Coleman (1982) Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre fand eine sozialwissenschaftliche Erforschung des Themas erst Ende der 1980er, verstärkt ab Mitte der 1990er Jahre statt (exempl. Bar-On 1989; Koch-Wagner 2001; Rommelspacher 1995; Rosenthal 1997; Connie Schneider 2004; Chr. Schneider/Stillke/Leineweber 1996, 2000). Bar-On konstatierte noch 2001, dass es »verhältnismäßig wenig Literatur zum Thema der generationenübergreifenden Folgen bei Nachkommen von NS-Tätern« und Mitläufern gibt (Bar-On 2001, S. 287). Insbesondere fehlen generationengeschichtliche Untersuchungen, die die sogenannte Enkelgeneration einbeziehen und nach ihrem Verhältnis nicht nur zur Großelterngeneration fragen, sondern vor allem zur Elterngeneration, die eine nationalsozialistische Gefühlserbschaft generationenspezifisch weitergibt und daher eine »Schlüsselposition« (Bohleber) inne hat. Meines Wissens liegen bislang keine umfangreicheren wissenschaftlichen Arbeiten vor, die die Entstehung und die Erscheinung einer NS-Gefühlserbschaft bei Angehörigen der jüngeren Generation in ihrer über drei Generationen vermittelten Dynamik zum zentralen Forschungsgegenstand machen. Am ehesten sind diesbezüglich einige wenige Artikel (Chr. Schneider 1998, 2001, 2004; Bohleber 1994a; Ebrecht 2003a und b) sowie eine kleine transgenerationelle Motivstudie zu nennen, die sich bei Schneider, Stillke und Leineweber findet (1996, S. 337–376). Untersuchungen zum Umgang mit der überpersönlichen und familialen NS-Vergangenheit, die – wenn auch nicht aus einer generationengeschichtlichen Perspektive – ausdrücklich auf die Enkelgeneration bezogen sind oder die Enkelgeneration mit berücksichtigen, liegen allerdings vor (exempl. Brendler 1997; Hardtmann 1997; Rosenthal 1997; Connie Schneider 2004; Chr. Schneider/Stillke/ Leineweber 1996; Welzer et al. 2002). Jedoch gibt es bislang kaum Untersuchungen, die systematisch danach fragen, »welche Handlungsrelevanz die generationelle Weitergabe unbewusster Inhalte mit sich bringen kann« (Jureit 2006, S. 72). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang erneut auf fehlende wissenschaftliche Arbeiten, die den aktuellen Rechtsextremismus aus einer intergenerationellen Perspektive erforschen. Sowohl in der sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit Rechtsextremismus als auch in der Forschung zu den generationenübergreifenden Folgewirkungen des Nationalsozialismus auf der »Täterseite« wird bislang das Verhältnis von Intergenerationalität und Rechtsextremismus nicht systematisch untersucht.

Vor dem Hintergrund dieses Forschungsstandes möchte ich in meiner Arbeit2 zunächst Erkenntnisse zu NS-Gefühlserbschaften in der zweiten und dritten Generation gewinnen und ausgehend von dieser Basis die Bedeutung einer solchen Erbschaft für den aktuellen jugendlichen Rechtsextremismus sozialpsychologisch untersuchen. Präziser geht es in der vorliegenden Arbeit um die folgenden Fragestellungen:

Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht die Entwicklung eines theoretischen Konzepts, anhand dessen sich der anvisierte drei Generationen umfassende intergenerationelle Prozess in seinen Tiefenstrukturen und Erscheinungsweisen verstehen lässt. Versuche der theoretischen Verarbeitung der generationenübergreifenden Folgewirkungen des Nationalsozialismus liegen bislang lediglich in verstreuten Ansätzen und vereinzelten wissenschaftlichen Arbeiten vor. So betont Jureit noch im Jahr 2006, dass psychoanalytisch orientierte Generationenforschung den Vorgang der intergenerationellen Nachwirkungen des Nationalsozialismus »zwar in zahlreichen Einzelstudien und Fallanalysen beschrieben und interpretiert hat, systematisch durchgearbeitet im Sinne einer psychoanalytischen Generationentheorie wurde er hingegen lange Zeit nicht« (Jureit 2006, S. 72). Ich werde mich daher in meiner Arbeit ausführlich mit einschlägigen Ansätzen, Einzelfallanalysen und empirischen Studien auseinandersetzen und die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung in einer theoretischen Konzeptualisierung eines drei Generationen umfassenden intergenerationellen Prozesses zusammenführen. Einer solchen Konzeptualisierung hat sich die Generationenforschung bislang ebenso wenig zugewandt wie dem Versuch, den generationenübergreifenden Folgewirkungen des nationalsozialistischen kollektiven Narzissmus nachzuforschen. Um diesen Prozess theoretisch zu untersuchen, ist eine psychoanalytische Orientierung inhaltlich notwendig: Nur die Psychoanalyse als Theorie des psychischen Konflikts und des Unbewussten ermöglicht differenzierte Einsichten in die Tiefendimension des Verlaufs von transgenerationellen Identifizierungen über die Generationen hinweg.

Die Beschäftigung mit den generationenübergreifenden Folgewirkungen des Nationalsozialismus auf der »Täterseite« und ihren psychischen Funktionsweisen beansprucht auch deshalb den größten Raum in meiner Arbeit, weil eine der beiden erkenntnisleitenden Fragestellungen auf diese zielt: »Im Hinblick auf die theoretischen Annahmen einer psychoanalytischen Generationentheorie geht es […] darum zu gewichten, welche Handlungsrelevanz die generationelle Weitergabe unbewusster Inhalte mit sich bringen kann. Dafür ist es unerlässlich, sich den Mechanismus der intergenerationellen Übertragung detailliert zu vergegenwärtigen« (ebd., S. 72). Ohne genaue Kenntnis dieses intergenerationellen Mechanismus können weder Einsichten in die generationenspezifische Dynamik, Struktur und Erscheinungsweise von NS-Gefühlserbschaften in der zweiten und dritten Generation gewonnen werden, noch Erkenntnisse über ihren Einfluss auf das Fühlen, Handeln und Denken der Nachgeborenen: Die Untersuchung des Verhältnisses von Rechtsextremismus und Intergenerationalität in der dritten Generation setzt daher eine exakte und differenzierte theoretische Auseinandersetzung mit einem drei Generationen umfassenden intergenerationellen Prozess voraus, der der gebührende Raum zu geben ist.

Das folgende Kapitel 2 beschäftigt sich mit einem Grundphänomen, auf das ich im weiteren Verlauf meiner Arbeit immer wieder zurückkomme. Thematisiert wird die individuelle Bezugnahme auf die Nation aus psychoanalytischer und gesellschaftstheoretischer Perspektive und es wird nach dem Verhältnis von Nationalgefühl und Nationalismus gefragt. Unumgänglich ist die Beschäftigung mit diesen Phänomenen, da ich in dieser Arbeit analysiere, wie der nationalsozialistische kollektive Narzissmus über die Generationengrenzen hinweg fortwirkt und möglicherweise in jenem Nationalismus wieder auftaucht, den rechtsextreme Jugendliche vertreten und ausagieren.

In den folgenden drei Kapiteln erforsche ich den im Mittelpunkt dieser Arbeit stehenden, drei Generationen umfassenden intergenerationellen Prozess und thematisiere die Bedingungen der Entwicklung von NS-Gefühlserbschaften, ihre psychische Dynamik, Struktur und Erscheinungsweise bei Angehörigen der beiden nachgeborenen Generationen. In Kapitel 3 geht es zunächst darum, den Ausgangspunkt der Entwicklung von NS-Gefühlserbschaften zu untersuchen: Wie sind Täter und Mitläufer des Nationalsozialismus nach 1945 mit ihrer affektiven Integration in die NS-»Volksgemeinschaft« und mit ihrem kollektiven Narzissmus umgegangen?

In dem sich inhaltlich unmittelbar anschließenden Kapitel 4 erforsche ich, inwieweit dieser Umgang die Beziehung von ehemaligen »Volksgenossen « zu ihren Kindern beeinflusst hat. Untersucht werden hier die psychischen Mechanismen von intergenerationellen Prozessen, ihre Auswirkungen auf die infantile psychische Strukturbildung und Dynamik sowie auf die Wahrnehmung der eigenen Eltern und ihrer Geschichte. Ziel dieses Kapitels ist es zunächst, Erkenntnisse über die Entwicklung und die Wirkungsmacht von Gefühlserbschaften bei Angehörigen der zweiten Generation zu gewinnen. Von besonderer Relevanz ist dies, da so zum einen die Mechanismen der intergenerationellen Übertragung offengelegt werden und zum anderen ein Verständnis für die Dynamik, Gestalt und Erscheinungsweise einer NS-Gefühlserbschaft in der zweiten Generation erarbeitet wird. Ohne dieses Verständnis kann eine generationengeschichtliche (diachrone) Untersuchung von Gefühlserbschaften in der dritten Generation nicht vorgenommen werden. Diese Untersuchung führe ich in Kapitel 5 durch und thematisiere besonders jene Beziehung von Angehörigen der zweiten Generation zu ihren Kindern, die sich auf der Basis ihrer NS-Gefühlserbschaft bildet. Gezeigt werden soll, dass sich ein drei Generationen umfassender intergenerationeller Prozess nicht als ein lineares und eindimensionales Phänomen verstehen lässt. Dieser Prozess muss als ein generationell gebrochener Vorgang begriffen werden, aus dem die generationenspezifische Entwicklung einer Gefühlserbschaft in der dritten Generation hervorgeht. Dieses fünfte Kapitel ist im Gesamtkontext meiner Arbeit wichtig, da es das Fundament bildet, von dem aus sich nach dem Verhältnis von Intergenerationalität und Rechtsextremismus fragen lässt.

In Kapitel 6 gehe ich dieser Frage nach und entfalte die These, dass das (intergenerationelle) Verhältnis des aktuellen Rechtsextremismus zu dem historischen Nationalsozialismus nicht nur zu erklären ist, sondern selbst ein Erklärungsfaktor der Entwicklung rechtsextremer Orientierungs- und Handlungsmuster.

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