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Simon Wiesenthal: Nazi-Jäger aus schlechtem Gewissen

Simon Wiesenthal überlebte im Zweiten Weltkrieg fünf Konzentrationslager. Nach seiner Befreiung wurde er zu einem der bekanntesten Nazi-Jäger, dennoch gehörten Juden zu seinen erbittertsten Feinden. Tom Segevs Biograhpie erzählt dieses widersprüchliche Leben…

Besprochen von Igal Avidan, dradio.de
Tom Segev: „Simon Wiesenthal. Eine Biographie“

Die erste vollständige Lebensbeschreibung des jüdischen Überlebenden und Nazi-Jägers Simon Wiesenthal beweist, dass er nicht nur Mossad-Agent war, sondern bereits 1948 an einer gescheiterten Entführung Adolf Eichmanns beteiligt war. Dass er ausgerechnet von einem Deutschen gerettet wurde, plagte ihn lebenslang.

Er war der bekannteste Nazi-Jäger, aber genauso entlarvte er jüdische Kollaborateure. Er lebte unter ehemaligen Nazis in Österreich, seine bittersten Feinde jedoch waren Juden; er war mit Albert Speer befreundet und verteidigte Kurt Waldheim gegen heftigste Angriffe des World Jewish Congress, was ihn wohl den Friedensnobelpreis kostete. Simon Wiesenthal war berühmt und umstritten, aber einsam und selten glücklich, wie Tom Segev in seinem neuen Buch „Simon Wiesenthal: Die Biographie“ eindrücklich und spannend erzählt.

Simon Wiesenthal wurde 1908 in der Kleinstadt Buczacz in Ostgalizien geboren. Er überlebte den ersten Weltkrieg, einen Übergriff ukrainischer Reiterverbände und im Zweiten Weltkrieg fünf Konzentrationslager. Nur wenige Tage nach seiner Befreiung aus dem KZ-Mauthausen begann er trotz schlechter Gesundheit, mutmaßliche Nazi-Verbrecher zu jagen – zuerst im Auftrag der amerikanischen Soldaten und später allein.
Insgesamt überführte er rund 1100 von ihnen an die Justiz, aber nur wenige wurden mit harten Strafen belegt. Nach Eichmanns Festnahme 1960 wurde Wiesenthal international bekannt und kämpfte für die Erinnerung an die Toten und gegen die Leugnung des Holocaust, den er als eine menschliche und nicht nur jüdische Tragödie betrachtete. Diese Haltung brachte ihm viele Feinde im jüdisch-amerikanischen Establishment ein. Wiesenthal starb 2005 in Wien.

Der renommierte israelische Historiker und Journalist Tom Segev hat jetzt die erste umfassende Lebensgeschichte Wiesensthals geschrieben und beleuchtet darin ausführlich dessen komplexe Beziehung zu Israel. Für seine Buchrecherchen erhielt Segev uneingeschränkten Zugang zu Wiesenthals persönlichem Nachlass sowie zu 16 Archiven in mehreren Ländern. Seine umfangreiche Biographie stütz sich auf Tausende Dokumente, die durch zahlreiche Gespräche ergänzt wurden.
Entstanden ist ein fundiertes Werk, das sowohl thematisch als auch chronologisch aufgebaut ist: die Kindheit in Galizien, das Überleben im Holocaust und als staatenloser Flüchtling in Österreich; die Verbindungen zu den Israelis und Amerikanern, die Intrigen und Machtkämpfe mit Eli Wiesel oder Bruno Kreisky.

Selten wurde Wiesenthals Leben so detailreich beschrieben. Tom Segev nimmt seine Leser mit in die psychologischen Untiefen dieses außerordentlichen Mannes. Das Buch ist kurzweilig geschrieben und manche Kapitel, wie die Jagd nach Nazi-Größen, lesen sich wie ein Krimi. Angesichts der vielen Akteure wäre ein Index dennoch hilfreich.

Simon Wiesenthal war ein verschlossener, einsamer Mensch, aber Segev gelingt ein Einblick in sein Privatleben, einschließlich einer (einseitigen) Liebesgeschichte. Dabei bleibt Segevs Perspektive kritisch, aber emphathisch. Er schafft es, die Tragödie eines Menschen darzustellen, der selbst als Häftling keinerlei Vergünstigungen erhielt und dennoch lebenslang von Schuldgefühlen geplagt wurde, weil er das Gefühl hatte, auf Kosten anderer überlebt zu haben.

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Tom Segev: Simon Wiesenthal. Eine Biographie
Siedler Verlag, München 2010