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Steven Bloom: Stellt mir eine Frage

Ein Männer-Debattierklub in Brownsville. Archie Feinstein, Meyer Woolf und Izzy werfen sich gut gemeinte Boshaftigkeiten an den Kopf. Spielerisch leicht und herrlich selbstironisch…

1950 im Brooklyner Viertel Brownsville. Fast täglich kommen Meyer Woolf, Archie Feinstein, Izzy und ihre Freunde in Sams Cafeteria, um beim Kaffee über Gott und die Welt zu debattieren: Liebe, Ehe, Eifersucht, Alltagssorgen, Koreakrieg und Rassismus sind nur einige der Themen. Zu jedem weiß einer einen Witz zu erzählen. Einer Meinung sind die Männer selten, auch wenn ihr Jüdischsein sie verbindet. Und ständig fallen sie sich ins Wort, frotzeln, auch wenn sie sich mögen. Oder gerade deshalb.
Die Schrecken antisemitischer Verfolgung haben sie alle ins amerikanische Exil geführt. Immerhin sind sie dem Schlimmsten entronnen, aber sie schleppen doch an ihrer Vergangenheit, und so amerikanisch sie sich geben, so wenig selbstverständlich ist ihnen vieles.
»Steven Blooms Texte verdanken ihren Charme nicht zuletzt den punktgenauen, sehr flotten Dialogen, die an bessere Screwball-Komödien erinnern«, schrieb Ulrich Rüdenauer in einer Kritik. Silvia Morawetz hat sie brillant und stilsicher ins Deutsche übertragen.

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Wenn die da den dritten Weltkrieg draus machen, was dann? sagte Meyer Woolf.

Also geht sein Freund rüber und sagt, wieso bekreuzigst du dich dauernd? sagte Archie Feinstein. Sagt der schiker, soll ich den goyim die Befriedigung geben, einen jüdischen Suffkopf zu sehen, möchtest du das?

Sehr witzig, sagte Jack Goldfarb. Jemand einen Kaffee?

Benny Kubbleman schicken sie, der soll’s richten, sagte Meyer Woolf. Haben die nichts Besseres zu tun als ausgerechnet ein Kind wie Benny Kubbleman nach Korea zu schicken, wo er totgeschossen wird?

Nicht so hastig mit den jungen Pferden, Meyer, sagte Archie Feinstein.

Von Korea hat der noch nicht mal gehört, sagte Meyer Woolf.

Heißt also, kein Kaffee, Meyer, sagte Jack Goldfarb.

Izzy?

Izzy schüttelte den Kopf.
Bring mir halt einen Limonensprudel mit, sagte Archie Feinstein.
Wir haben da drüben nichts verloren, sagte Meyer Woolf, als Jack Goldfarb gegangen war. Benny hat da drüben nichts verloren.

Was soll der Junge denn machen? sagte Archie Feinstein. Soll er sich vor der Einberufung drücken, möchtest du das? Hast doch gesehen, wie er die ganze Zeit den Kopf hat hängenlassen. Ein bißchen Aufregung, genau das braucht er.

Ist hier alles so wohlgeordnet, sagte Meyer Woolf, daß wir auf der ganzen Welt herumrennen müssen?
Weißt du, Meyer, sagte Archie Feinstein, mit solchen Reden könnte es schnell mal brenzlig für dich werden. Spaß beiseite, aber wenn nicht wir es wären, könntest du ernstlich in Schwierigkeiten kommen. Und soviel wir wissen, ist die ganze Sache dort eh vorbei, bevor Benny überhaupt hinkommt. Genau wie beim ersten Weltkrieg, sagte Meyer Woolf. Wer hat da nicht alles erzählt, bis Weihnachten ist es eh vorbei?

Stimmt doch auch, sagte Archie Feinstein, die haben bloß nicht dazugesagt, in welchem Jahr.
Sehr witzig, sagte Meyer Woolf. Nur für uns war es nicht witzig.

Meyer, Meyer, sagte Archie Feinstein. Bitte, nicht die Schützengräben. Erster Weltkrieg, das haben wir schon hundertmal gehört. Kennst du den über den mageren Juden in der englischen Armee, der alle Tage wieder mit neun deutschen Gefangenen ankommt?
Jack Goldfarb stellte einen Limonensprudel vor Archie Feinstein hin, und der trank ihn gierig.

Wir hatten bei dem damals nichts verloren, sagte Meyer Woolf, und wir haben bei dem heute nichts verloren.

Archie Feinstein rülpste.
Will der General also wissen, wie er das anstellt, sagte er.

Archie, bitte, sagte Meyer Woolf, du gehst mir auf den Wecker. Es ist mein Ernst.
Okay, okay, sagte Archie Feinstein. Soll ich was in der Jukebox aussuchen? Wie wär’s mit »Goodnight, Irene«?

Meyer Woolf schüttelte den Kopf.
Schau, sagte Archie Feinstein, wozu soll das gut sein, daß wir hier hocken, als würden wir schiwa sitzen?
Wenn ich alles ernst nähme, was ich in meinem Taxi zu hören kriege, würde ich verrückt. Grad heute erzählt einer seinem Freund, dass er sich operieren lassen muß, an einer Stelle, an die möchte man nicht mal denken.

Bitte, Arch, sagte Jack Goldfarb, erspar uns die Details. So was schlägt mir auf den Magen.
Ich sag ja bloß, sagte Archie Feinstein, wenn man bestimmte Dinge auf sich zukommen sieht, ist es besser, man wechselt die Straßenseite und geht rüber in die Sonne. Also, wer wirft heute für die Dodgers?
Newk, sagte Jack Goldfarb.

Worauf warten wir dann noch? sagte Archie Feinstein.
Ich dachte, deine Frau hätte ein Machtwort gesprochen, sagte Jack Goldfarb.

Erstens mal, sagte Archie Feinstein, ist Machtwörter sprechen mein Job, und zweitens mal ist sie ihre Schwester besuchen, die wohnt am Grand Concourse. Klar, sagte Jack Goldfarb. Wir könnten bei Key Food vorbeigehen und uns ein paar Bier holen.

Weißt du, Meyer, sagte Archie Feinstein, es wäre nicht das Schlechteste, wenn du ein bißchen was über Baseball lernen würdest. Komm doch einfach mit.
Brot und Spiele, schon mal gehört, ja? sagte Meyer Woolf.

Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst, sagte Archie Feinstein.

In der Antike, sagte Meyer Woolf, haben die römischen Kaiser Shows veranstalten lassen, damit die Leute ihre Sorgen vergaßen.
Und, ist das schlecht? sagte Archie Feinstein.

Geh, sagte Meyer Woolf. Sieh dir Baseball an.
Izzy? sagte Archie Feinstein.
Nicht heute abend, Archie, danke, sagte Izzy.
Falls jemand seine Meinung noch ändert, sagte Archie Feinstein, ihr wißt ja, wo ich wohne.

Als Jack Goldfarb und Archie Feinstein gegangen waren, legte Meyer Woolf die Hände auf den Tisch und beugte sich vor.
Glaubst du, ich wollte heute abend weggehen? sagte er. Geh zu Sam’s, sagt sie zu mir. Du machst mich verrückt, wenn du hier herumsitzt. Das stimmt. Wenn ich nicht da bin, schaltet sie das Radio ein, sie bügelt, sie macht sauber, sie beschäftigt sich. Er zog eine Serviette aus dem Spender und tupfte sich die Stirn ab.

Was, wenn, Gott behüte, sie es hat, Izzy? Wenn Sonya was zustößt, ist es aus mit mir. Stürzt ein Jude einen Berghang hinunter, kriegt im letzten Moment aber noch einen Busch zu fassen, an dem er sich festhalten kann. Und als er da hängt, ruft er: Gott, Gott, hilf mir. Auf einmal ertönt von oben eine Stimme: Wenn du an mich glaubst, laß den Busch los. Was? sagt der Jude. Ich bin der Herr, dein Gott, der Schöpfer von Himmel und Erde. Wenn du an Mich glaubst, laß den Busch los. Moment mal, sagt der Jude, ist nicht noch jemand da oben, mit dem ich reden kann?

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Rezension v. Ramona Ambs