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Nazipropaganda in der arabischen Welt

Jeffrey Herfs Buch korrigiert die auch in Deutschland immer wieder zu hörende Auffassung, die Propaganda Hitlerdeutschlands habe sich im Rahmen einer spezifisch nazistischen „antiimperialistischen“, gegen die Westmächte gerichteten Agitationsvariante an Muslime, insbesondere Araber, und muslimische Nationen mit dem Ziel gewandt, Bündnispartner im Krieg gegen Engländer und Amerikaner zu gewinnen, dabei aber antisemitischen Aspekten eher eine untergeordnete Rolle zugewiesen…

Jeffrey Herf zur deutschen Mitverantwortung für die Antisemitismusverbreitung in der Islamwelt

von Klaus Faber

In seinem neuen Buch „Nazi Propaganda for the Arab World“ (erschienen bei Yale University Press, New Haven& London, 2009, 335 S.) nimmt der amerikanische Historiker Jeffrey Herf ein Thema auf, das in der deutschen politischen Debatte bislang keine große Bedeutung hat, wenn man einmal von den Auseinandersetzungen über das 2006 erschienene Buch „Halbmond und Hakenkreuz“ von Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers oder über andere vergleichbare Publikationen (siehe dazu unter anderem „Neu-alter Judenhass“, herausgeben von Klaus Faber, Julius H. Schoeps, Sacha Stawski, 1. Aufl. 2006) absieht. Man streitet hierzulande zurzeit öffentlich, engagiert und manchmal unfair über die Vergleichbarkeit von Antisemitismus und „Islamophobie“ oder über einen „Aufklärungsfundamentalismus“, den manche in den islamkritischen Positionen von Henryk Broder, Necla Kelek oder Seyran Ates erkennen wollen. Dabei besteht seit langem Anlass für eine umfassende politische Auseinandersetzung mit der Rolle Hitlerdeutschlands vor und während des Holocausts bei der Verbreitung antisemitischer Positionen im europäischen Ausland und vor allem in der arabischen und islamischen Welt und damit auch mit der deutschen Mitverantwortung für die aktuellen Antisemitismusströmungen. Einige Diskussionsaspekte in den jüngsten Debatten über „den“ Islam, die „Islamkritik“, die Integration von Muslimen in Deutschland, den Antisemitismus unter Muslimen und in islamischen Gesellschaften oder den „neuen“ antiisraelischen Antisemitismus können kaum sinnvoll erörtert werden, wenn man die Wirkungen der an die Islamwelt gerichteten antisemitischen Propaganda des NS-Staates ausblendet.

Jeffrey Herfs Buch korrigiert die auch in Deutschland immer wieder zu hörende Auffassung, die Propaganda Hitlerdeutschlands habe sich im Rahmen einer spezifisch nazistischen „antiimperialistischen“, gegen die Westmächte gerichteten Agitationsvariante an Muslime, insbesondere Araber, und muslimische Nationen mit dem Ziel gewandt, Bündnispartner im Krieg gegen Engländer und Amerikaner zu gewinnen, dabei aber antisemitischen Aspekten eher eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Nach dieser – falschen – Interpretation der Abläufe wird auch heute noch häufig mit „postkolonialer“ Sympathie und entsprechendem Verständnis der Haltung arabischer und muslimischer NS-Kollaborateure begegnet. Meines Feindes Feind ist mein potentieller Verbündeter – nach dieser Maxime im Zweiten Weltkrieg zu handeln und danach in antikolonialer Frontstellung mit Hitlerdeutschland zu sympathisieren, sei im Rückblick, so diese Position, wenn überhaupt, politisch nur in begrenztem Umfang zu kritisieren und insbesondere kein Beleg für die Zustimmung zu antisemitischen NS-Grundauffassungen.

Ein Blick auf die NS-Kriegspropaganda vor allem in Radiosendungen in arabischer und persischer Sprache oder in Sprachen anderer muslimischer Völker ergibt, wie Jeffrey Herf zeigt, ein völlig anderes Bild. In Hitlerdeutschlands Agitation gegenüber der islamischen Welt hatte die antisemitische Hetze einen zentralen, entscheidenden Stellenwert. Die Zielgruppen und Zuhörer hatten diesen Punkt im Sinne der deutschen Akteure auch durchaus richtig verstanden, wie Zeitzeugen, etwa Nasser, Khomeini oder Sadat, belegt haben. Wer damals als Muslim mit Hitlerdeutschland politisch sympathisierte oder kollaborierte, wusste, bezogen auf die deutschen antisemitischen Positionen, mit wem er es zu tun hatte. Die antisemitische Ausrichtung Deutschlands war für die muslimischen NS-Parteigänger in aller Regel kein negativer Aspekt, sondern ein Pluspunkt für die Sympathie mit dem Dritten Reich. Umgekehrt wussten die deutschen Propagandaplaner, dass es so war.

Jeffrey Herf gibt mit vielen neuen Quellenbezügen, darunter Übersetzungen der arabischsprachigen Sendungen der Achsenmächte („Axis Broadcasts in Arabic“) oder Archivmaterial des Auswärtigen Amtes, auch einen Einblick in interne Überlegungen der NS-Progandaakteure. Während des Zweiten Weltkrieges führte Deutschland (nicht ohne bis heute nachwirkende Erfolge) eine umfassende Propagandakampagne in Nordafrika, im Nahen und im  Mittleren Osten. Ihr Ziel war es, dort die NS-Ideologie, vor allem ihre antisemitische, in der Tonanlage nicht selten als  Mordhetze auftretende  Grundposition, zu verbreiten und zu implementieren. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg war NS-Deutschland dabei mit der Frage konfrontiert worden, wie nach der deutschen Rassegesetzgebung und der NS-Rassenideologie Menschen türkischer, arabischer und iranischer Abstammung oder, weiter gehend, aus anderen islamischen Völkern „rassisch“ zu beurteilen seien. Im Jahre 1936 wurde. u. a. im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in Berlin, zwischen verschiedenen staatlichen und Parteiinstanzen des Dritten Reiches in der Tendenz eine Position abgestimmt, die auch für die an die Islamwelt gerichtete NS-Propaganda im Zweiten Weltkrieg Orientierung gab. Die deutsche Rassegesetzgebung war, so die auch mit dem Auswärtigen Amt vereinbarte Interpretationslinie, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit vor allem gegen die Heirat von Juden und Nicht-Juden gerichtet. Türken wurden in dieser Hinsicht wie Angehörige anderer europäischer Völker behandelt. Deutsche nicht-jüdische Staatsbürger konnten ebenso z. B. ägyptische oder irakische nicht-jüdische Staatsbürgerinnen heiraten. Das gleiche Prinzip galt auch für den Iran, dessen weiter gehende Forderung, als vollkommen „arische“ Nation, ja als „arische“ Ursprungsnation anerkannt zu werden, allerdings nicht akzeptiert wurde.

Auf einer vergleichbaren Linie bewegte sich die Positionsbestimmung Hitlerdeutschlands gegenüber den jüdischen Staatsgründungsbestrebungen im britischen Mandatsgebiet von Palästina. In den ersten Jahren der NS-Herrschaft förderte der Auswanderungsdruck auf die Juden Deutschlands die jüdische Einwanderung nach Palästina. Berichte und Vorschläge deutscher Diplomaten an den damaligen Staatssekretär im Auswärtigen Amt Ernst von Weizsäcker, die auf die Vorteile einer deutschen Unterstützung der antijüdischen arabisch-nationalistischen Bewegung in Palästina unter Führung des Jerusalemer Muftis Amin al-Husseini hinwiesen, führten zusammen mit anderen Initiativen zu einer eindeutig antizionistischen und antisemitischen Position Hitlerdeutschlands. In der NS-Kriegspropaganda für Nordafrika, den Nahen und Mittleren Osten wurde, um Missverständnisse gegenüber den „semitischen“ Arabern auszuschließen, zunehmend auf den Antisemitismusbegriff verzichtet. Das Gemeinte konnte dort besser mit anderen Begriffen ausgedrückt werden. Die Feindschaft gegenüber allem Jüdischen war das geeignete Leitbild. „Der Jude“ stand hinter dem britischen und dem US-Imperialismus sowie hinter den „Bolschewisten“. Selbstverständlich war auch der Zionismus ein Teilelement im Plan einer „jüdischen Weltherrschaft“.

Jeffrey Herf weist zu Recht darauf hin, dass die NS-Propaganda dabei an judenfeindliche Elemente in der islamischen Überlieferung, auch im Koran, anknüpfen konnte, die in ihrer ältesten Schicht auf die Kämpfe Mohammeds mit jüdischen Stämmen auf der arabischen Halbinsel zurückzuführen sind. Die arabische judenfeindliche Agitation, der die Deutschen mit ihren arabischen Radiosendungen eine zusätzliche Plattform gaben, übernahm ihrerseits von ihren NS-Mentoren das im Islam ursprünglich nicht vorhandene Bild des mächtigen, die Weltherrschaft anstrebenden bösen Juden. Beide Seiten – auf der arabisch-islamischen Seite an prominenter Stelle der palästinensische Kollaborateur al-Husseini – vertraten am Ende gut abgestimmt die Konzeption einer Wesensverwandtschaft zwischen Islam und Nationalsozialismus, die in den drei gemeinsamen Feinden – dem westlichen Imperialismus, der Sowjetunion und dem Judentum – ihren prägnanten Ausdruck fand.

Die militärische Niederlage von Rommels Afrika-Korps und schließlich der Untergang Hitlerdeutschlands hat auch die Legitimation der Verbindung arabisch-nationalistischer und radikal-islamischer Positionen mit dem Antisemitismus erschüttert. Anders als in Europa gab es in der arabischen und islamischen Welt, wie Herf zeigt, aber keine umfassende Diskreditierung des NS-Vermächtnisses. Der „neue“ antiisraelische Antisemitismus unserer Zeit enthält, u. a. in seinen verschwörungstheoretischen Ansätzen, viele Elemente, die bereits in der judenfeindlichen Propaganda von Hitlerdeutschland und seiner damaligen arabischen und sonstigen muslimischen Parteigänger angelegt sind. Er ist ein Hindernis für jeden dauerhaften Frieden zwischen Israel und der Islamwelt. Er hat ebenso negative Auswirkungen auf die Integrationsprozesse in Europa.

Wir sollten uns daran erinnern, dass der negative Beitrag Hitlerdeutschlands zur globalen Politik, auch im Verhältnis zum Judentum und zur Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten, nicht erst mit dem Holocaust begonnen hat und nicht mit ihm beendet wurde. Die ideologischen Fernwirkungen der antisemitischen NS-Propaganda sind noch heute zu beobachten, in den islamischen Gesellschaften und Minderheiten und auch im europäischen Mainstream. Jeffrey Herfs Buch gibt eine Grundlage für eine politische Debatte, die in Deutschland erst noch geführt werden muss.

Klaus Faber, Staatssekretär a. D., Rechtsanwalt und Publizist in Potsdam sowie Vorsitzender des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e. V., veröffentlichte bereits zahlreiche Beiträge u. a. zu bildungs- und wissenschaftspolitischen Fragen, zur Föderalismus- und Verfassungspolitik, zu Nahost-, Menschenrechts- und Antisemitismusthemen.

–> Interview mit Jeffrey Herf