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Von der Sehnsucht nach Büchern und Leben

„Die Nationalhelden Israels sind nicht die Helden des Schwerts, sondern die Helden der Feder“ zitiert Jim G. Tobias den Literaturwissenschaftler Ginzberg im neuen Jahrbuch des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts…

Von Ramona Ambs

Das diesjährige Jahrbuch mit Schwerpunktthema „Leben danach – Jüdischer Neubeginn im Land der Täter“ bemüht sich, auf rund 200 Seiten ein möglichst umfassendes Bild über die verschiedenen jüdischen Wege zurück ins Leben zu geben. Jim G. Tobias beschreibt dabei die Sehnsucht und das Bemühen jüdischer DPs, an Bücher zu kommen und Bibliotheken aufzubauen. “Bücher formen die Seele des jüdischen Volkes (..), erzeugen damit die nachhaltige Kraft seines unbeugsamen Überlebenswillens“ wird Rabbi Friedmann zitiert. Jenem Verlangen nach dem gedruckten jüdischen Wort wurde in vielfältiger Weise nachgekommen.

Kristina Dietrich beschäftigt sich mit dem Zustand von überlebenden jüdischen Kindern und den damit verbundenen pädagogischen Herausforderungen der Betreuungsinstitutionen. Die meisten der Kinder wiesen enorme Verlust- und Verlassensängste auf. „Sie waren immer in Furcht, dass ihnen Gegebenes entrissen werden könnte: Spielsachen, Essen. Der Begriff des Weggehens einer Person wurde von ihnen als „Tod“, d.h. Nichtwiederkommen aufgefasst“ (Nelly Wolffheim). Die konkrete Arbeit mit diesen Kindern und Jugendlichen beschreibt Anna Andlauer in ihrem lebendigen Essay über Greta Fischer.

Drei interessante jüdische Köpfe im Nachkriegsdeutschland waren Karl Marx, Baruch Graubard und Fritz Bauer. Der Jurist Fritz Bauer und das nach ihm benannte Institut wird von Katharina Rauschenberger vorgestellt. Yael Geis erinnert an den jüdischen Aktivisten Baruch Graubard in einer biografischen Skizze und Andrea Sinn erzählt anschaulich vom Journalisten Karl Marx, dem Begründer der Jüdischen Allgemeinen und dessen Entwicklung vom Befürworter der Aliyah hin zu einem Verteidiger jüdischen Lebens in Deutschland. Dabei kommt auch Marx selbst zu Wort: „Als ich 1946 nach Deutschland zurückkehrte, war ich davon überzeugt, dass Juden in diesem Land nichts mehr zu suchen hätten. Ich sprach mich damals für die Beendigung des Aufenthalts von Juden in Deutschland aus. (…) Die internationale Entwicklung jedoch überführte mich meines Irrtums. Gäbe es keine Juden in Deutschland, man müsste sie erfinden, denn ohne Juden würde Deutschland nicht demokratisch werden und ein nichtdemokratisches Deutschland stellt eine Gefahr für Europa und das jüdische Volk in einem dar.“

Passend dazu erläutert Rainer Huhle die jüdischen Beiträge und Kontroversen zur Verankerung der Menschenrechte nach 1945 und Esteban Cuyas dokumentiert die Rolle von jüdischen und deutschen Emigranten in Argentinien während der Militärdiktatur 1976 – 1983. Über den Neubeginn in Israel schreibt Andrea Livnat. Sie untersucht vor allem die Rolle Theodor Herzls bei der Identitätsfindung des neuen Staates und seiner Bürger.

Auch Österreich findet Erwähnung in diesem Jahrbuch. Dirk Rupnow und Elizabeth Anthony erzählen von der Seegasse 9, einem geschichtsträchtigen Ort in der Stadt Wien und Jim G. Tobias zeichnet die Erfolge der jüdisch-österreichischen Fußballmannschaft HaKoah nach. Peter Zinke widmet sich dagegen eingehend Josephine Bakers Auftritt in Wien 1928 und dem damit verbundenen Skandal. So schrieb beispielsweise der Stürmer 1928 unter der Überschrift „Josephine spielt auf“: „ Die jüdische Massensuggestion hat Hunderttausende in einen Erregungszustand bezüglich der „schwarzen Schönheit“ versetzt. Wer ist Josephine Baker? Die verkörperte Sünde wider das Blut! Das Produkt rassenschänderischen Beischlafes zweier Menschen, (…) ein Mischling, ein Bastard. Ihr Vater ist ein Neger und ihre Mutter eine weiße Frau germanischer Herkunft.(…) Die Presse, deren Inhaber vernegerte Juden sind, traktierte das „Wiener Blut“ nach Art der Ausschreier des Praters“. Die von Zinke zusammengestellten Fakten und Pressemeldungen, nicht nur aus dem Stürmer, zeichnen eindrucksvoll die rassistische und antisemitische Stimmung im Wien von 1928 nach.

Insgesamt ist das neue Jahrbuch wieder einmal eine gelungene Zusammenstellung verschiedener Aspekte der jüdischen Geschichte. Die zwölf Autoren mit ihren jeweils sehr eigenständigen Beiträgen und dem hervorragenden Bildmaterial (insgesamt 18 Abbildungen) geben einen umfassenden Einblick in das Leben von Juden vor und nach der Schoa, in Deutschland und anderswo.

Jim G. Tobias / Peter Zinke (Hg.): nurinst 2010, Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte, Schwerpunktthema: Leben danach – Jüdischer Neubeginn im Land der Täter
Jahrbuch des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts
204 Seiten, 18 Abb. schw.-w., 22 x 14 cm, ISBN 978-3-938286-37-1, 12,80 EUR [D], Bestellen?

Buchvorstellung:

Leben danach – Jüdischer Neubeginn im Land der Täter
Dienstag, 8. Juni 2010, 19.30 Uhr
Zi. 4.24, Gewerbemuseumsplatz 2, Nürnberg
Eintritt frei

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