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Ernst Federn: Systeme des Terrors

Als Wilhelm Rösing 1992 seinen Dokumentarfilm „Überleben im Terror – Ernst Federns Geschichte“ im Frankfurter Filmmuseum erstaufführte, wurde der Wiener Psychoanalytiker Ernst Federn hierzulande einem breiteren Publikum bekannt. Er berichtete darin als Zeitzeuge nicht nur von den sieben Jahren Haft im Konzentrationslager Buchenwald, sondern – und das war thematisch neu und vielen unbekannt – auch von der Gefahr, der er als damaliger Trotzkist auch von Seiten der kommunistischen Funktionshäftlinge ausgesetzt war…

Von Marianne Kröger

Diese hatten in Buchenwald nach dem „Teile und herrsche“-Prinzip der Nazi eine interne Lagerhierarchie hatten aufbauen dürfen und dementsprechend bestimmte Häftlinge begünstigten und andere – wie ihn – benachteiligten, was unter den dortigen Bedingungen immer mit Todesgefahr verbunden war. Der Filmbericht brach mit dem Mythos der solidarischen Einheit der (politischen) Häftlinge untereinander. Ernst Federn ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass „alle diese Dinge (…) doch nur Anklagen gegen den faschistischen Terror und nicht gegen seine Opfer“ sind.

In Buchenwald begann auch die lebenslange Freundschaft zwischen Federn und Bruno Bettelheim. In dieser Situation des vollständigen Ausgeliefertseins fanden sie ein Mittel zum Überleben dadurch, dass sie sich nicht als leidende Opfer betrachteten, sondern als gemeinsame stille Beobachter des im Lager herrschenden NS-Terrors. Sie wollten insbesondere die psychologischen Mechanismen von Terror und Sadismus sachlich ergründen, eine „Psychologie der Extremsituation“ erarbeiten und notierten an Ort und Stelle einige Beobachtungen und Überlegungen.

Ernst Federn gelang es, bereits 1945 und 1946 zwei wissenschaftliche Studien zu diesem Thema fertig zustellen, an deren Veröffentlichung zunächst allerdings kein Interesse bestand und die zum Teil erst später in Belgien und Frankreich erschienen und innerhalb der Fachliteratur auf keine Resonanz stießen. Im vorliegenden Buch werden – neben anderen Aufsätzen, beispielsweise gedenkenden Erinnerungen an ermordete Mithäftlinge und Sekundärliteratur – diese beiden aufschlussreichen Analysen „Versuch einer Psychologie des Terrors“ und „Der Terror als System: das Konzentrationslager“, die auch eine ungeschminkte und nüchterne Wiedergabe des Lageralltags in Buchenwald enthalten, nun erstmals (!) zusammenhängend publiziert. Bemerkenswert an jenen Aufzeichnungen ist ebenso, dass sich der Häftling Ernst Federn als Psychoanalytiker bemühte, sich nicht nur mit seiner eigenen Situation, sondern auch mit den konstatierten Verhaltensmechanismen seiner Peiniger auseinanderzusetzen und somit sowohl über deren äußere und innere Zwänge reflektierte als auch über die Wechselwirkung zwischen Leidendem und Peiniger und ihren Konsequenzen.

Was Ernst Federn damals und heute hervorhebt, ist, dass er mit seinen Studien ein Terrorsystem wie das Nazi-Regime keineswegs historisieren will, sondern terroristische Regime, deren Intention die Vernichtung des Gegners ist, auch als zukünftige Bedrohung der Menschheit betrachtet. Die Fähigkeit, ein terroristisches System aufzurichten, bestünde immer, schreibt er: „Nur kann verhindert werden, dass diese Fähigkeit zur Wirklichkeit wird.“ Daran arbeitet er seitdem sein ganzes Leben lang, praktisch und theoretisch.

Roland Kaufhold (Hg.) (1999): Ernst Federn: Versuche zur Psychologie des Terrors. Material zum Leben und Werk von Ernst Federn. Mit einem Vorwort von Ernst Federn, Gießen (Psychosozial-Verlag).

Diese Besprechung wurde publiziert in: Listen, Rezensionszeitschrift Nr. 56, 2000, S. 23f. Wir danken Marianne Kröger und der Zeitschrift für die Nachdruckgenehmigung.

Die Literaturwissenschaftlerin Dr. Marianne Kröger ist Herausgeberin des Buches: Etta Federn: Revolutionär auf ihre Art (Psychosozial-Verlag, 1999). Die anarchistisch – libertäre Schriftstellerin und Übersetzerin Etta Federn war die Tante Ernst Federns.

Weiterführende Links:
Themenschwerpunkt Bruno Bettelheim
Etta Federn (1883-1951) und die Mujeres Libres