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Ka-Tzetnik 135633: Shivitti

Häftling Nr. 135633 verbrachte zwei grauenvolle Jahre im Lager Auschwitz. Er überlebt, wird aber dreissig Jahre lang von dem verfolgt, was er hat mitansehen müssen. Er kann nachts nicht schlafen, tagsüber nicht wach sein. 1976 entschliesst er sich zu einer LSD-Therapie bei dem holländischen Psychiater Prof. Bastiaans…

Bastiaans verabreicht in seiner Klinik Überlebenden des Holocausts unter Aufsicht LSD, um sie an die Erinnerungen herankommen zu lassen, die sie anders nicht zulassen können. Das Buch „Shivitti“ ist das literarische Protokoll dieser Erfahrung.
Ka-Tzetnik 135633 beschreibt die verschiedenen Stationen des therapeutischen Prozesses und lässt "den dunklen Planeten, den Feuerplaneten, den Ascheplaneten Auschwitz", wie er ihn unter Einfluss der Droge erlebt hat, wiedererstehen.

LSD wurde bis zu seinem Verbot in den späten 60ern mit grossem Erfolg von Psychologen und Psychotherapeuten auch bei Gewalttätern und Suchtkranken eingesetzt. Aus jener Zeit liegen mehr als 1000 Forschungsberichte vor. "Unsere Zeit braucht das LSD", sagte sein Erfindervater, der Chemiker Albert Hofmann im Jahr 2004.

Claudio Naranjo

Mit dem Buch „Shivitti“ liegt ein Werk von unermesslicher Bedeutung vor. Man könnte es im Stil eines Rezensenten des Filmes Titanic beschreiben. In dieser Rezension merkt er an, dass die Kinogänger nicht Dinge wie die Kameraführung oder die Handlung bewundern, sondern die Ungeheuerlichkeit des Vorganges, der hier gezeigt wurde, erfassen solle. In diesem Text sollte der Leser weniger auf den literarischen, psychotherapeutischen oder geschichtlichen Wert achten, vielmehr auf die Einzigartigkeit des Erlebens des Holocausts.

Abb.: Claudio Naranjo (links) liest mit dem Autor das Shivitti-Manuskript; Berkeley, Kalifornien 1986. Foto: Reza Leah Landman

Vor allen Dingen sollte uns die Einzigartigkeit dieses Dokumentes bewusst werden. Nicht nur war es aussergewöhnlich, dass der Autor Auschwitz überlebte, sondern nur selten ist es jemandem gelungen, in die Hölle hinabzusteigen um später seine Geschichte zu erzählen. Weiterhin bin ich davon überzeugt, dass es den meisten Menschen nicht einmal gelingt, sich angesichts eines solchen Horrors selbst treu bleiben zu können. Hier begegnen wir einer ungewöhnlichen Ausnahme: dem Autor De-Nur gelingt es, im Rückblick ein wahrer Zeuge zu sein, da er ein aussergewöhnlicher Zeuge eines Lebens am Abgrund war, während all dies geschah. Gerade diesem Umstand hat er wohl sein Überleben zu verdanken oder, um es noch präziser zu formulieren, hierdurch gelang es ihm, die Erinnerung an die Anwesenheit Gottes, das Shivitti, durch all die Jahre der Gefangenheit immer vor Augen zu behalten.

Darüber hinaus handelt es sich hier um ein aussergewöhnlicheres Buch, als es einfache Memoiren sein könnten. Diese hat De-Nur unter seinem Pseudonym (Ka-Tzetnik 135633) schon früher in dem Buch Salamandra vorgelegt. Dort war er von der Mission getrieben, das, was er erlebt hatte, zu berichten. „Shivitti“ schildert eher seine Rückkehr in die Hölle. Ein Buch, in dem er sich noch einmal mit seinen kaum erträglichen Erinnerungen auseinandersetzt, um sich von ihnen zu befreien, sich zu heilen. Er will, nach dreissig Jahren der Schlaflosigkeit und der Alpträume, Frieden mit ihnen und sich schliessen.

Während ich dies schreibe, fällt mir ein, was ich einmal einen südamerikanischen Schamanen über ‚Mut‘ sagen hörte. "Es gibt den Mut gewöhnlicher Kämpfer, die in der Schlacht ihr Leben aufs Spiel setzen. Es erfordert jedoch einen stärkeren Mut, sich auf das innere Abenteuer einzulassen, ‚lehrende Pflanzen‘ zu sich zu nehmen, wie es die Ausbildung zum traditionellen Heiler erfordert."

Allein mit Hilfe seiner ungewöhnlichen, lebhaften spirituellen Kraft körperlich zu überleben, war für De-Nur eine heldenhafte Grosstat. Um so heroischer sein Mut, Jahrzehnte später, dieses Mal unter dem Einfluss von LSD, aus freien Stücken nach Auschwitz zurück zu kehren.

Ich empfinde es als ein grosses Privileg, dass mich Herr De-Nur gebeten hat, ein Vorwort zu diesem bemerkenswerten Buch zu verfassen, und das Gefühl, der richtige Mensch für diese Aufgabe zu sein, erfüllt mich mit Freude. Nicht nur weiss ich um die Hochachtung für die drei Menschen, die in seine Erzählung involviert waren – De-Nur selber, seine Frau Eliyah (hier: Nike) und mein Kollege Dr. Bastiaans – sondern ich empfinde sie ebenso.

Bevor ich noch weiter dieses Buch, das doch wirklich für sich spricht, kommentiere, möchte ich dieses Vorwort mit ein paar Überlegungen zu der vorsätzlich ignorierten Nützlichkeit des LSD und anderer Psychedelika in der Psychotherapie beschliessen.

Als einer der wenigen (neben Dr. Bastiaans und Dr. Stanislav Grof), denen es vergönnt war, dieses Gebiet legal klinisch erforschen zu dürfen, hatte ich in den sechziger Jahren die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der Welt auf das aussergewöhnliche Potential jener Substanzen, für die ich den Namen ‚Gefühlsverstärker‘, heute Empathogene und Fantasieverstärker, auch Oneirophrenics, vorschlug, zu richten. Mir war es gegeben feststellen zu können, dass sich diese wie ein psychologisches Gleitmittel einsetzen lassen, es möglich machen, einigen Menschen effektive therapeutische Hilfe weit über die traditionellen Hilfsangebote hinaus angedeihen zu lassen. Natürlich betrübt es mich, wie unglücklich sich die Politik in das wertvolle Heilpotential der Psychedelika in der Psychotherapie eingemischt hat. Mit Ausnahme der vorurteilsfreien Schweiz und der Niederlande werden Psychedelika heute in den meisten Ländern als gefährliche Drogen ohne Gebrauchswert eingestuft. Durch ihr Verbot werden sie unbrauchbar. In Zeiten der globalen Krisen erlauben wir uns, eines der hilfreichsten Therapeutika zu missachten. Und das just, als klar wird, dass unser eigenes Überleben durch überholte Beziehungsmuster zu uns selbst und anderen bedroht ist, dass unsere grösste Hoffnung im menschlichen Faktor liegt. Es ist wohl wahr, dass einige Menschen eine Veranlagung zur Sucht in sich tragen und dass Sucht in unserer Gesellschaft ein grundlegendes Problem darstellt. Genau so wahr ist jedoch, dass sich Süchte nur im unsachgemässen Umgang mit Drogen einstellen und unsere soziale Situation, in der den Drogen das konstruktive Potential abgesprochen wird, den sachgemässen Gebrauch vereitelt.

Ich hoffe, dass die Zeit kommen wird, in der LSD und andere der Therapie förderliche Substanzen (wie Morphium und Amphetamine) durch Fachleute kontrolliert eingesetzt werden können und wenn jene wenigen sachverständigen Lebenden ihre Erfahrungen in neuen ‚Schulen‘ einer neuen Generation von Praktikern vermitteln dürfen.

Daher hoffe ich, dass dieses Buch nicht nur De-Nurs spirituelle Errungenschaften und sein Menschenverständnis vermittelt, sondern auch noch die Anerkennung einer Form der Psychotherapie, die vielen Menschen eine Hilfe sein könnte – würde sie nicht durch das fragwürdige Verbot unserer extrem kleinmütigen und puritanischen Gesellschaft unterbunden – beschleunigt. Ich halte dieses Verbot für einen der wirklich bösen Aspekte unserer Gesellschaft. Ich sehe in der geistigen Einstellung jener, die im Dritten Reich Juden verurteilten und jenen, die heute eine moralisierende Tugendhaftigkeit herbeiflehen, um den heutigen War-on-drugs zu führen, keinen grossen Unterschied. Wie schon immer so gilt auch heute: die hervorstechendste Charakteristik des Teufels besteht in seiner Fähigkeit, auf andere zu zeigen und zu sagen: "Da ist der Teufel!"

Claudio Naranjo, M.D., Brasilia, 22. Mai 1998

"Ein ausserordentliches Buch, ein wirklich bedeutender Text. Von einem aussergewöhnlichen Menschen geschrieben. Seit langem habe ich nicht solch eine Stimme gehört: Die Stimme einer verwundeten Seele, deren Schrei ein Gebet ist."
Elie Wiesel

http://www.youtube.com/watch?v=86eOwXnwVOc