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Ein herrlicher Flecken Erde

Gita Lauschmannova kehrt heim, erschöpft, voll banger Hoffnung. Sie öffnet vorsichtig die Tür des Hauses, alles ist noch da, schmerzhaft vertraut, sogar der Hut des Vaters im Flur, als hätte der ihn aus ungewohnter Nachlässigkeit einfach einmal vergessen; aber am Tisch sitzt ein unbekannter Mann, und eine ebensolche Frau füllt seinen Teller mit Linsensuppe: Lauter fremde Leute — so nannte Louis Fürnberg ein Gedicht, dass die Rückkehr der Überlebenden und Emigranten nach 1945 beschreibt…

Von Katja Schickel

Die tschechische Schriftstellerin Radka Denemarkova hat eine ganz eigene suggestive und emotionale Form gefunden, das Ausgeliefertsein, die Hilf- und Ausweglosigkeit der deutsch-tschechischen Jüdin Gita, den Horror der Gewalterfahrungen und ihren Kampf um Recht und Gerechtigkeit zu erzählen.

Die neuen Herren im Dorf (nebst ihren Frauen) haben sofort neue Verhältnisse geschaffen und allen Besitz unter sich aufgeteilt, eine verschworene Gemeinschaft, die gegen "den Feind" von Aussen, also alle Deutschen, auch die deutschsprachigen Juden, zusammen hält. Das Unrechtmässige und Amoralische ihrer Handlung kann nur mit unmässiger Rohheit und Kaltblütigkeit durchgesetzt werden. Das Mädchen Gita, das in Auschwitz war, wird als Nazi, als dreckige Deutsche beschimpft, grausam misshandelt und entkommt (sozusagen ein zweites Mal) nur knapp dem Tod. Bis zum Zeitpunkt der Deportation aller Familienangehörigen weiss das Kind nicht, dass es jüdisch ist. Man ist assimiliert, spricht Deutsch und Tschechisch, die Kinder besuchen tschechische Schulen, die Eltern wählen in der 1. Republik die tschechische Staatsbürgerschaft.

Nach dem Krieg erinnert man sich umgehend daran, dass die Familie, von der nur Gita überlebt hat, jüdisch und deutschsprachig, also deutsch, war und denunziert sie bei den neuen staatlichen Organen, die die vorauseilende Aneignung fremden Besitzes sofort legitimieren.

Bereits Anfang der 50er Jahre versucht Gita über eine Teilrückgabe zu verhandeln; sie möchte das Haus, früher von allen liebevoll "das Schlösschen" genannt, zurück, die Fabrikgebäude, Werkstätten, die Schnapsbrennerei sollen in staatlichem Besitz bleiben können. Vor allem geht es ihr um die Rehabilitierung ihres Vaters, den man als deutschen Kapitalisten und vermeintlichen "Ehren-Arier" verunglimpft. Man begegnet ihr mit unverhohlenem Hass, flankiert von antisemitischen und nationalistischen Parolen (die berüchtigten Slanský-Prozesse sind gerade vorbei), verhöhnt sie erneut als Nazi und bekräftigt die Vorwürfe gegen ihren Vater.

2005, nach der Rehabilitierung der Familie, beschliesst sie, diese Geschichte nach 60 Jahren zu Ende zu bringen. Nun hat sie es hauptsächlich mit der Söhne- und Töchtergeneration zu tun, die ihr ebenfalls mit Ressentiments und Vorurteilen begegnet und die unangenehme "deutsche Alte" (die seit Kriegsende als Tschechin in Prag lebt) so schnell wie möglich wieder los werden will. Wie sie überhaupt hat überleben können, wenn sonst keiner überlebt hat, ob sie vielleicht gar nicht in einem Lager gewesen sei, das sind so Fragen, die die ehrenwerten Gemeindemitglieder beschäftigen. Nebenbei wird ihre Unzurechnungsfähigkeit diskutiert, Gier, Neid, und Falschheit konstatiert, von denen sie sich leiten liesse, die klassischen Projektionen also.

Gita Lauschmannova muss durch diese Geschichte hindurch gehen, nicht weil sie Eigentum für sich reklamieren möchte, sondern weil sie, zeitlebens mit Traumata, mit Schuld- und Schamgefühlen kämpfend, diejenigen, die bisher keine Verantwortung für ihr Tun übernommen haben, konfrontieren will. Es gefällt ihr, sie in Aufregung zu versetzen. Sie tut dies mit wunderbar bissiger Lakonie und koketter Schnoddrigkeit, also mit heissem Herzen und kaltem Verstand, mit einem endlich einmal genüsslich eingestandenen Hass auf die Verursacher ihres Schmerzes (zu denen eben nicht nur die Nazi-Deutschen, sondern auch TschechInnen gehören), vor allem aber mit dem Mut einer Frau, die zu viel erlebt hat, als dass sie weiter stellvertretend fremde Belange ausfechten möchte.

Radka Denemarkova verfügt über einen aussergewöhnlich luziden Sprachschatz, einen Reichtum an überraschenden, poetischen wie surrealen Bildern, mit denen sie essenzielle körperliche und seelische Zustände beschreiben kann. Sie zeigt die Wunden, die nicht oder nur notdürftig verheilt sind, und den Schmerz, scharf und präzise – und dass Vergangenheit nicht einfach vergeht. Die Geschichte ist aktuell, weil sich Fragen nach dem eigenen individuellem Verhalten, auch das Eingeständnis von Versagen, immer wieder neu stellen. – Am Ende heisst es: "Worte können viel Übles anrichten. Verhindern können sie nichts." – Das können nur Menschen.

Die Autorin: Radka Denemarkova, 1968 geboren, studierte Germanistik und Bohemistik in Prag, arbeitet u.a. als Übersetzerin, Dramaturgin und freie Journalistin für Printmedien und das Fernsehen. Für diesen Roman, ihren zweiten, der gerade verfilmt wird, erhielt sie 2007 den höchsten tschechischen Literaturpreis Magnesia Litera. Sie möchte mit ihren Büchern "die Leichen im Keller (tschechisch: Skelette im Schrank) ausfindig machen und durchleuchten". Die Kontroversen, die sie damit auslöst, zeigen, wie brisant ihre Themen sind.

Radka Denemarkova, Ein herrlicher Flecken Erde
München, 2009, DVA, 304 S., 19,95, Bestellen?