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Reloaded: Woher kommt Judenhass?

Jetzt ist es wieder lieferbar. Das Buch "Woher kommt Judenhass?", dessen Rezension Anfang des Jahres für Aufregung und böse Angriffe auf die Rezensentin und die Herausgeber sorgte…

von Ramona Ambs

Der Verlag reagierte damals recht schnell und nahm das Buch zur Überarbeitung vom Markt. Wer nun aber glaubt, ein neues überarbeitetes Buch zu bekommen, der irrt. Das Buch an sich hat sich überhaupt nicht verändert – allerdings gibt es eine Beilage. Diese erinnert ein wenig an die Beipackzettel von Medikamenten: „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage!“

Bei der hiesigen Beilage handelt es sich um dreizehn lose Blätter, von denen sich vier mit ergänzenden Hinweisen zu einzelnen Methoden und deren Einsatz beschäftigen, fünf weitere Seiten, die mit einer Neubearbeitung des 6. Kapitels (der umstrittenen Passage zur Matthäus-Passion) aufwarten können und schliesslich auf weiteren vier Blättern zusätzliche Literaturhinweise.

"Liebe Leserin, lieber Leser," beginnt das erste Blatt "zu unserem Bedauern ist uns in dem vorliegenden Buch auf S. 52/53 ein Fehler unterlaufen. Wir haben die dort dargestellte Methode daher überarbeitet. Sie finden sie in veränderter und erweiterter Form hier als Kopie. Da die Arbeit mit Jugendlichen zu dem Thema Antisemitismus pädagogische Sicherheit erfordert und nicht ohne Einarbeitung und Sachkenntnis Ihrerseits erfolgen sollte, finden Sie hier darüber hinaus Hinweise zur Durchführung einzelner Übungen sowie eine erweiterte Literaturliste."

Das klingt schon mal nicht schlecht. Aus Fehlern soll man ja bekanntlich lernen. Und wenn man sich die ergänzenden Hinweise zu den einzelnen Methoden ansieht, muss man anerkennen, dass da offenbar einiges gelernt wurde. Die Methoden werden deutlich weniger offensiv angepriesen. Man weist vorsorglich darauf hin, dass sich die Lehrperson "inhaltlich einarbeiten sollte" und sich die "Zusammensetzung der Lerngruppe vor Augen führen sollte". Eigentlich selbstverständlich, denke ich mir, aber vielleicht kann man es ja nicht oft genug sagen.

Desweiteren wird nochmals – wie ja auch zuvor schon in den "Tipps" – mitgeteilt, dass sich die Methoden nicht eignen für Schülergruppen in denen mit rechtsextremen oder antisemitischen Einstellungen zu rechnen sei. Nun, eine Schülergruppe zu finden, in der keinerlei antisemitische Vorurteile rumgeistern, dürfte nicht leicht sein. Deshalb gibt es ja solche Lernprogramme, wie dieses, das von den Vereinen „Bildungsteam“ und „Tacheles Reden!“ in langjähriger Kooperation gestaltet und vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) finanziert wurde.

Eine aktuelle Befragung der Amadeo-Antoniostiftung hat gerade gezeigt, dass mehr als die Hälfte aller Jugendlichen verquere Vorstellungen von Juden haben. Hinzu kommt, dass die meisten Jugendlichen nach wie vor kaum was über Juden, das Judentum und dessen Geschichte wissen.

Es gibt wenig Grund zur Annahme, dass sich seit den Studienergebnissen von Alphons Silbermann 1998 viel verbessert hätte. Das hat sich inzwischen aber auch zum Autorenteam rumgesprochen, so dass nun in den ergänzenden Hinweisen zu den einzelnen Methoden einschränkende Empfehlungen nachgeliefert werden. Und offenbar hat man nun auch zur Kenntnis genommen, dass das (Vor-)Wissen von Lehrern in diesem Bereich bisweilen sehr dürftig ist. Allerdings werden dadurch einige Hinweise unfreiwillig komisch.

So findet man als ergänzenden neuen Hinweis zur Methode auf Seite 116 Folgendes in der Beilage:

"Gehen Sie ab und an durch die Kleingruppen und stehen den Jugendlichen mit Ihrem Wissen zur Seite. Dieses entnehmen Sie bitte, wie die Jugendlichen auch, dem Text "Die jüdische Geschichte von Meilenberg", S.119. .."

Na Massel tow! – wenn das mal keine optimale Unterrichtsvorbereitung ist – einfach mal den gleichen Text lesen wie die SchülerInnen – geht schnell und ist unkompliziert!

Im weiteren Verlauf werden die Empfehlungen zwar noch kurioser, doch wenden wir uns lieber dem "Herzstück" der Überarbeitung zu: Der Neubearbeitung des 6. Kapitels – genauer: Der Methode zur Matthäus-Passsion.

Sie war Hauptkritikpunkt der ersten Rezension, weil unverblümt behauptet wurde, dass Juden Christusmörder seien.

In der neuen Variante sind Vorbereitung und Informationsinput erhöht worden. So erfahren die Schüler/innen etwas mehr über die urchristlichen Gruppen und die Abspaltung vom Judentum. Dann werden erneut die Vorwürfe gesammelt, die Christen gegen Juden erhoben haben. Wieder lese ich "Die Juden haben Jesus umgebracht" und erwarte nun ein eindeutiges "das ist falsch!"- aber das lese ich nicht.

Stattdessen steht da:
"Einordnung: Der Vorwurf des Gottesmordes ist eine der zentralen Anschuldigungen des christlichen Antijudaismus. Die Gruppe soll sich deshalb ausführlich und auf mehreren Ebenen damit auseinandersetzen. Christliche wie nichtchristliche Historiker gehen mehrheitlich davon aus, dass dem Jesus des neuen Testaments eine historische Person entspricht, dessen Leben und Wirken sich rekonstruieren lässt. Erschwert wird die Rekonstruktion durch das Fehlen unmittelbarer Zeugnisse – die Evangelien sind nach allgemeiner Ansicht Verarbeitung älterer, nicht überlieferter Quellen. In ausserchristlichen Quellen wird Jesus frühestens 40 Jahre nach dem vermutlichen Zeitpunkt seines Todes erwähnt."

Aha. Selten etwas so Schwammiges gelesen. Bedeutet das nun dass man die Evangelien als Quelle ernst nehmen kann (sie sind ja schliesslich Verarbeitungen älterer Quellen) oder nicht? Und was heisst das nun konkret auf den Vorwurf bezogen? Ganz beiläufig stellt sich mir noch die Frage, weshalb sich Schüler und Schülerinnen überhaupt so intensiv (und exklusiv) mit den Evangelien befassen sollen, zumal ja nicht alle christlich sind, aber zurück zum eigentlichen Thema, ich habe ja die Hoffnung, dass es doch noch
deutlicher wird und lese also weiter:

"Nach Darstellung der Evangelien wird Jesus vom Hohen Rat (Sanhedrin) wegen Aufruhrs und Gotteslästerung angeklagt und verurteilt und dem römischen Statthalter Pontius Pilatus übergeben. Auf Betreiben des Rates verurteilt Pilatus Jesus zum Tode. Dann bietet er den Schaulustigen aus der Jerusalemer Bevölkerung an, Jesus freizugeben, diese rufen jedoch "Ans Kreuz mit ihm!" und "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!"…Daraufhin wird Jesus auf Befehl des Pilatus von römischen Soldaten gefoltert und hingerichtet. – Im Text der Bibel werden also konkrete Personen und Personengruppen benannt, die nach dieser Darstellung gemeinsam den Tod Jesu verursacht haben sollen".

Ohje – sind wir Juden jetzt doch schuld am Tode Jesus? Nur haben wir ihn eben nicht alleine umgebracht, wie in der ersten Version, oder warum diese ausführlichen Darstellungen der Evangelienberichte? Immerhin – es folgt nun ein kleiner Exkurs ins jüdische Recht. Ich bin erleichtert, denn nach dessen Aussage kann der Prozess – so wie ihn die christliche Bibel schildert – gar nicht stattgefunden haben.

Doch selbst bei der Erörterung der jüdischen Sichtweise des Prozesses wird immer wieder das Evangelium als Quelle zitiert: "Verschiedene Schilderungen von Jesu Todesumständen in den Evangelien stehen im Widerspruch zur jüdischen Rechtstradition. (…) Auch konkrete Aspekte sind nach jüdischem Recht unplausibel: Dass Jesus sich als Sohn Gottes bezeichnet, ist nach jüdischem Recht Gotteslästerung, wäre aber nur dann mit dem Tod zu bestrafen, wenn er zugleich den unaussprechbaren Namen Gottes ausspräche – was in den Evangelien nicht erwähnt wird…".

Mal ganz davon abgesehen, dass hier permanent vom „jüdischen Recht“ die Rede ist und nur an einer Stelle darauf verwiesen wird, dass es sich um das "alte" jüdische Rechtsverständnis handelt (man könnte fast meinen, wir würden – egal ob damals oder heute – lustig draufloskreuzigen, wenn jemand einen Namen sagt, den er nicht sagen soll), wird hier ein derart spezielles Wissen vorausgesetzt, das man beim hiesigen Durchschnittsschüler, Pisa hin oder her, so nicht einfach erwarten kann. Auch nicht beim Durchschnittslehrer.

Vor allen Dingen wird hier aber nur gegenübergestellt, was einerseits die Evangelien sagen und andererseits was nach jüdischem Recht an diesen Schilderungen „unplausibel“ ist.

Eine konkrete Antwort aber auf die Frage "Haben die Juden Jesus ermodet?" bleibt aus. Nirgends findet sich eine diesbezügliche klare Aussage, wenn wir mal vom Originaltext absehen, der natürlich noch unverändert dasteht. Diese Rezension bezieht sich ja nur auf den „Beipackzettel“.

Auch auf den zweiten Vorwurf der Methode "Die Juden verlangten Gnade für einen Mörder anstatt für Jesus" reagiert die "Richtigstellung" unangenehm vage.

Da steht: "Viele christliche Autoren sehen in Barrabas keinen Mörder, sondern einen Widerstandskämpfer(…)" und dann wird wieder – wen wunderts – auf die Evangelien verwiesen, und zu guter letzt auch noch auf das Buch von Papst Benedikt "Jesus von Nazareth".

Dass genau dieses Buch wegen seiner Abwertung historischer Erkenntnisse in die Kritik geraten war, scheint nicht weiter zu stören.

Dafür wird unter "2." geschrieben: "Andere Autoren bestreiten, dass es eine Wahlstellung, wie sie im gehörten Abschnitt der Matthäuspassion geschildert wird, überhaupt gegeben habe." – diese "anderen" Autoren erweisen sich dann am Ende des Textes als "jüdische und römische Quellen". Seltsamerweise bleibt auch hier eine konkrete Antwort aus. Es wird einerseits die christliche Sichtweise der Dinge dargestellt und andererseits die jüdische Sicht. Historisch-neutrale Quellen werden praktisch nicht erwähnt. Die jüdische Sichtweise hat man nun zwar zitiert – ohne jedoch eine echte Antwort zu geben.

Bleibt noch die neue, erweiterte Literaturliste. Leider kann man da auch nicht glücklich sein. So hat das Autorenteam sich zwar von einem "alten" Literaturtipp distanziert, nämlich dem "Ghazi, Abdel-Khader, Die sprechenden Steine, Weinheim 1998" – peinlich und notwendig, weil selbst der Beltz&Gelberg-Verlag das Buch wegen antisemitischer Klischees aus dem Programm genommen hat, aber was dann an "Neuem" vorgestellt wird, überzeugt auch nicht gänzlich. Speziell in den Kategorien "Judentum" und "Zionismus" ist die Zusammenstellung eher dürftig und nicht sonderlich aktuell.

Ein grosses und gutes Standardwerk, die "Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit" von Michael Brenner und Michael A. Meyer fehlt beispielsweise. Oder im Themenbereich Zionismus fehlen die guten Bücher von Schoeps, Walter Laqueur oder Amnon Rubinstein… und und und.

Bleibt ein bitteres Resümee. Das Buch überzeugt mich auch nach der Nachbearbeitung nicht. Und dem Ministerium scheint es mittlerweile auch peinlich zu sein, was man da jahrelang gefördert hat. So steht in deutlich kleinerer Schrift auf dem ersten Beipackzettel der Hinweis: "Das Projekt "BildungsBausteine gegen Antisemitismus" ist ein Kooperationsprojekt des Bildungsteams Brandenburg e.V. und Tacheles Reden e.V., das aus Mitteln des Bundesprogramms ENTIMON gefördert wurde. Die vorliegende Publikation wurde nicht aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert."

Na dann ist ja alles gut.
Was
das Ministerium sonst so fördert ist ja mittlerweile bekannt. Und auch was es nicht fördert.

Interessierte Lehrer kann man an bessere Publikationen des Verlags an der Ruhr verweisen, in der kühnen Hoffnung, dass die Arbeit Früchte trage. Und sollten sich die Pädagogen des Bildungsteams nochmal an einem Bildungsbaustein versuchen wollen, sei Ihnen abermals, wie schon im Verlauf der Diskussion um die erste Rezension, der extra für sie gekürzt und zusammengefasste Artikel von Dr. Gabriel Miller, eines ausgewiesenen Experten für jüdisches Recht, ans Herz gelegt: „Die Juden haben Jesus NICHT umgebracht!