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Jessica Durlacher und Gila Lustiger: Schreiben gegen das Schweigen der Väter

Beide wurden mit 13 magersüchtig, verliessen mit 17 ihr Elternhaus. Auf der Suche nach Gründen fanden sie heraus, dass ihre Väter beide die Todeslager der Nazis überlebt hatten, aber niemals darüber sprachen…

Hamburg (ots) – 12. Juni 2008 – Die eine lebt in Paris, die andere in Amsterdam. Die erfolgreichen Autorinnen Jessica Durlacher (46) und Gila Lustiger (45) lernten sich erst bei einem BRIGITTE WOMAN-Gespräch (ab 11. Juni im Handel) kennen. Und dabei entdecken die Frauen überraschende Parallelen in ihrem Leben: Der Ausweg ihrer Töchter aus dieser Spirale des Schweigens: das Schreiben. „Mein Impuls zu schreiben war meine Ohnmacht gegenüber dem Leid meines Vaters“, sagt Durlacher. „Schreiben war das einzige, was ich für ihn tun konnte.“

Durlacher ist heute mit dem Schriftsteller Leon de Winter verheiratet. Für Gila Lustiger war das Schreiben anfangs weniger befreiend. „Die deutsche Sprache war die erste Waffe zur Vernichtung meines Volkes“, sagt die jüdische Schriftstellerin. „Das konnte ich nicht vergessen. Ich schreibe meine Bücher auf Deutsch. Ich musste erst Frieden schliessen mit dem Umstand, eine deutschsprachige Schriftstellerin zu sein.“

Gila Lustiger:
So sind wir – ein Familienroman

Wie ist ein Leben nach Auschwitz möglich? Die Autorin erzählt in ihrem Familienroman über die Atempausen im Leben. Das Heranwachsen zwischen Deutschland und Israel. Die ideologischen Selbstbetrügereien als alltägliche Zwischenstationen, die aus Opfern Menschen machen. Über das Private und Intime nähert sie sich mit unverkennbar ironischem Blick der europäischen Geschichte. Gila Lustiger bringt virtuos jenen Erzählstrom in Fluss, der die jüdische Prosa auszeichnet.

Jessica Durlacher:
Die Tochter

Es ist alles andere als Liebe auf den ersten Blick. Als sich Max Lipschitz und Sabine Edelstein im Amsterdamer Anne-Frank-Haus zum ersten Mal begegnen, ist die „Geschwätzigkeit“ der jungen Jüdin dem Ich-Erzähler sogar zuwider. Aber Sabines Blick unter „bösen schwarzen Augenbrauen“ bleibt Max dennoch in Erinnerung: Ein „Wir-sitzen-alle-im-selben-Boot-Blick“, der erst beim zweiten Treffen faszinieren wird. Danach beginnt Max sich umso intensiver für Sabine zu interessieren, deren Verwandtschaft eine ebenso schreckliche KZ-Geschichte wie seine eigene erlitten hat.

Seit ihrem überraschenden Romandebüt Das Gewissen, das auf einfühlsame Weise über eine junge, moralisch scheinbar gleichgültige Nachkriegsgeneration und deren Konfrontation mit der Biografie ihrer Eltern berichtete, gilt die 39-jährige niederländische Autorin Jessica Durlacher als Spezialisten für den schmerzhaft-traumatischen Aufbruch längst vergessen geglaubter Vergangenheiten. Auch in Die Tochter erzählt sie aus der Sicht der Nachgeborenen vom langen Schatten einer grausamen (nationalsozialistischen) Vergangenheit. Und auch hier hat sie ihr Thema durch den Filter einer unmöglichen, schnell endenden Liebe fixiert: Die Beziehung von Max und Sabine nämlich währt nur ein knappes Jahr, bevor sich beide wieder aus den Augen verlieren. 17 weitere Jahre müssen vergehen, bis der Ich-Erzähler Max es wagt, sich über seine Gefühle und verpasste Chancen klar zu werden: „Ich hätte respektvoller mit jener Zeit umgehen müssen, das ist mir heute klar“.

Die Liebe der Protagonisten in Die Tochter mag zwar kurzlebig sein. Durlachers Buch aber wird Bestand haben über die normale Verfallszeit der meisten Neuerscheinungen hinaus. Denn dass sie ebenso blendend wie sensibel erzählen kann — und deshalb zu den grossen Nachwuchshoffnungen der niederländischen Literatur zu rechnen ist –, das hat sie mit ihrem neuen Roman einmal mehr bewiesen. –Thomas Köster