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Ich protestiere, also bin ich

Gabriel BergerGabriel Berger wurde 1944 im französischen Versteck als Sohn eines jüdischen Kommunisten geboren. Über die Zwischenstation Belgien ging sein Vater 1948 freiwillig nach Polen, um sich dort am Aufbau des Sozialismus zu beteiligen…

Unter dem Druck des Antisemitismus übersiedelte die Familie 1957 in die DDR. In der realsozialistischen Wirklichkeit verlor Gabriel Berger die vom Vater vermittelte kommunistische Überzeugung. Sein „Privatkrieg gegen den Staat“, den er als Physiker mit Intellekt und Schwejkschem Schalk führte, brachte ihm ein Jahr Haft und schliesslich 1977 die Ausreise in die Bundesrepublik ein.

Im vorliegenden Buch betrachtet der Autor nicht nur Polen und die DDR, sondern auch die neue Heimat Bundesrepublik aus kritischer Distanz, mit Witz und Ironie.

Gabriel Berger: Ich protestiere, also bin ich. Erinnerungen eines Unangepassten
trafo Verlag Berlin 2008, ISBN 978-3-89626-802-0, Euro 17,80,
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Leseprobe

Der letzte Weg

Zitternd vor Angst wachte ich auf und starrte in die Dunkelheit. Ich war allein. In der leeren, fensterlosen Zelle versickerten meine Hilferufe ungehört. Die Stille schmerzte in meinen Ohren. Ich konnte hier verhungern oder verfaulen, niemand würde es je erfahren. Von Panik ergriffen schaute ich mich um, in der finstersten Dunkelheit, die meine Augen je erblickt hatten. Der Angstschrei erstarb in meiner Kehle. Auf eine Falle lauernd kroch ich schweissgebadet auf dem weichen Fussboden, bis mein Kopf auf die gepolsterte Wand der Gummizelle stiess. Dann kroch ich auf Knien weiter entlang der Wand, so als würde ich in der Finsternis nach einem verborgenen Schlüpfloch aus dem Käfig suchen. Vergebens. Doch plötzlich geschah das rettende Wunder. Ich erblickte einen schwachen Lichtschein unter der Tür und klammerte mich an ihn, wie ein Ertrinkender an einen Balken, mit einer Dankbarkeit von nie gekannter Heftigkeit, bewies er doch, dass ich nicht lebendig begraben war, dass es ausserhalb dieser Gruft noch eine Welt gab, mit Menschen, gleichgültig wer sie waren, mochten sie auch meine Feinde sein. Und doch waren sie Menschen, deren blosse Anwesenheit meine Hoffnung weckte, nicht in der Einsamkeit dieses Kellerlochs verrecken zu müssen.
Ich schlug mit der Faust gegen die weich gepolsterte Tür, die Klappe ging auf, in ihr erschien ein Männergesicht. "Was gibt"™s?" "Ich muss mal austreten." "Gross oder klein?" "Klein." Die Klappe ging zu. Mit lautem, metallischem Klappern der Verriegelung ging die Tür auf. Vor der Zelle standen drei streng blickende Uniformierte. Wortlos zeigten sie auf einen mit Wasser gefüllten Kübel. Ich zog die Hose und die Unterhose herunter und kniete vor ihnen nieder, um den Kübel treffen zu können. Ich brachte keinen Tropfen heraus. Ein Krampf schnürte mir den Blasenausgang zu. Die Drei standen breitbeinig vor mir und starrten mich pausenlos an. Vergeblich kämpfte ich mit der vollen Blase. Ungeduldig klap­per­ten sie mit Schlüsseln. "Na wird"™s bald!" Es schien eine Ewigkeit zu sein, die ich so vor ihnen verbrachte, entblösst, in einer Lähmung erstarrt.
Ein schriller Klingelton beendete meine Pein. Ich schreckte auf und öffnete die Augen. Greller Lichtschein drang am Vorhang vorbei in das Schlafzimmer meiner Westberliner Wohnung. Genüsslich liess ich den Wecker eine Weile läuten, bevor ich ihn ausstellte, überglücklich aus dem Albtraum geweckt worden zu sein.
Der auf dem Fussboden liegende Beerdigungskranz erinnerte mich an das heute bevorstehende Ereignis. Die Zeit war knapp. Im Eiltempo erledigte ich meine Morgentoilette, band mir auf ein weisses Hemd einen schwarzen Schlips um, zog schwarze Socken, den schwarzen Anzug und Schuhe an, verschlang ein Mar­me­ladebrot, das ich mit einem Schluck Instantkaffee hastig herunterspülte, verliess mit dem Kranz in den Händen meine Wilmersdorfer Wohnung, stieg in den Wagen. Ich fuhr Richtung Moabit, zum Grenzübergang Invalidenstrasse. Es war kurz nach acht. Zehn Uhr musste ich auf dem Friedhof in Friedrichsfelde sein.
Der Tod meines Vaters zwang mich, auch über mein Leben nach­zudenken. Sollte ich wie er mein Privatleben aufgeben und es der Mission der Veredlung der Menschheit opfern? Die Menschheit würde es mir kaum danken. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass an jenem Tag mehr als ein lebloser Körper beerdigt wurde. Eine Idee schritt ihrem Ende entgegen. Sie wurde mit Vaters Generation zu Grabe getragen. Ihr hatte er sein ganzes Leben gewidmet und sie hatte auch mein Weltbild und Handeln seit frühster Kindheit entscheidend geprägt.

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Reise in die Hoffnung

Mit einem langen Pfiff kündigte die Lokomotive ihr Eintreffen auf der Station an. Der Takt der rollenden Räder wurde immer langsamer und langsamer, bis der Zug mit schrillem Quietschen hielt. Mein Vater öffnete mit sichtbarer Kraftanstrengung die Verriegelung der Tür und schaute hinaus. Sonnenstrahlen fielen in den halb düsteren Güterwagon, der ansonsten nur durch eine offene Luke spärlich beleuchtet war. Sie trafen die Gesichter der auf Stroh und Decken liegenden Menschen, die ihre Augen zukniffen oder mit der Hand das schmerzend grelle Licht abwehrten.
Aus der Ferne ertönte eine blechern klingende Lautsprecheransage. Mein Vater wiederholte den unverständlichen Namen der Station, so als wollte er den anderen beweisen, wie gut er französisch konnte. "Der Zug soll hier eine längere Zeit stehen bleiben. Kommt heraus an die frische Luft." Neben mir, dem damals vierjährigen Jungen, drängelten sich meine drei Schwestern an der offenen Tür: die neunjährige Frida, die siebenjährige Rosette und die fünfjährige Rosa. Vater kletterte vom Waggon. "Nicht springen", ermahnte er die Kinder und hob sie nacheinander herunter. "Geht Pipi machen." Nach ihnen verliessen zahlreiche Reisende, Erwachsene und Kinder, den Waggon. Meine Stiefmutter Dora blieb auf der Decke liegen. Sie hatte Kopfschmerzen.
Gleich neben dem Gleiskörper begann eine mit Butter- und Gänseblümchen übersäte Wiese. Die drei Mädchen kauerten sich im Gras nieder; ich stellte mich breitbeinig an einen Telegraphenmast. Nachdem sich alle erleichtert hatten begannen die Mädchen Blumen zu pflücken.
"Passt auf, dass ihr euch nicht zu weit vom Waggon entfernt, sonst fährt der Zug ohne euch weiter. Komm, schauen wir uns mal die Lokomotive an", sagte Vater zu mir. "Oh ja, Papa", sagte ich begeistert.
Der Zug glich einem riesigen Tausendfüssler. Irgendwo in der Ferne verschwanden im Dunst die ersten Waggons. Nur der Qualm verriet, dass sich dort die Lokomotive befand.
Stolz marschierte ich an der Hand meines Vaters. In den offenen Türen der Güterwaggons sassen fröhliche Menschen. Sie sangen Lieder in einer für mich unverständlichen Sprache. "Es ist Polnisch", erfuhr ich von meinem Vater, der sich lächelnd einer sangesfreudigen Runde zuwandte. Andere liessen volle Wodkaflaschen von Hand zu Hand kreisen. Sie riefen auch meinen Vater zum Mittrinken auf. Aus einigen Waggons ertönten erhitzte Rufe von Kartenspielern.
Eine Frau mit weisser Rotkreuz-Haube teilte mit einer Schöpfkelle Tee aus. Vor ihr hatte sich eine Schlange von meist ärmlich gekleideten Reisenden aus dem Güterzug gebildet, mit Tassen, Kannen und Flaschen in den Händen. Auch mein Vater stellte sich an und liess sich die Thermosflasche mit Tee füllen. "Wann gehen wir weiter", quengelte ich.
Endlich erreichten wir das schwarze Ungetüm, das ächzend Qualm und Dampf ausspuckte. Der stählerne Kraftprotz schien voller Ungeduld darauf zu warten, mit seinen dampfangetriebenen Muskeln die Räder in Bewegung zu setzen. Aus dem Fenster der Lokomotive schaute russverschmiert der Lokführer.
"Schau dir diese Lokomotive genau an, mein Sohn. Sie fährt uns nach Polen, zum besseren Leben, zum Sozialis­mus." Doch was wusste ich damals, mit vier Jahren, vom So­zia­lismus? Es war für mich nicht mehr als ein schwie­riges, kaum aussprechbares Wort. Ich stellte ihn mir so grossartig vor, wie die Dampflokomotive, die uns dahin bringen sollte.
Vor Glück strahlend, schritt ich Hand in Hand mit Vater zum Waggon zurück. "Papa, hier in dem Waggon ist es nicht schön. Wenn ich mal gross bin, werde ich Lokführer. Dann werde auch ich auf so einer grossen Lokomotive die Menschen in den Sozialismus fahren." Vater lächelte. "Aber nein, mein Sohn. Wenn du gross bist, dann sind wir doch schon längst im Sozialismus und auf dem Weg zum Kommunismus." "Gut Papa. Dann werde ich mit der Dampflokomotive die Menschen zum Koo-mmu-nismus fahren."

Polen, dessen war sich mein Vater Leon Berger sicher, sollte die letzte Station seines ruhelosen Lebens werden. Vierundvierzig Jahre Wanderschaft waren genug. In Polen hatte sie einst begonnen, als er 1904 in Warschau geboren wurde und den Vornamen Leibusch erhielt. Er war der zweite aus einer Schar von zwölf Kindern, mit denen seine streng gläubigen Eltern, Jossl und Ziwia Berger, die Welt noch segnen sollten. Die meisten von ihnen wurden auf der langen Odyssee ihrer Eltern geboren. Elias, Freidel, Leibusch, Lya und Liba kamen im heimatlichen Warschau auf die Welt. Als begeisterten Zionisten zog es Jossl Berger von dort 1908 nach Palästina. Schon sah er sich dort als Textilfabrikant und Besitzer grosser Ländereien, wegen seiner mildtätigen Gaben von allen Juden verehrt. Doch er verlor sein ganzes Geld in riskanten Geschäften mit windigen Partnern. Nach zwei erfolglosen Jahren im Land der Väter, das damals von Armut und dem Fehlen jeglicher Annehmlichkeiten europäischer Zivilisation geprägt war, mit miserabler medizinischer Versorgung für die Kinder, die von schweren Krankheiten geplagt wurden, kehrte er niedergeschlagen nach Polen zurück. Als Trost schenkte ihm seine Frau noch eine Tochter, Ida. Wenige Monate später floh er vor der Armut, der religiöser Intoleranz und den Pogromen in seiner polnischen Heimat zu seinem Bruder nach Belgien. Dort kamen Noemi, Chaya und Yizchok auf die Welt.
Kaum hatte sich mein Grossvater Jossl Berger in Antwerpen als Diamantenhändler etabliert, da brach der erste Weltkrieg aus. Die deutschen Truppen überschritten die belgische Grenze. Die inzwischen elfköpfige Familie flüchtete über Holland nach England. Schon nach kurzer Zeit gelang es Jossl Berger, mit Hilfe jüdischer Flüchtlingshilfsorganisationen in der neuen Heimat als Diamantenhändler wieder Fuss zu fassen und der Familie einen beachtlichen Wohlstand zu sichern. In der pulsierenden Weltstadt London wurden Becky und Ephraim geboren. Bestrebt, sich der modernen Welt anzupassen, anglisierten die Kinder und die Eltern alle ihre jüdischen Vornamen. So hiess mein Grossvater Jossl von nun an Josef und aus dem Vornamen meines Vaters Leibusch wurde Leon.
Doch selbst die Verantwortung für die stolze Zahl von elf Kindern machte Josef Berger nicht sesshaft. Ahasver, der ewige Jude, schien in ihn gefahren zu sein und der trieb ihn rastlos über die Landkarte Europas.
Deutschland hatte nach dem ersten Weltkrieg unter den Juden Osteuropas einen sehr guten Ruf genossen. Dort, so hörte man, würden die Juden als gleichberechtigte Bürger geachtet. Kaiser Wilhelm hatte sich während des Krieges in einer patriotischen Ansprache persönlich an die Juden gewandt und sie als grosse Freunde Deutschlands bezeichnet. Zudem meinte jeder Ostjude, mit seinem Jiddisch auch Deutsch sprechen zu können. Kein Wunder, wenn es auch Josef Berger magnetisch nach Deutschland zog, vielleicht auch deshalb, weil ihn, als Besitzer englischer Pfunde, die schwindelerregende Inflation des Jahres 1923 in Deutschland zum Millionär machte. Das gab ihm den letzten Anstoss, seinem Jugendtraum zu folgen und sich in dem Land Mendelssohns und Beethovens, Heines und Goethes, Einsteins und Plancks niederzulassen. Er reiste voraus und liess, von märchenhaften Verdienstmöglichkeiten überzeugt, einige Wochen später die ganze dreizehnköpfige Familie nachkommen. In Berlin kam Esther auf die Welt. Und vielleicht wäre sie nicht der letzte Spross der kinderreichen Familie geblieben, wenn Ziwia Berger, die beklagenswerte, ganz im Schatten ihres Mannes lebende Mutter von zwölf Kindern, nicht im Jahre 1935 die Welt verlassen hätte. Ihre Kinder konnten sich als Erwachsene nicht an Zeiten erinnern, in denen sie nicht schwanger gewesen wäre. Und sie hätte die Arbeit mit den vielen Kindern kaum bewältigen können, hätten nicht die ältesten Töchter für die Jüngeren die Mutterrolle übernommen.
Das Diamantengeschäft lief in Josef Bergers neuer Wahlheimat sehr gut an. Seinem vermeintlich untrüglichen Gespür folgend, fühlte er, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Berlin schien damals die aufstrebende Kulturhauptstadt der Welt zu sein, kosmopolitisch und, wie man heute sagen würde, multikulturell. Er hatte das Gefühl, hier trotz seiner fremden Abstammung und Religion als Mensch respektiert zu werden und meinte zudem, endlich das Tor zum wirtschaftlichen Erfolg aufgestossen zu haben, nach vielen Jahren rastlosen Suchens.
Doch der schöne Traum von einem reichen, aufgeklärten und judenfreundlichen Deutschland entpuppte sich schon bald als ein böser Albtraum. Die Familie musste abermals fliehen und zerstreute sich schliesslich über Westeuropa, Nordamerika, Palästina bis nach Südafrika. Je weiter weg von den germanischen Barbaren umso sicherer glaubte man damals als Jude zu sein. Doch nur wenigen Familienmitgliedern gelang die Flucht an einen wirklich sicheren, für die deutschen Truppen unerreichbaren Ort. Die meisten, auch Josef Berger, überlebten den Krieg in Frankreich, in ständiger Furcht vor ihren Verfolgern, die ihnen auf den Fersen folgten: von Deutschland nach Belgien, von Belgien nach Frankreich, und dort bis in die letzten Winkel der Provence. Doch auch auf der Flucht, in Internierungslagern und Verstecken, verlor die Familie nicht ihren Überlebenswillen. Vor der Selbstaufgabe bewahrte sie ihr verzweifelter Glaube an den nahen Sieg der Gerechtigkeit. …

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2 comments to Ich protestiere, also bin ich

  • Rosa

    Das ist ja was ganz Neues, dass der Autor sich selbst eine Rezension schreibt. Natürlich eine mit der höchsten Bewertung bei amazon nachzulesen. Ich möchte gar nicht erst wissen, wieviel Unwahrheit in diesem seinen zweiten „Werk“ steckt. Leute, es gibt lesenswertere Bücher. Die Welt hat genug Selbstdarsteller. 17,80 Euro kann man woanders investieren. Den angeblichen Witz und die angebliche Ironie versteht Victor Gabriel Berger selbst am besten. Abgesehen davon einnert die Leseprobe an sein erstes Machwerk aus dem Jahre 1988. Da hat der Autor bei sich selbst abgeschrieben.

  • Rosa Berger

    Das ist ja was ganz Neues, dass der Autor sich selbst eine Rezension schreibt. Natürlich eine mit der höchsten Bewertung bei amazon nachzulesen. Ich möchte gar nicht erst wissen, wieviel Unwahrheit in diesem seinen zweiten "Werk" steckt. Leute, es gibt lesenswertere Bücher. Die Welt hat genug Selbstdarsteller. 17,80 Euro kann man woanders investieren. Den angeblichen Witz und die angebliche Ironie versteht Victor Gabriel Berger selbst am besten. Abgesehen davon einnert die Leseprobe an sein erstes Machwerk aus dem Jahre 1988. Da hat der Autor bei sich selbst abgeschrieben.