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Florian Schmaltz:
Kampfstoff-Forschung im National-sozialismus

Zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie.
.Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus Bd. 11 (Hg. von Reinhard Rürup und Wolfgang Schieder im Auftrag der Präsidenten-kommission der Max-Planck-Gesellschaft), Göttingen 2005, Wallstein Verlag
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Kampfstoffforschung im Nationalsozialismus:
Alle Möglichkeiten genutzt

Von Martin Jander

Wissenschaft und Industrie in Deutschland verfolgten nach 1945 vergleichbare Strategien. Nach einer kurzen Phase erzwungener Offenbarung (Nürnberger Prozesse), verbreiteten sie erfolgreich die Mär, sie wären Opfer des NS-Systems gewesen. Das Gegenteil ist wahr. Lesern, die sich diesem Thema nähern, sei deshalb dringend die Reihe "Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) im Nationalsozialismus" empfohlen, in der seit 1998 die Max-Planck-Gesellschaft die Verbrechen ihres Vorläufers dokumentiert. Da die KWG eine der bedeutendsten Forschungseinrichtungen Deutschlands seit dem Kaiserreich war, findet sich hier die wahrscheinlich umfangreichste Sammlung von Analysen über die Rolle unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen im Nationalsozialismus.

Im Band 11 untersucht Florian Schmaltz z. B. die Beiträge von Chemikern zur Kampfstoff-Forschung. Zwar wurden Nervengase in der nationalsozialistischen Kriegführung nicht angewendet, dies hatte aber keine ethischen Gründe. In den Kriegen gegen Polen, Frankreich, die Niederlande und Belgien sah man von einem Einsatz nur deshalb ab, weil sonst die nachrückenden deutschen Truppen ihren Krieg auf vergiftetem Gelände hätten führen müssen. Ein Einsatz bei der Hungerblockade Leningrads, etwa 1 Million Menschen kamen um, wurde nur verworfen, da sich Transport-Probleme ergaben. Zwar hatte die deutsche Luftwaffe 1943 gemeldet, sie stünde für einen Gaskrieg bereit, aber Hitler zögerte. Eine große Rolle spielte dabei sein Trugschluss, die Alliierten verfügten über große Mengen Nervengas, was - trotz einer Drohung Churchills im Jahr 1942 - nicht zutraf. Die Explosion von 540 Tonnen Senfgas als Folge eines deutschen Luftangriffs im Hafen von Bari (Italien) machte im Dezember 1943 außerdem klar - es gab etwa 2000 Tote -, dass die deutsche Zivilbevölkerung nur mangelhaft mit Schutzmasken ausgestattet war. Der Luftkrieg der Alliierten zerstörte dann zunehmend die logistischen  Voraussetzungen eines aerochemischen Krieges.

An Industrie und Wissenschaft aber lag es nicht, dass dieser Chemiekrieg nicht geführt wurde. Das III. Reich hatte Unmengen chemischer Kampfstoffe produziert und gelagert. Und die Wissenschaft, z. B. Institute und Forscher der KWG, hatten neueste Chemiewaffen erforscht. Zum Beispiel mein Großvater Gerhart Jander, dessen Bücher Studenten der Chemie bis heute lesen. Er beteiligte sich - NSDAP-Mitglied seit 1925, sein Bruder Wilhelm gründete 1922 die SA in Göttingen - bereits in der Weimarer Republik an damals durch den Versailler Vertrag verbotenen Geheim-Forschungen zum Gaskrieg. Er unterstützte nicht nur die Aufstellung schwarzer Listen von jüdischen Wissenschaftlern, die später Grundlage für ihre Berufsverbote wurden, sondern forschte auch darüber, wie man Gasschutzmasken gegnerischer Soldaten unbrauchbar machen konnte, um sie dem Gastod auszuliefern. 1933 griff er, unterstützt von einem ganzen nationalsozialistischen Netzwerk, nach der Chance, Fritz Haber, Direktor des KWI für physikalische Chemie, von seinem Posten zu verdrängen und die Entlassung anderer "nicht-arischer" Wissenschaftler, die Haber verweigerte, durchzusetzen. "Augenblicklich" - schrieb er 1933 – "muss ich dauernd noch entlassen. Die Goldfinger, Ehrlich, Kerschbaum, Eppstein, Beutler u.s.w., die immer noch hier kleben und nicht gehen wollen." Danach leitete er den Umbau des Instituts zu einem zentralen Ort chemischer Kampfstoffforschung ein.

Aber nicht nur die Verbrechen Gerhart Janders hat der Autor Florian Schmaltz in bewundernswerter Präzision zusammengetragen und analysiert, er beschreibt das ganze Netzwerk der chemischen Kampfstoffforschung im Nationalsozialismus, das vom Heereswaffenamt (HWA) der Wehrmacht koordiniert wurde. Die KWG bot, so Schmaltz, "als größte außeruniversitäre Forschungsinstitution ideale Voraussetzungen für die Bereitstellung wissenschaftlicher Ressourcen, die dem Militär zur Entwicklung chemischer Waffen fehlten." Zwar gibt es keine Belege für eine direkte Beteiligung von Forschern der KWG an Menschenversuchen in Konzentrationslagern, aber es bestanden enge Verbindungen zu Wissenschaftlern, die Giftgas-Versuche an KZ-Häftlingen durchführten.

Florian Schmaltz hat sich mit Hilfe einer großen Anzahl von Beratern in das personelle wie fachliche Netzwerk der chemischen Kampfstoffforschung hineingearbeitet und breitet es in einer auch für Unkundige verständlichen Form aus. Er analysiert diese Forschung als exemplarisches Beispiel der engen Verflechtung von Industrie, Militär, Wissenschaft und NSDAP im Nationalsozialismus. Ganz im Widerspruch zu deren Selbstdarstellung nach 1945 haben diese Institutionen und ihr Personal alle Möglichkeiten begierig genutzt, die ihnen die nationalsozialistische Rassen- und Eroberungspolitik bot und sie "sinngemäß" vorangetrieben. Die Max Planck Gesellschaft macht viele Einzel-Beiträge zur ihrer Geschichte fortlaufend im Internet (http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/KWG/publications.htm) verfügbar.

hagalil.com 10-11-05











 

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