Ein Sammelband zu Hebräisch
und Jiddisch:
"Jüdische Sprachen in deutscher Umwelt"
Von Andrea Übelhack
"In jener Zeit ging das
hebräische Wort von Deutschland nach Palästina und in alle
Länder der Diaspora aus. ... Gewiß werden künftige
Literarhistoriker des Hebräischen von einer `deutschen Periode´
sprechen, in der die moderne hebräische Literatur florierte."
Die Erwartungen von Simon Rawidowicz, die er zu Beginn der 30er
Jahre äußerte, wurden nicht erfüllt, die Zeit der deutschen
Metropolen hebräischer und jiddischer Kultur war lange Zeit
vergessen.
Erst seit wenigen Jahren
bemühen sich Wissenschaftler unterschiedlicher Diszipline um die
Rekonstruktion von diesem Teil der deutsch-jüdischen Geschichte,
einer "anderen" jüdischen Geschichte, "die nicht so recht in das
Bild einer Geschichtsauffassung passen mag, die bestimmt ist von
den Koordinaten Assimilation und Emanzipation, Antisemitismus
und "Beiträge" zur deutschen Kultur", wie es Michael Brenner
ausdrückt.
Michael Brenner, Professor für
Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität München, ist
Herausgeber eines neuen Sammelbandes unter dem Titel "Jüdische
Sprachen in deutscher Umwelt", der Beiträge eines gleichnamigen
Kongresses zusammenfasst, der sich mit der hebräischen und
jiddischen Sprachenlandschaft von der Aufklärung bis ins 20.
Jahrhundert befaßte.
Nils Roemer untersucht in seinem Beitrag "Sprachverhältnisse und
Identität der Juden in Deutschland im 18. Jahrhundert" die
Diskussionen über Jiddisch und Hebräisch unter den Anhängern der
jüdischen Aufklärung. Daran angeschlossen ist Andrea Schatzs
Beitrag "Vorgeschrieben und umgeschrieben: Die "neue heilige
Sprache" der Maskilim", der sich vor allem mit dem "Neuen" in
der Beschäftigung der Aufklärer mit dem Hebräischen widmet.
Anhand von zwei Beispielen erläutert Andrea Schatz die
Schwierigkeiten der Anwendung einer heiligen Sprache. Mußte sie
einerseits von ihrem göttlichen Ursprung gelöst werden, um in
der Gegenwart wirken zu können, bedurfte sie andererseits eben
jener Autorität in Bezug auf kulturelle und politische Bedeutung
der Wirklichkeit.
Andreas Gotzmann beschäftigt sich vor allem mit der negativen
Sichtweise des Jüdisch-Deutschen, dessen sprachliche
"Korrumpiertheit" mit gesellschaftlicher gleichgesetzt wurde.
Unter dem Titel "Vatersprache und Mutterland: Sprache als
nationaler Einheitsdiskurs im 19. Jahrhundert" kommen aber auch
andere Entwicklungen der ideologischen Auseinandersetzungen um
die adäquate jüdische Sprache zu Wort, darunter beispielweise
der Wandel im religiösen Bereich und Gebetbuchreformen.
"Hebräische
Zeitschriften in Deutschland (1750-1856)" ist das Thema von
Thomas Kollatz´ Beitrag, der einen Überblick zur hebräischen
Publizistik seit dem kohelet mussar (Der Moralprediger) bis zur
Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums jeschurun gibt.
Sie alle waren kein Forum für aktuelle Nachrichten aus der
Politik und Hintergrundinformationen, Themenbereiche, die in der
jeweiligen Landessprache in jüdischen Zeitungen und
Zeitschriften veröffentlicht wurden. Hebräisch konnte sich nun
lediglich als eine unter vielen Sprachen jüdischer Wissenschaft
und Kultur behaupten.
"In der
Diskussion um die Bedeutung der Wissenschaft des Judentums
kristallisiert sich in der damit verbundenen Sprachenfrage ein
bedeutendes innerjüdisches Spannungsfeld zwischen Ost- und
Westjudentum heraus", betont Henry Soussan in seinem Beitrag
"Wissenschaft des Judentums, in welcher Sprache?" Er kommt darin
zu dem Schluß, daß die Wissenschaft des Judentums keineswegs für
sich in Anspruch nehmen kann, das Hebräische neu belebt zu
haben, , dieser Verdienst gebühre vielmehr den literarischen
Aktivitäten des osteuropäischen Judentums. Für den Verlust des
Hebräischen kann die Wissenschaft des Judentums jedoch ebenfalls
nicht zur Verantwortung gezogen werden, da sie sich einerseits
ihrem Publikum, andererseits den allgemeinen Tendenzen der
Wissenschaft anpassen musste und auf Deutsch publizierte.
Zwei Beiträge beschäftigen sich mit regional begrenzten
Sprachentwicklungen: Uri Kaufmann untersucht "Hebräische
Begriffe in der Umgangssprache der südwestdeutschen und
elsässischen Juden im 19. und 20. Jahrhundert". Barbara Schaefer
analysiert Spuren des "Hebräisch im zionistischen Berlin". Einem
besonderen Aspekt widmet sich auch Rahel Perets in ihrem
Überblick zur "Vermittlung der hebräischen Sprache in
Deutschland vor 1933".
Delphine Bechtel und Amir Eshel analysieren schließlich die
Bedeutung von Jiddisch und Hebräisch im deutsch-jüdischen
Kulturbereich des ausgehenden 19. und beginnenden 20.
Jahrhunderts. Während Delphine Bechtel dabei die "Jiddische
Literatur und Kultur in Berlin im Kaiserreich und der Weimarer
Republik" erhellt, vertritt Amir Eshel in seinem Beitrag "Von
Kafka bis Celan: Deutsch-jüdische Schriftsteller und ihr
Verhältnis zum Hebräischen und Jiddischen" die These, beide
Schriftsteller haben in ihren Werken das Hebräische allegorisch
gedeutet. Sowohl das Hebräische wie auch das Jiddische boten "für Kafka,
Celan und andere jüdische Autoren die Möglichkeit, die Grenzen
ihrer Schaffenssprache, des Deutschen, über dessen geläufige
Rhetorik und vorhandene Bilderarchive hinaus, prägnant zu
erweitern."
Die Beiträge der verschiedenen Autoren wollen und können kein
vollständiges Bild der hebräischen und jiddischen
Sprachlandschaft der neueren deutsch-jüdischen Geschichte geben,
wie Michael Brenner in seinem Vorwort betont. Der Anspruch aber,
sie mögen "einen Eindruck von der kulturellen und sprachlichen
Vielfalt dieser Geschichte vermitteln, die von
wissenschaftlicher wie auch publizistischer Seite häufig noch
immer zu eindimensional dargestellt wird", ist geglückt.
Michael Brenner (Hrsg.): Jüdische Sprachen in deutscher Umwelt.
Hebräisch und Jiddisch von der Aufklärung bis ins 20.
Jahrhundert
Vandenhoeck und Ruprecht 2002
39 Euro[Bestellen?]
hagalil.com
10-09-02 |