antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil

Newsletter abonnieren
 
 
 

 


Gerhard Hanloser:
Krise und Antisemitismus.
Eine Geschichte in drei Stationen von der Gründerzeit über die Weltwirt-schaftskrise bis heute
Unrast Verlag 2003
Euro 13,00

Bestellen?

Eine Geschichte in drei Stationen:
Krise und Antisemitismus

Rezension von Max Brym

Gerhard Hanloser liefert kein vulgärmarxistisches Werk ab, er kombiniert Erkenntnisse der Kritischen Theorie, mit der Psychologie und der speziellen nationalen Entwicklung. Der Autor startet den Versuch, auf der Basis der Kritischen Theorie, verbunden mit der Marxschen Krisentheorie, die Wirkungsmächtigkeit des Antisemitismus in der ökonomischen Krise darzulegen.

Anhand von drei Fallstudien wird dieser Zusammenhang aufgezeigt: Die Gründerkrise 1873, in deren Verlauf moderne antisemitische Parteien und Agitatoren zum ersten Mal in Deutschland die Börse mit dem Judentum gleichsetzten, die Weltwirtschaftskrise 1929 und die nationalsozialistische Antwort darauf, sowie die heutige Zeit der krisenhaften "New Economy". Hanloser betrachtet die antisemitische Bewegung als Phänomen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, das losgelöst von dieser nicht erklärt werden kann. Gleichzeitig wendet er sich gegen das banale Erklärungsmuster, nachdem antisemitische Parteien und Bewegungen bewußt geschaffene Instrumente zur Niederschlagung der Arbeiterbewegung seien.

Hanloser geht vielmehr von der Tatsache aus, dass die meisten Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft das Wesen dieser Gesellschaftsordnung nicht verstehen, demzufolge Erscheinung und Wesen krisenhafter Phänomene verwechselt werden. Das Geld in der Westentasche der Leute, das nur einen gesellschaftlichen Zusammenhang wiedergibt, wird zum Fetisch. Im abstrakten Geld vermutet das irritierte Individuum die Wurzel der enormen Probleme, besonders in einer Krisensituation. Aber das Abstrakte strebt danach, konkret beantwortet zu werden. Hinter dem Geld wird der Jude vermutet und für sämtliche Krisenphänomene verantwortlich gemacht. Nicht die kapitalistische Produktionsweise und die Ausbeutung im Produktionsprozeß attackiert der Antisemit, sondern den "raffenden" Geldspekulanten.

Hanloser zeigt deutlich, wie in der Gründerkrachkrise 1873 plötzlich ein Herr Bethel Henry Strousberg zum Urfeind vieler in Deutschland wurde. Frei nach dem Motto: "Der Jude hat unser Geld verzockt". Die Ursache der Krise wurde nicht aus den elementaren Widersprüchen der kapitalistischen Produktion erklärt. In der Krise zeigt sich besonders der Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Organisation der Produktion in der einzelnen Fabrik und der Anarchie der Produktion in der ganzen Gesellschaft. Einfach ausgedrückt, jedes Einzelkapital strebt danach, möglichst viel und kostengünstig für einen scheinbar unbegrenzten Markt zu produzieren. Da aber jeder Kapitalist so handelt, entsteht plötzlich eine Situation, in der die Produzenten die von ihnen produzierten Waren nicht mehr kaufen können. Die Gesellschaft wird arm, weil sie scheinbar zu reich ist. Die Krise erscheint als Geld- und Kreditkrise.

Der Gründerkrach 1873 entstand aufgrund der Tatsache, dass die Produktionskapazitäten Deutschlands in keinem Verhältnis mehr zur Aufnahmefähigkeit des Weltmarktes und der Kaufkraft standen. Der Antisemit nimmt diese Realität nicht wahr und bringt die Krise mit Spekulationen, Geld und Verschwörungen in Verbindung. All das belegt Hanloser ausgezeichnet und durchleuchtet Felder der Massenpsychologie sowie kulturelle und nationale Besonderheiten. Auch pflegt der Autor nicht die in linken Kreisen weit verbreitete Unsitte, komplizierte Dinge noch komplizierter auszudrücken.

Den Durchbruch der NSDAP ab 1929 beschreibt Hanloser in Verbindung mit der Weltwirtschaftskrise, die dem antisemitischen Wahn die nötige Unterfütterung gab. Abstrakter "Antikapitalismus" und konkreter antisemitischer Antikommunismus bewirkten den Durchbruch der Nazis. Warum allerdings der Antisemitismus in Deutschland absolut eliminatorisch endete, erfährt der Leser nicht. Das, so muss hinzugefügt werden, ist aber auch nicht die Aufgabe, die sich der Autor gestellt hat.

Vieles ist in der Arbeit von Hanloser nur angerissen. Dies ließ sich kaum vermeiden, denn Marx, Adorno und Freud in einem Werk zu verpacken, ist eine schwierige Übung. Dennoch ist es dem Autor gelungen, eine gute Einführung in den Themenkomplex Antisemitismus, Krise, Marxismus und "Kritische Theorie" abzuliefern. Nach meinem Geschmack trifft das jedoch nur bedingt zu, wenn Hanloser das Gebiet der krisenhaften New Economy betritt.

"New Economy" und Nietzsche

Völlig zutreffend analysiert Hanloser die Gefährlichkeit der gegebenen Nietzsche-Renaissance. In der Tat eignet sich Nietzsche als Ideologe des "modernen" Manchester Kapitalismus. Nietzsche stand für den "Willen zur Macht", für die "Umwertung aller Werte" und für das Gebot: "Die Schwachen und Mißratenen sollen zugrunde gehen" (Nietzsche in "Antichrist").

Nietzsche paßt zur sozialen Kälte in der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft. Nietzsche ist wie einst der Ideologe für Teile der bürgerlichen Intelligenz, die in schönen Worten ihre eigene Degeneration abfeiern. Nietzsche hat in seinem Werk sowohl philosemitische wie antisemitische Versatzstücke zu bieten. Nietzsche persönlich legte stets Wert auf die Feststellung: "Ich verachte jedes geschlossene System".

Wie Hanloser darauf kommt, ausgerechnet in den postmodernen Nietzsche-Jüngern einen Beleg für die Schwäche des Antisemitismus zu sehen, ist ein Rätsel. Das Rätsel kann gelöst werden, wenn auf unwissenschaftliche Begriffe wie New Economy und Globalisierung verzichtet wird. Es gilt vom Kapitalismus und seinen systemimmanenten Wolfsgesetzen auszugehen. Hanloser berücksichtigt nicht die Bedeutung der Konkurrenz, in der jetzigen kapitalistischen Weltökonomie. Deshalb verwendet er auch nicht den Begriff Imperialismus. Er glaubt, so mein Eindruck, an eine irgendwie neugestaltete kapitalistische Ordnung. Er erwähnt nicht die knallharte ökonomische Differenz zwischen den USA und dem deutsch dominierten Europa. Der in Europa um sich greifende Antisemitismus hat als wichtige Basis die Mystifizierung des Weltmarktes.

Verschwörungstheorien über die ökonomische und politische Krise dominieren den deutschen Buchmarkt. Irgendwelche getarnten Drahtzieher dominieren das Pentagon und die Finanzwelt, bekunden jede Menge deutsche Autoren. Selbst in Börsenblättern wird von den "Juden und dem Geld" geschrieben. Das benennt auch Hanloser in seinem Buch. Speziell in Deutschland richtet sich die "Kapitalismuskritik" gegen vagabundierendes und spekulierendes Kapital. Der Kapitalismus selbst wird nicht in Frage gestellt.

Die Organisation ATTAC ist hierfür ein exzellentes Beispiel. Der in Deutschland täglich erfahrbare Antisemitismus kommt in dem Buch nur als Randerscheinung vor. Der Autor bemerkt nicht, dass der Antisemitismus schon längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Dennoch hat Hanloser ein Gespür für Antisemitismus und nennt speziell die Möllemann Affäre eine antisemitische Geschichte. Das Verhalten der FDP in Sachen Möllemann nimmt er jedoch als Beleg, um dem Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft zu verbannen.

Hanloser übersieht jedoch, dass der "Querulant" Möllemann aus der FDP nicht wegen Antisemitismus, sondern wegen diverser Skandale ausgeschlossen wurde. Auf alle Fälle ist das Buch von Gerhard Hanloser empfehlenswert, es hat wichtige theoretische Erkenntnisse zu bieten, sowie manches, über das es sich trefflich streiten läßt.

Gerhard Hanloser:
Krise und Antisemitismus.
Eine Geschichte in drei Stationen von der Gründerzeit über die Weltwirt-schaftskrise bis heute, Unrast Verlag 2003, Euro 13,00
Bestellen?

hagalil.com 31-12-03











 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved

ehem. IDPS (Israeli Data Presenting Services) Kirjath haJowel, Jerusalem