Sahar Khalifa,
Die Sonnenblume
Unionsverlag 2003
Euro 12,90
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Sahar Khalifa
Foto: Marlen Perez;
Unionsverlag
Sahar Khalifa,
Das Erbe
Unionsverlag 2003
Euro 10,90
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"Ha,
sie haben mir eine Tracht Prügel verpaßt, die sich sehen lassen kann.
Aber was soll's? So was hab ich schon so oft erlebt, wie ich Haare auf
dem Kopf hab. Der Vater verprügelt einen. Der Ehemann verprügelt einen.
Die Juden verprügeln einen. Prügel hier und Prügel da. Aber weiß Gott,
die Prügel von den Juden sind eigentlich besser. Da fühlt man sich
wenigstens geachtet. Morgen geh ich raus und erzähl aller Welt: Ihr
könnt mir's glauben, ha genau! Das Gefängnis ist auch was für Frauen,
ihr Männer, ha!"
Chadra
sitzt in einem Gefängnis in Tel Aviv, gemeinsam mit Sadjia. Die beiden
Frauen könnten nicht unterschiedlicher sein und doch erfahren sie
gemeinsam die Prügel von israelischen Polizisten, stecken gemeinsam fest
und müssen den Weg nach Hause finden. Zu Hause, das ist Nablus, die
Stadt in der Shar Khalifas Roman "Die Sonnenblume" spielt und auch der
Heimatort der Autorin.
Chadra ist
eine Außenseiterin in der palästinensischen Gesellschaft. Sie spricht
ordinär, sie führt ein liederliches Leben, sie arbeitet als
Prostituierte. Sadjia lebt bescheiden, den engen Regeln der Gesellschaft
entsprechend, fügt sich in ihre Rolle als Frau, aber auch sie ist eine
Außenseiterin, denn sie ist Witwe. Seit dem Tod ihres Mannes steht sie
unter besonders scharfer Beobachtung der Klatschmäuler der
Nachbarschaft, die sie fürchtet und um deren Existenz zerstörende
Wirkung sie weiß. Sadjia arbeitet schwer als Näherin, um ihren Kindern
uns sich eine Möglichkeit zu schaffe, das Viertel zu verlassen. Rafif
ist die dritte Frau, die im Mittelpunkt des Romans steht, ebenfalls eine
Außenseiterin, eine Intellektuelle, Kommunistin und Journalistin.
Um
diese Frauen spannt Sahar Khalifa eine schillernde Momentaufnahme der
Zustände im besetzen Westjordanland. Die Autorin, 1941 in Nablus
geboren, setzt sich seit Jahrzehnten für die Rechte der Frauen in der
palästinensischen Gesellschaft ein. "Ich bin sehr realistisch, aber ich
akzeptiere die Realität nicht so, wie sie ist", sagt sie von sich
selbst. Nach dreizehn Ehejahren ließ sich Khalifa mit 31 Jahren
scheiden, um der Enge ihrer Ehe zu entkommen und Schriftstellerin zu
werden. Nach einem Studium an der Bir Zeit University in Ramallah und
einem Doktortitel in Women's Studies und Englischer Literatur in den
USA, kehrte sie ins Westjordanland zurück und gründete ein
palästinensisches Frauenzentrum, das Women's Affair Center in Nablus und
Amman. Für Sahar Khalifa ist der palästinensische Befreiungskampf, wie
sie es nennt, auch ein Kampf zur Befreiung der Frau, es geht ihr nicht
allein um ein befreites Land, sondern um ein befreites Leben. "Wir
hätten gern mehr Frauen in der politischen Administration. Wir hätten
gern Veränderungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen, keine
Polygamie mehr, die Möglichkeit von Scheidungen, das Erbrecht für
Frauen. Es wird viele Auseinandersetzungen geben mit den
Fundamentalisten, die aufgrund der ständigen Frustrationen immer stärker
wurden. In einer friedvolleren Atmosphäre wird ihr Einfluss
zurückgehen", sagte sie in einem Interview.
Auch
Khalifas jüngstes Buch, "Das Erbe", prangert die Auswirkungen der
israelischen Besatzung an, die "nicht
nur unsere Ökonomie und Politik zerstört, uns nicht nur auf nationaler
Ebene bedroht, sondern auch unser soziales Gefüge zersetzt."
"Das Erbe" zeigt ein Land in Aufruhr, in das die in
Brooklyn als Tochter eines
palästinensischen Krämers aufgewachsen Sena kommt. Als sie die Nachricht
erhält, dass ihr seit langem verschollener Vater im Sterben liegt, packt
sie kurz entschlossen die Koffer und fährt zurück in ihr Land, das sie
nicht kennt und von dem sie nicht weiß, ob es ihre Heimat ist.
Die
Gegensätze sind es auch, die den Roman "Die Sonnenblume" bestimmen. Mann
und Frau, Adel und Rafif, der Mann, der beschützen möchte, die Frau, die
daraus ausbrechen möchte, und darüber hinausgehend, die politische Ebene
dahinter. Sich mit dem zufrieden geben, was man hat? Sollte sich Rafif
mit der "Frauenecke", die sie in der Zeitung betreut zufrieden geben?
Ist es unangebracht, dass sie keine Ecke will, sondern die Hälfte der
Zeitung fordert? Sollten die Palästinenser stillhalten oder um ihre
Rechte kämpfen?
Sahar Khalifa hat darauf eine eindeutige Antwort. Auf die Frage in einem
Interview der Zeit, ob sie Gewalt als einzigen Ausweg sehe,
antwortete die Autorin: "Handelt es sich wirklich um Gewalt? Können wir
nicht sagen, es ist ein Befreiungskampf? (...)Jeder, der unter einer
Besatzung lebt, muss kämpfen. Auch wir Frauen müssen kämpfen. Man
bekommt seine Freiheit nicht umsonst. Egal, ob es sich um Besatzer oder
um männliche Ausbeuter handelt: Sie geben einem nichts freiwillig, man
muss es sich nehmen." In ihren Interviews mit deutschen Zeitungen
versucht sie, die Gewalt von Seiten der Palästinenser stets als
Freiheitskampf zu postulieren, von Leid, Opfern und Trauer auf der
Gegenseite spricht sie niemals. Der Dialog mit israelischen Kollegen ist
seit dem Ausbruch der letzten Intifada abgebrochen, Khalifa bezeichnet
Versuche, wieder ins Gespräch zu kommen momentan als Zeitverschwendung.
Wen diese
politischen Ansichten eher abschrecken, der sollte dennoch nicht zögern,
Khalifas Romane zu lesen. Denn durch ihr sensibles Erzählen schafft sie
es, ein differenziertes Bild der palästinensischen Gesellschaft zu
zeigen, das von tiefen Gegensätzen geprägt ist, vom Kampf der Frauen,
von der Erfolglosigkeit dieses Kampfes und von den Folgen daraus für das
Zusammenleben.
So wie Sahar
Khalifa ihre Romanfigur Rafif feststellen läßt:
"Es ist wie ein Blick in ein
Bad voller Dampf. Man atmet zwar tief ein, aber die Luft reicht nicht
aus. Die Emotionen des Orients sind ein heißes Bad, aber sie versprechen
keine reine Haut und kein Gefühl der Erfrischung. Schmerzhafte Risse,
die längs und quer verlaufen. Sie spalten die Frau, stutzen ihr die
Flügel." |