Doron Rabinovici:
Ohnehin
Suhrkamp 2004
Euro 18,90
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Erinnern und Vergessen:
Doron Rabinovicis "Ohnehin"
Von Andrea Livnat
In einem Geflecht aus einzelnen Geschichten,
Personen, Begegnungen erzählt Doron Rabinovici in seinem neuen Roman
"Ohnehin" Geschichten von Erinnern und Vergessen. Der Schauplatz Wien
scheint sich dabei um den Naschmarkt zu drehen, der als "Panoptikum aus
Speisen und Küchen (..), ein Zentrum der Zuwanderung, eine permanente
Weltausstellung der kulinarischen Genüsse" gezeigt wird.
Im Mittelpunkt steht der Neurologe Stefan Sandtner, der
sich auf Fälle von Gedächtnisverlust spezialisiert hat. Privat hofft er
selbst zu vergessen und seine langjährige Lebensgefährtin Sonja aus der
Erinnerung zu verbannen. Erst als er Flora, eine junge Flimemacherin aus
Ex-Jugoslawien kennenlernt, scheint Stefan Sandtner auf andere Gedanken
zu kommen. Von ihrem Schicksal, das Flora einerseits verdrängen möchte,
andererseits in ihren Filmen dokumentiert, weiß Sandtner jedoch nichts
und fragt auch nicht weiter danach.
Auch die übrigen Figuren des Romans kreisen zwischen
Erinnern und Vergessen. Da ist Paul Guttmann, der Shoah Überlebende, der
den jungen Neurologen auf einen alten Nachbarn aufmerksam macht, der an
Gedächtnisverlust leidet. Er steckt, verursacht durch das
Korsakow-Syndrom, im Jahr 1945 fest, seine Tochter inszeniert
Befragungen, um mehr über seine möglichen Verbrechen in der Nazi-Zeit zu
erfahren. Da ist Stefans Freund Lew Feininger, der Moskau mit drei und
Tel Aviv mit sechs Jahren verlassen musste und der Stefan bescheinigt:
"Ich fühle mich irgendwie verloren, sobald ich die Grenzen Wiens
überschreite und die österreichische Provinz betrete." Und schließlich
sind da noch die Händler vom Naschmarkt, Griechen und Türken mit einer
Romeo und Julia Geschichte, mit ihrer Vergangenheit in der fernen
Heimat, die sie nicht vergessen können.
Doron Rabinovici versteht es, seine Geschichte dem Leser
scheinbar unspektakulär zu vermitteln. Die Erzählung fließt ohne großes
Aufheben dahin und überrascht letztlich durch ihre raffinierte
Bescheidenheit. "Ohnehin" ist eine gelungene Mischung aus kurzweiligen
Episoden und tiefgründigen Einsichten in die Komplexität des Alltags,
wie er sich durch Geschichte und Gegenwart in den 90er Jahren
präsentiert.
hagalil.com
07-07-04 |