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Wechselspiel zwischen den Zeiten und Welten:
Die Vertreibung aus der Hölle


Robert Menasse, Die Vertreibung aus der Hölle
Suhrkamp 2003
Euro 12,00

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Wer waren unsere Lehrer? Mit dieser Frage und ihrer – für die Lehrer – peinlichen Antwort läßt Viktor Abravanel im Wien der 80er Jahre sein Klassentreffen platzen. Was folgt, ist die Aufarbeitung eines halben Lebens als ewiger Außenseiter, Sohn jüdischer Emigranten, 68er-Aktivist, männliches Opfer der Frauenbewegung (ja, das gab's!) und streitbarer Historiker.

Und das vermischt sich mit der Lebensgeschichte von Samuel Manasseh ben Israel, jüdischer Gelehrter zu Hochzeiten der Inquisition, Begründer der jüdischen Presse in Amsterdam, erfolgreicher Streiter für das Aufenthaltsrecht von Juden in England und – Lehrer von Baruch Spinoza.

Lissabon zu Zeiten der Inquisition, Wien unter den Nazis, Rembrandts Amsterdam und das Wien der 68er jeweils aus der Sicht eines jüdischen Flüchtlingssohns – im ständigen Wechselspiel zwischen den Zeiten und Welten nimmt Robert Menasse seine LeserInnen gefangen und zieht sie in das gequälte Innere eines Kindes, das vergeblich Orientierung und eine schützende Hand sucht in einer Welt, die seinen Eltern den Raum und das Recht zum Leben verweigert. Die Kinder, das sind Manuel Dias Soeiro, genannt Mané, der als Samuel Manasseh ben Israel in die Geschichte eingehen soll, und sein erfundener Nachfahre Viktor Abravanel, Kind jüdischer Überlebender im Wien des 20. Jahrhunderts. Und doch ist die strikt an zwei Ich-Erzählern aufgebaute Geschichte weit mehr als die Darstellung von zwei persönlichen leidvollen Schicksalen.

Über den Trick, die Welt aus den Augen zweier Kinder bzw. seelisch Kind-Gebliebener zu sehen, schafft es der österreichische Autor, die zwei Parallelwelten, den religiösen Vernichtungs-Wahnsinn der Inquisition und den rassistisch-nationalistischen der Naziherrschaft, so umfassend und überwältigend darzustellen, dass es streckenweise den Atem nimmt. Lesend gleitet man in die Ausweglosigkeit und Angst, die der kleine Mané nach seiner "Rettung" in die geistig und körperlich vergewaltigende "Zuflucht" des Jesuiteninternats als Dauerzustand durchlebt. Lesend wütet man mit dem halbstarken Viktor Abravanel gegen die herrschenden Verhältnisse, erst die staatlichen, dann die nicht minder oppressiven der linken Kader, bei denen er zum ersten Mal Heimat zu finden glaubte.

Das scheinbar normale Leben nach den traumatischen Erlebnissen der Verfolgung bleibt hinter dem Schleier aus erstarrter Einsamkeit, durchdringt den inneren Schutzwall nicht, kann die tief eingewurzelte Skepsis gegenüber allen äußeren Kriterien nicht besiegen. Die Eltern des kleinen Mané, versteckte Juden, die heimlich nach ihrer Tradition leben mußten, die unter den "strengen Verhören" der Inquisition gelitten haben, verlassen ihre Heimat in Särgen versteckt, leben auch im sicheren Ausland nicht wirklich auf, obwohl sie es mit aller Kraft versuchen. Ihr körperliches Sterben wenig später macht diesen Zustand für Mané nur noch manifest. Die Eltern von Viktor schweigen über ihre Erlebnisse, bauen ihr Leben getrennt noch einmal auf, holen nach – nein, das geht nicht – erkämpfen sich den Rest ihres Lebens in Freiheit (?), beide für sich allein, da ist kein Platz für den Partner mehr, da ist kein Platz für das Kind.

Der Vordenker und Kämpfer für die Rechte der Juden, Manasseh ben Israel, bleibt bei Menasse ein staunender, fremdbestimmter und getriebener Junge, der bei all dem, was er schafft, und was ihm Platz in den Enzyklopädien sichert, die tiefe Unsicherheit seiner Kindertage mitschleppt, die Welt als ständiges Provisorium ertragend. Demgegenüber ist Viktor zum Ankläger geworden, wütend und analytisch bis zur Selbstgerechtigkeit. Was sie verbindet, ist die Aura des Suchenden, des Verlorenen, des um sein Leben Ringenden. Das ist nicht versöhnlich abzurunden, das geht einfach nur irgendwann zu Ende.

hp / hagalil.com 29-07-03











 

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