Erinnerungskultur und historische
Verantwortung nach der Schoah:
»Niemand zeugt für den Zeugen«Herausgegeben
von Ulrich Baer
Dieser
Sammelband zur Erinnerungskultur betrachtet die Auseinandersetzungen um den
Umgang mit dem Holocaust unter einem völlig neuartigen Blickwinkel: Sie
werden nämlich auf eine radikale historische Krise der Zeugenschaft
zurückgeführt, deren Auswirkungen die individuellen und kollektiven
Verhaltensweisen bis in die Gegenwart bestimmen.
In der
Einleitung des Herausgebers und weiteren 13 internationalen
Beiträgen wird daher der Frage nachgegangen, wie man sich heute einem
Ereignis annähern kann, das unser Begriffs- und Deutungsvermögen übersteigt.
Als Antwort auf diese Frage werden literarische und filmische Darstellungen
des Holocaust, Zeugenaussagen und die Anklagestrategien in den Nürnberger
Prozessen, therapeutische Prinzipien und die Moraltheorie, verbreitete
Erklärungsmuster des Rassismus sowie geschichtsphilosophische Grundannahmen
eingehenden Analysen unterzogen, wobei Zeugenschaft als bislang übersehenes
zentrales Moment in den Diskussionen zur Erinnerungskultur herausgearbeitet
wird.
In Anschluß an diese Erkenntnisse präsentiert dieser Band die Zeugenschaft
grundlegend neu als Frage nach der ethischen Haltung einer Person, die sich
mit Zeugnissen von extremer Gewalt konfrontiert sieht. Die Beiträger wie
Geoffrey Hartman, Shoshana Felman, Claude Lanzmann oder Lawrence Langer
haben die Debatte zu diesem Thema in den letzten Jahren maßgeblich bestimmt.
Ulrich Baer - Einleitung:
..."Es geht um die Verpflichtung und um die Möglichkeit, »für den
Zeugen zu zeugen«, indem wir auf die in jedem Zeugnis erhaltene Aufforderung
zum Zuhören und zur Antwort dadurch reagieren, dass wir für die Wahrheit der
bezeugten Erfahrung mitverantwortlich werden"...
I. Zugänge zur Zeugenschaft
Geoffrey Hartman
Intellektuelle Zeugenschaft und die Schoah
Lawrence Langer
Die Zeit der Erinnerung. Zeitverlauf und Dauer in Zeugenaussagen von
Überlebenden des Holocaust
Dori Laub
Zeugnis ablegen oder
Die Schwierigkeiten des Zuhörens
Cathy Caruth
Trauma als historische Erfahrung: Die Vergangenheit einholen
II. Sekundäre Zeugenschaft
Claude Lanzmann
Der Ort und das Wort
Pierre Vidal-Naquet
Überlegungen zu drei Ravensbrück
Jared Stark
Die Aufgabe der Zeugenschaft.
Das Holocaust-Zeugnis der Alina Bacall-Zwirn
Robert Cohen
Identitätspolitik als politische Ästhetik. Peter Weiss' Ermittlung
im amerikanischen Holocaust-Diskurs
Shoshana Felman
Im Zeitalter der Zeugenschaft: Claude Lanzmanns Shoah
III. Zeugenschaft und Medien
Lawrence Douglas
Der Film als Zeuge. Nazi Concentration Camps vor dem Nürnberger
Gerichtshof
Bernd Hüppauf
Der entleerte Blick: Gewalt im Visier
Ulrich Baer
Zum Zeugen werden. Landschaftstradition und Schoah
oder Die Grenzen der Geschichtsschreibung im Bild
Avital Ronell
Trauma-TV: Video als Zeugnis. Zwölf Schritte jenseits des Lustprinzips
Die Autorinnen und Autoren, Drucknachweise
edition suhrkamp 2141
Erste Auflage 2000 © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2000
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Rezensionen
Manfred Schwarzmeier, aus der Amazon.de-Redaktion
Seit einigen Jahren haben Bücher Hochkonjunktur, die sich mit der
Kultur des Erinnerns an die Shoah auseinandersetzen. Einerseits werden dabei
-- wie z. B. bei
Peter Reichels Politik mit der Erinnerung -- Aspekte der
Instrumentalisierung von Erinnerung herausgearbeitet, andererseits wird die
Verantwortung, die aus dem Ablegen von Zeugnissen für die Nachkommenden
erwächst, thematisiert.
Um die Zeugenschaft als dem bislang "übersehenen zentralen Moment in den
Auseinandersetzungen um den Umgang mit dem Holocaust" geht es bei dem
vorliegenden, von Ulrich Baer herausgegebenen Band. Ohne die Augenzeuginnen
und -zeugen wäre es nicht möglich gewesen, die wahre Geschichte der
Vernichtung der europäischen Juden in ihren alle moralischen Vorstellungen
sprengenden Dimensionen zu erfassen.
Auf hohem wissenschaftlichem Niveau greifen die dreizehn Verfasser des
Bandes verschiedene Perspektiven der Zeugenschaft auf. Im ersten Teil
diskutieren so renommierte Autoren wie Geoffrey Hartmann (Der
längste Schatten) Reichweite und Begriff der Zeugenschaft. Probleme
selektiver Wahrnehmung und Erinnerung werden dabei genauso analysiert wie
Lösungskonzepte. Im zweiten Abschnitt treten Art und Form der Darstellung
von Zeugnissen in den Vordergrund. Claude Lanzmann, Autor des Films Shoa,
spricht in diesem Zusammenhang von der eigentlichen "Unmöglichkeit", die
Judenvernichtung erzählen zu können. Nur durch die Aussagen der Zeugen
gelang ihm letztlich die schwierige Annäherung an dieses Thema. Der dritte
Teil ist schließlich dem mitunter sehr problematischen Verhältnis der Medien
zur Zeugenschaft gewidmet. Fotos und Filme bilden Wahrheit nicht nur ab, sie
kreieren sie auch.
Dieser intellektuell anspruchsvolle Band zeigt mit drastischer Deutlichkeit,
dass Erinnerung beileibe nichts Leichtes ist. Nicht für die, die sich
erinnern; nicht für die, die sich damit beschäftigen.
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Der Autor über sein Buch
Eindringliche und provokante Aufsaetze zur Gedaechtniskultur
Der vorliegende Sammelband zur Erinnerungskultur schafft einen völlig
neuartigen Kontext für die Auseinandersetzungen um den Umgang mit dem
Holocaust: Der Holocaust wird als eine radikale historische Krise der
Zeugenschaft verstanden, deren Auswirkungen die individuellen und
kollektiven Verhaltensweisen bis in die Gegenwart bestimmen.
In den internationalen 14 Beiträgen wird nach der grundsätzlichen
Möglichkeit des Zugangs zu einem Ereignis gefragt, das kollektive Begriffs-
und Deutungsvermögen übersteigt. Als Antwort darauf werden literarische und
filmische Darstellungen des Holocaust, Zeugenaussagen und die
Anklagestrategien in den Nürnberger Prozessen, therapeutische Prinzipien und
die Moraltheorie, verbreitete Erklärungsmuster des Rassismus und
geschichtphilosophische Grundannahmen eingehenden Analysen unterzogen, wobei
Zeugenschaft als bislang übersehenes zentrales Moment in den Diskussionen
zur Erinnerungskultur herausgearbeitet wird.
Im Anschluß an diese Erkenntnisse präsentiert der Band die Zeugenschaft
grundlegend neu als allgemeine Frage nach der ethischen Haltung einer
Person, die sich heute mit Zeugnissen von extremer Gewalt konfrontiert
sieht. In den Beitraegen werden Fragen eroeffnet, die so noch nicht in
deutschen Debatten gestellt wurden und radikal neue Perspektiven auf die
Erinnerungskultur eroeffnen.
Dieses Buch greift also nicht nur konkret in die aktuelle Debatte um die
Erinnerungskultur ein, sondern es stellt sich bewußt der brisanten und
besonders für Nichtspezialisten wichtigen Frage, wie und warum man sich
heute überhaupt noch mit dem Holocaust beschäftigen soll – und kann. Anders
als in anderen Publikationen zum Thema wird den Lesern hier ein theoretisch
fundierter und dennoch wirklichkeitsnaher Ansatz geboten, sich damit
auseinanderzusetzen, was und wie sie persönlich – und was die Deutschen als
Nation – erinnern sollen und können.
Die Beiträger wie Geoffrey Hartman, Shoshana Felman, Claude Lanzmann
(Shoah), Avital Ronell oder Lawrence Langer haben die Debatte zu diesem
Thema in den letzten Jahren maßgeblich bestimmt.
Der Herausgeber ist Assistant Professor of German an der New York University
in den Vereinigten Staaten.
Aus der
Einleitung von Ulrich Baer
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18-04-04 |