Dagegenhalten:
Zivilcourage und widerständisches Verhalten
Eine Rezension von
Karl Pfeifer
Alfred Polgar äußerte nach 1945 die pointierte Meinung, dass es im Land
Salzburg mehr Nazi als Bürger gäbe. Tatsächlich gab es viele Kontinuitäten
in diesem Bundesland, aber es gab auch eine kleine Minderheit, die gegen den
braunen Strom schwamm. Karl Reinthaler gehörte zu dieser Minderheit und war
Anlass des vorliegenden Sammelwerks. Reinthaler wurde 1942 wegen
"Vorbereitung zum Hochverrat" verurteilt und musste mehrere Jahre im
Zuchthaus verbringen. 1972 wurde er sozialistischer Bürgermeister der
Gemeinde Saalfelden.
Winfried R. Garschas
Eröffnungsrede über "Formen des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus
1933-1945 beinhaltet eine Beschreibung von Zivilcourage und Widerstand und
wirft die Frage auf, ob man den Widerstand eng oder breit definieren
soll. Garscha geht auch auf das österreichische Opferfürsorgegesetz ein, das
den Widerstandsbegriff sehr eng formulierte. Dieses Gesetz, welches bis
heute einen Unterschied macht zwischen denen die einen Beitrag zur Befreiung
Österreichs geleistet haben, die besser behandelt werden und diejenigen, die
man hier ausgeraubt und aus dem Land gejagt hat, und die an eine Seite der
österreichischen Geschichte erinnern, an die man sich nicht mehr erinnern
wollte und die man, auf solche Traditionen glaubt "das erste Opfer" nicht
verzichten zu können, bis heute schlechter behandelt.
Ein ehemaliger
Widerstandskämpfer erklärte den Unterschied zwischen der
(deutsch-)österreichischen Volksgemeinschaft und einem wirklich besetztem
Land: "Er stellte einen fiktiven Vergleich zwischen zwei Personen, die 1941
oder 1942 in Paris bzw. Wien von der Polizei auf der Flucht waren und nach
einem Versteck suchten, an. Der flüchtende Pariser würde wohl eher
Unterschlupf finden, wenn er behauptete, er werde von der Polizei aus
politischen Gründen gesucht, auch wenn er ein gewöhnlicher Dieb sei. Der
flüchtende Wiener müsse sich als Dieb ausgeben, auch wenn er ein
Widerstandskämpfer wäre, da er sonst auf jeden Fall denunziert würde."
Garscha geht auf das
schwierige Problem der lange vertuschten Verbrechen des stalinistischen
Terrors ein und beleuchtet auch die Frage der Legitimät des Widerstands und
behandelt dabei die aktuelle Situation in Israel/PA. Über die von
palästinensischen Selbstmordattentäter begangenen Anschläge schreibt er:
"Derartige von einem militaristischen Kult der Gewalt inspirierte
terroristische Aktionen delegitimieren die politischen Ziele – zwar
möglicherweise (noch) nicht in den Augen der Mehrheit der unterdrückten
palästinensischen Bevölkerung, wohl aber auf der für die Lösung des
Konflikts letztendlich entscheidenden internationalen Ebene."
Dann aber setzt
Garscha ein Gleichheitszeichen zwischen diesem Terror, der "möglichst viele
Menschen auf möglichst spektakuläre Weise umbringen [will], unabhängig
davon, ob es sich um Angehörige des Sicherheitsapparates oder zufällige
Passanten handelt" und Israel, das "sich selbst terroristischer Methoden
bedient (z.B. die gezielten Anschläge israelischer Sicherheitskräfte auf
mutmaßliche Drahtzieher von Mordanschlägen auf palästinensischer Seite, um
sich die Mühe von Verhaftung und Gerichtsverfahren zu ersparen)..."
In Wirklichkeit
gestattet das internationale Recht während Feindseligkeiten die
militärischen Führer der Gegenseite auszuschalten. Das ist ja genau das
Gegenteil einer kollektiven Bestrafung, denn mit dieser Taktik versucht man
den zukünftigen Terrorismus zu verhindern, wenn man die Terroristen nicht
verhaften kann. Diese Taktik wurde und wird nicht allein von Israel benützt,
sondern von einer Reihe von demokratischer Staaten.
Im April 2003 wurde
der Anführer des palästinensischen islamischen Jihad, Mahmud Zatme mit einer
Rakete getötet. Seine Organisation "verurteilte das Töten", um dann zu
erklären, "Der Märtyrer war der Bauer von Bomben und Sprenggürteln die
Dutzende zionistische Besatzer töteten und Hunderte verletzten" und meinte
damit Kinder und Zivilisten.
Gezielte Tötungen
sollen nur als Ultima ratio angewendet werden, wenn es keine Möglichkeit
gibt, den Mörder zu verhaften oder festzunehmen (obwohl das Kriegsrecht dies
nicht einmal verlangt, weil der Mörder ein Kriegsteilnehmer ist) wenn der
Terrorist in eine gerade stattfindende mörderische Tätigkeit involviert ist
und wenn die gezielte Tötung mit angemessenen Sicherheitsbedenken für
unschuldige Dritte vollstreckt werden kann.
Im Gegensatz zum
Terrorismus ist Verhältnismäßigkeit von entscheidender Bedeutung für jede
militärische Handlung, und gezielte Tötungen sollten auch mit Hilfe dieses
Konzeptes bewertet werden.
Die Frage ob die
illegale NSDAP 1933 – 1938 eine Oppositionspartei oder eine terroristische
Organisation war wird mit Fakten beantwortet, die vom Dokumentationsarchiv
des österreichischen Widerstandes und vom Karl von Vogelsang Institut im
Rahmen des Projektes "Opfer des Terrors der NS-Bewegung in Österreich
1933-1938" erforscht wurden. Im Ständestaat gab es ca. 70.000 illegale
Nazi (ab Herbst 1937 über 100.000) gegenüber jeweils rund 16.000 Mitgliedern
der Partei der Revolutionären Sozialisten und der Kommunistischen Partei.
Helga Amesberger
setzt sich mit Frauen im Widerstand auseinander und kommt zum Schluss:
"Frauen waren nicht zuletzt aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung nicht
in führenden Positionen tätig. Dennoch wäre Widerstand – so wie er statt
gefunden hat – nicht ohne die Leistungen, den Einfallsreichtum und die
Risikobereitschaft dieser Frauen möglich gewesen."
Christian G. Allesch
untersucht "Mutter Courage aus persönlichkeits-psychologischer Sicht". Die
Arbeit von Renate Langer befasst sich mit "Widerstand und Anpassung in
der österreichischen Literatur nach 1945". Zustimmen kann man ihr, wenn sie
schreibt: "Die Nachkriegsliteratur spiegelt diesen Zeitgeist wider. Die
österreichische Beteiligung an den Naziverbrechen fiel der kollektiven
Verdrängung ebenso anheim wie der Widerstand, den Österreicher dagegen
leisteten."
Ursula
Kubes-Hofmanns Thema ist "Dagegenhalten. Blickpunkt "Gendered society" im
Dienste "neuer" Gesellschaftsentwürfe". Sie analysiert das Thema vom
feministischen Blickwinkel: "Unbestritten handelt es sich bei der
historischen Begriffsgenese des Wortes "Zivilcourage" um eine männliche
Herschaftsgeschichtsschreibung seit der Antike."
Nur weil die
Dramatikerin Olympe de Gouges 1791 die "Deklaration der Rechte der Frau und
Bürgerin" im Jahr 1791 publizierte kann man – glaube ich – nicht vom
"politische(n) Kampf der Frauen um gleiche Rechte, der durch den Code
Napoleon brutal niedergeschlagen wurde" schreiben, denn eine wirkliche
Bewegung zur Gleichberechtigung der Frau gab es erst ab Mitte des 19.
Jahrhunderts. Ich gehe nicht ein auf ihre Kritik an den Arbeiten von
Brigitte Scheele ein. Befremdend wirkt der Vorwurf an die Regierung
Schüssel: "Hier kann sogar eine Handarbeitslehrerin Wissenschafts- und
Bildungsministerin werden". Man kann allerlei Kritik an Elisabeth Gehrer
üben, aber ihr zu Last legen, dass sie Handarbeitslehrerin war, ist nicht
fair.
Kubes-Hofmann macht
es sich leicht, wenn sie behauptet in den repräsentativen Demokratien,
handeln die PolitikerInnen "ihre eigene Privatmoral ab, indem sie die
Rhetorik der Geschlechterdiskurse einsetzen und die "emanzipierte,
europäische Frau" gegen die "unterworfene Frau des patricharchalen Orients"
verteidigen." Es ist ein eigenartiger Feminismus, der nicht bereit ist auf
die konkreten Probleme von Frauen, einzugehen, die mitten unter uns von
ihren Familien Verhaltensweisen und Regeln unterworfen werden, die ihre
Rechte verletzen und diese Frauen diskriminieren. Wenn nach einer Umfrage
eines Meinungsforschungsinstituts 45 Prozent der Frauen sagen, dass es ihnen
wichtig wäre, dass nicht immer mehr Ausländer ins Land kommen, Ruth
Beckermann zitiert wird, die in Österreich einen "Hort der Reaktion" sieht,
dann sollte man doch die Ergebnisse einer solchen Meinungsumfrage wenigstens
mit denen anderer europäischer Länder vergleichen und nicht gleich
versuchen, sich selbst als aufgeklärt und fortschrittlich, und fast die
Hälfte aller Frauen als reaktionär hinzustellen.
Kubes-Hofmann
beanstandet, dass der Innenminister 2002 "wieder einmal die Bevölkerung zu
mehr "Zivilcourage" aufgerufen [hat], weil "die Bekämpfung der Kriminalität
nicht nur Aufgabe des Staates, sondern der ganzen Gesellschaft sei." Aber
wenn in der U-Bahn ein Randalierer einen Farbigen angreift und die Leute
wegschauen und nicht eingreifen, da ist Zivilcourage gefragt, und zwar ohne
Anführungszeichen.
Iris Berben erhielt
ein "Bambi für Zivilcourage", Grund genug für Kubes-Hofmann höhnisch zu
fragen: "Worin liegt der Akt der "Zivilcourage" bei Iris Berben eigentlich?
Beim Schminken für den nächsten Auftritt?"
Freilich ortet sie
auch alles Übel: "Die Allianz mit der heterosexistischen und heterosexuellen
Geschlechtermoral erfolgt heute überall, denn sie ist die Grundlage des
patriarchalischen Kapitalismus, der heute im Gewand einer pazifizierten
Männlichkeit neoliberalen Lifestyles dort erscheint, wo die "bürgerliche
Respektabilität" gefragt ist."
Wie stimmt das
überein mit der Tatsache, dass die Homosexuellen zuerst in den USA begonnen
haben, für ihre Gleichberechtigung in der Gesellschaft zu kämpfen?
Die Arbeit von
Natalia Wächter "Jugendliches Engagement in Gesellschaft und Politik" zeigt,
dass es um die Jugend nicht so schlecht steht, wie das gewisse Kommentatoren
behaupten, denn Jugendliche sind bei weitem mehr politisch interessiert und
engagiert als ihnen zugeschrieben wird. Allerdings gibt es "mehr Bedarf an
unkonventionellen Beteiligungsformen, wo nicht-hierarchische
Entscheidungsstrukturen vorherrschen, sondern basisdemokratisch vorgegangen
wird."
Tatsächlich fehlt in
Österreich eine Basis an politischer Bildung: "Erst wenn Jugendliche wissen,
welche Auswirkungen politische Entscheidungen auf ihr Leben und auf das
Leben anderer haben können, werden sie sich mehr für Politik interessieren
und sich in der Folge auch verstärkt aktiv in Gesellschaft und Politik
einbringen."
hagalil.com
15-02-07 |