Sabine Falch, Moshe Zimmermann (Hg.):
Israel – Österreich
Von den Anfängen bis zum Eichmann-Prozess 1961
StudienVerlag Innsbruck, 2005
Euro 26,00
Bestellen? |
Von den Anfängen bis zum Eichmann-Prozess 1961:
Israel – Österreich
Eine Rezension von Karl Pfeifer
Der vorliegende, von Sabine Falch und Moshe Zimmermann
herausgegebene Band Israel-Österreich beinhaltet acht sehr verschiedene
Aufsätze zu den Themen "Identität der ÖsterreicherInnen in Eretz Israel"
sowie "Diplomatie und österreichisch-israelische Vergangenheitsbewältigung".
Dieter J. Hecht schildert sachlich und fundiert die
Schwierigkeiten und Probleme in "Juden aus Österreich in Israel – Die
Hitachtut Olej Austria" die Einwanderung und Integration von Juden aus
Österreich in Israel von den Anfängen bis in die 1960er Jahre". Zu Recht
verweist Hecht in seiner Zusammenfassung auf die Schäbigkeit der Republik
Österreich in ihrem Umgang mit den Opfern des Nationalsozialismus: "Die
Integration in die israelische Gesellschaft verlief größtenteils nach
ähnlichem Muster wie jene der Einwanderer aus Deutschland. Der Großteil der
Einwanderer konnte sich erfolgreich integrieren und eine neue Existenz
aufbauen. Im Vergleich zwischen deutschen und österreichischen Einwanderern
hatten erstere aufgrund von zwischenstaatlichen Abkommen vor 1939 und vor
allem nach 1945 bessere Möglichkeiten, ihren ehemaligen Lebensstandard
wiederzuerlangen. Die Bundesrepublik Deutschland tätigte umfangreiche
Entschädigungszahlungen, während die Republik Österreich immer nur zu
unzureichenden Detaillösungen bereit war."
Hecht (und auch die Herausgeber wundern sich in ihrem
Vorwort) warum Juden aus Österreich im Gegensatz zu Juden aus Deutschland
häufig die Mitverantwortung Österreichs am Nationalsozialismus ausblendeten
und somit in einer differenzierteren Form den Mythos der österreichischen
Opferthese übernommen hatten. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass sie
die Gefühlskälte der meisten ihrer früheren Landsleute kannten, wenn es um
das Verhältnis zu Juden ging, und sie nur in der Betonung ihrer Liebe zu
Kultur und Landschaft der ehemaligen Heimat und Akzeptanz aller
österreichischen Lebenslügen eine Chance sahen, einen Bruchteil von dem
wiederzubekommen, was ihnen ihre Landsleute geraubt hatten.
Da ich selbst von meinem 14. bis zu meinem 18. Lebensjahr
in einem Kibbuz erzogen wurde, habe ich gegen den größten Teil des Beitrags
von Helga Embacher "Jugendliche Hitler-Flüchtlinge im Kibbuz – Utopie und
Wirklichkeit" auch dort keine Einwände, wo ich zu anderen Schlussfolgerungen
komme wie sie. Ihr Kapitel "Nationsbildung im Krieg" ist aber äußerst
problematisch. Denn eine Nationsbildung in Erez Israel gab es seit der
Einrichtung des britischen Mandats 1922. Der Jischuv (die dort lebenden
Juden) schufen sich noch vor der Errichtung des Staates Israel alle
Institutionen, die ein Staat benötigt. Hier sich nur auf orale Historie zu
stützen, birgt die Gefahr in sich, die Geschichte nach ideologischen
Vorurteilen zu reduzieren, ja umzuschreiben. Wie problematisch das ist,
zeigen die Aussagen des Hans T., der 1953 Israel verließ und mit dem
Embacher 2001 in Wien ein Interview über seine Erfahrungen im Kibbuz führte.
Von der Bemerkung "Hans musste an keinen Vertreibungen teilnehmen" geht es
nahtlos zu den "neuen Historikern" über, die am Mythos des
"Unabhängigkeitskriegs" rührten "indem sie auf die gewaltsame Vertreibung
der arabischen Bevölkerung verwiesen". Embacher findet es nicht der
Erwähnung wert, dass der Unabhängigkeitskrieg, den sie unter
Anführungszeichen setzt, von den arabischen Nachbarn ausgelöst wurde. Wenn
sie das von ihr erwähnte englischsprachige Werk von Benny Morris (1987)
wirklich gelesen hätte, dann hätte sie auch erfahren, dass von den 600.000 –
700.000 arabischen Flüchtlingen nur ein Bruchteil während der
Kriegshandlungen vertrieben wurde. Nicht unter Anführungszeichen setzt
Embacher die Nakba, die hauptsächlich von den arabischen Anführern
verursacht wurde, die jeden Kompromiss mit ihren jüdischen Nachbarn
ablehnten und deren hasserfüllten und blutrünstigen Erklärungen gegen die
Juden Israels ihrer Katastrophe (Nakba) vorausgingen.
Man muss nicht unbedingt Hebräisch können, um über Israel
zu schreiben, doch die Autorin kompensiert ihre Unkenntnis der israelischen
Landessprache durch gewagte, tendenziöse und zum Teil unwahre Behauptungen
wie "Die Kriegsgeneration hat selbst kaum öffentlich über ihre dramatischen
Kriegserfahrungen, über die Teilnahme an der Zerstörung von arabischen
Dörfern oder die Vertreibung der Bevölkerung gesprochen". Sie erwähnt zwar
in einer Fußnote ein 1997 auch in deutscher Sprache erschienenes Buch von S.
Yishar, jedoch nicht die Tatsache, dass er ein anderes kritisches Buch
bereits 1949 in Hebräisch veröffentlichte und dies eines der
meistdiskutierten Bücher Israels war. Für israelische Mittelschüler wurde
Yishars Buch Pflichtlektüre. Bereits im Oktober 1967 erschien in Israel die
erste Ausgabe des Sammelbandes "Siach Lochamim", in dem Soldaten des
Sechstagekrieges sich oft sehr kritisch mit der Geschichte
auseinandersetzen. Sehr unterschwellig, wird von Embacher der Eindruck
erweckt, dass es eine Parallele gäbe, zwischen der von Deutschen und
Österreichern begangenen Beraubung und Ermordung der Juden, die Juden
erleiden mussten und dem Krieg von 1947-48. Ausgeblendet wird die Tatsache,
dass auch Juden von Arabern vertrieben worden sind, zum Beispiel aus
Ostjerusalem und aus Hebron und dass im Gegensatz zu Israel, wo 150.000
Araber blieben, in den von Arabern verwalteten Gebieten kein einziger Jude
bleiben durfte. Embacher: "Als Sabres par excellence galten Moshe Dajan,
Yigal Allon und Jizchak Rabin. Die Sabres hatten, wie man heute sagen würde,
ihre eigene Subkultur [...] an den Juden in der Diaspora zeigten sie kein
sonderliches Interesse." Wirklich? Immerhin hatten viele von ihnen Kopf und
Kragen riskiert, um die Überlebenden der Shoa nach Erez Israel zu bringen.
Doch dann macht sie noch einer ganzen Generation den Vorwurf: "Sie waren
keine Liberalen, keine gewandten Menschen mit vielen kulturellen Interessen,
sondern im Grunde Bauern und Soldaten, wie sie durch die palästinensische
Wirklichkeit geprägt waren."
Das hat nichts mit der Wirklichkeit der Kibbuzerziehung zu
tun. Die Tradition der Arbeiterbildung wie sie in Österreich bis 1934
bestand, wurde gerade in den Kibbuzim fortgesetzt. In der Schule lernten wir
auch Weltgeschichte und Weltliteratur und es gab in jedem Kibbuz eine
reichhaltige mehrsprachige Bibliothek, Vortragende wurden eingeladen und
unvergesslich sind mir, die klassischen Schallplatten-Konzerte auf dem Rasen
vor dem Kibbuzspeisesaal, die oft von einleitenden Vorträgen begleitet
wurden. Richtig ist, dass man in der Regel im Kibbuz keine formale Bildung
erwarb, die von der Autorin anscheinend überschätzt wird. Es ist auch
abschätzig, Bauern und Soldaten pauschal jedes Interesse an Kultur
abzusprechen.
Vollends von ihren Vorurteilen lässt sich Maria Ecker
leiten, die sich mit dem Schicksal von weiblichen Holocaust-Überlebenden
befasst. Sie hat ein Oral-History Projekt durchgeführt, das ihr ermöglicht,
ihre Vorurteile zu transportieren. Wenn der von der Autorin zitierte Tom
Segev darauf hinwies, dass die allermeisten Überlebenden Flüchtlinge, "keine
zionistischen Idealisten" waren, und sie nur kamen, weil kein anderes Land
sie aufnahm, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Der Zionismus hatte unter
Juden vor dem Holocaust viele Gegner. Von diesen hörte man nach dem
Holocaust keinen Ton. Damals hatten die Zionisten die Hegemonie. Die
antizionistische Linken hätten doch nach 1945 die Möglichkeit gehabt, den
Überlebenden des Holocausts eine Alternative zu bieten. Doch eine solche
boten sie nur denjenigen Überlebenden an, die bereit waren auf ihre jüdische
Identität zu verzichten. Und in Österreich gab es sogar Kommunisten, die
eine antisemitische Demonstration gegen diese Überlebenden anführten. In
Robert Knights Buch "Ich bin dafür die Sache in die Länge zu ziehen" wurde
diese Demonstration in Hallstadt dokumentiert.
Als das illegale Einwandererschiff Exodus im Sommer 1947
mit 4.500 Überlebenden von den Briten abgefangen und nach Marseille
geschickt wurde, offerierte die französische Regierung all denjenigen, die
in Frankreich bleiben wollten das Aufenthaltsrecht und materielle Hilfe, von
dem großzügigen Angebot machten, wie das Benny Morris in seinem Buch
"Righteous Victims" vermerkt, nur wenige Gebrauch. Aber durch Tatsachen
lässt sich Ecker nicht beirren: "Insbesondere Jiddisch war in Israel
verpönt, gehörte diese Sprache doch zum alten "ewigen Juden". Es gab und
gibt bis heute eine jiddischsprachige Tageszeitung, Theateraufführungen und
Radiosendungen. Und Ben Gurion, aber auch andere israelische Politiker
sprachen vor neuen Einwanderern oft Jiddisch.
Selbstverständlich beruft sich Ecker auf die "neue
Historikerin" Zertal, wenn sie behauptet "Das Bild des schwachen
Diaspora-Juden im Gegensatz zu den starken und gesunden Sabres war so fest
verwurzelt, dass dies auch zu einer ablehnenden Haltung gegenüber den
Holocaust-Überlebenden führte." Auch hier eine unzulässige
Verallgemeinerung, die keinesfalls der sehr widersprüchlichen Wirklichkeit
gerecht wird. Ecker erwähnt zwar, dass der neue Staat mit enormen
wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatte und dass bis Ende 1949 beinahe
350.000 Holocaust-Überlebende kamen und damit etwa ein Drittel der damaligen
israelischen Bevölkerung waren. Doch bringt sie dies nicht in Relation zu
den von ihr geschilderten Schwierigkeiten überlebender Frauen. Ecker: "Die
ersten Jahrzehnte des 1948 gegründeten Staates basieren auf einem
merkwürdigen Widerspruch: Der Holocaust wurde einerseits verschwiegen und
verdrängt, diente aber anderseits von Anfang an dazu, eben diesen Neubeginn
ideologisch zu verankern. Hätte es einen jüdischen Staat gegeben, hätte sich
der Holocaust nie ereignen können, lautete die Botschaft, die an die Welt
gerichtet wurde."
Was ist an dieser Botschaft eigentlich auszusetzen? Wie
hätte man in einem Land, in dem man an Sommertagen, viele Menschen mit einer
eintätovierten Nummer am Arm sehen konnte, den Holocaust verschweigen
können? Immerhin haben die Bücher des Schriftstellers, der sich KZ-.nik
nannte, große Auflagen erlebt. Einige bedeutende nichtjüdische Politiker,
wie A. Gromyko haben nach 1945 festgestellt, dass die Juden schutzlos waren
und deswegen einen eigenen Staat benötigen und der Teilungsbeschluss der UNO
(1947) verankerte dies. Sicher wurde mit Recht an Israels Gedenkkultur oft
auch Kritik geübt. Aber die Vorhaltungen Eckers sind oberflächlich und
tendenziös.
Dann beanstandet sie die Aussage einer Zeitzeugin, die mit
israelischen Schülern nach Polen fährt, als "die gewünschte politische
Botschaft" weil sie den Jugendlichen folgendes sagt: "Seht ihr Kinder, die
Juden haben hier 850 Jahre lang gelebt. [...] Und was ist passiert? Man hat
sie verschleppt. Getötet [...] Passt sehr auf auf unser Land. Weil das ist
passiert, weil wir kein Land gehabt haben. Und wenn wir damals ein Land
gehabt hätten, dann hätte das nicht passieren können." Was also sollte eine
Zeitzeugin sagen, angesichts dessen was die deutsch-österreichische
Volksgemeinschaft am jüdischen Volk verbrochen hat? Sollte man sich ein
Beispiel nehmen an den österreichischen Antifaschisten, die lange Jahre in
Auschwitz behaupteten, es handle sich um "österreichische Opfer" ohne darauf
hinzuweisen, dass diese nur deswegen deportiert worden sind, weil sie Juden
waren? Maria Ecker fasst zusammen: "Seit den 1980ern wird nicht nur der
Holocaust, sondern werden auch die Überlebenden selbst durch ihre Tätigkeit
als ZeitzeugInnen für die Rechtfertigung der Existenz des Staates
instrumentalisiert. Der Staat Israel hat zwar den Holocaust in seine
zionistische Ideologie integriert, nicht aber die Überlebenden in seine
Gesellschaft." Diese Sätze sagen viel über Maria Ecker und nichts über
Israel und seine Wirklichkeit aus.
Zum Glück gibt es auch ganz andere Beiträge in diesem
Sammelband, so der sachliche und wohl recherchierte wie der von Sabine Falch
"Österreicher oder Israelis? Staatsbürgerschaft als Frage von Identität und
Pragmatik". Zu diesen gehört auch die Untersuchung "Historische Erinnerung
und "normale" Zukunft: Israels Reaktion auf die österreichische
De-facto-Anerkennung" von Yotam Hotam sowie der Beitrag von Eyal Gertmann
über die österreichisch-israelischen Sportbeziehungen 1948-1956 aus Sicht
der israelischen Gesellschaft.
Ein besonderes Lob verdient der ausgezeichnete Beitrag von
Winfried R. Garscha "Eichmann: Eine Irritation, kein Erdbeben. Zu den
Auswirkungen des Prozesses von Jerusalem auf das Österreich des 'Herrn
Karl'". Garscha geht detailliert ein auf das Scheitern der Bemühungen zur
Bestrafung der österreichischen "Eichmänner". "Die Erschütterungen der
Waldheim-Affäre, die Österreichs Verhältnis zur NS-Vergangenheit neu
definierte, erreichen die Justiz nicht. Während gesellschaftliches
Bewusstsein einem ständigen Wandel unterworfen ist, können Versäumnisse der
Justiz spätestens nach dem Tod der Täter nicht mehr "repariert" werden."
Garscha publizierte auch ein äußerst interessantes Interview mit dem
ehemaligen österreichischen Beobachter beim Eichmann-Prozess, Ministerialrat
a.D. Dr. Josef Wiesinger. Auch der Beitrag des Militärhistorikers Erwin A.
Schmiedl "Israel und Österreich aus militärischer Sicht" zeichnet sich durch
Genauigkeit und Sachlichkeit aus.
hagalil.com
16-06-05 |