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Klaus Hödl:
Wiener Juden – jüdische Wiener
Identität, Gedächtnis und Performanz im 19. Jahrhundert

Studien Verlag 2006
Schriften des Centrum für Jüdische Studien Band 9
Euro 22,90

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Identität, Gedächtnis und Performanz im 19. Jahrhundert:
Wiener Juden – jüdische Wiener

Rezension von Karl Pfeifer

Klaus Hödl hat ein Buch vorgelegt, das vielleicht Diskussionen auslösen wird. Er dringt tief in die Materie ein und man kann aus seinem Buch viel lernen über die Juden in der Wiener Gesellschaft.

Hödl beschreibt im ersten Kapitel "Die Juden Wiens um die Jahrhundertwende, im zweiten Kapitel "Theoretische Ansätze zur Geschichtsschreibung über Juden". Das dritte Kapitel widmet er "Performanz und Judentum", das vierte Kapitel befasst sich mit "Gedächtnisbildung am Beispiel des Wiener Jüdischen Museums", das fünfte Kapitel mit "Die Gute Stube – Angelpunkt für eine identäre Neuorientierung, das sechste Kapitel mit "Annäherung von Ost und West".

Der Autor stellt fest: "Antisemitismus, der sich zwar nicht in einem Verbalradikalismus oder in Tätlichkeiten gegen Juden niederschlagen musste, der jedoch das soziale Miteinander zwischen Juden und Nichtjuden erschwerte" gehörte zum nichtjüdischen bürgerlichen Selbstverständnis in Wien.

Er zitiert Ernst Waldinger, der wie einige "Emigranten" es taten, das Zusammenleben von "Jud und Christ" in Ottakring als eine wahre Idylle beschrieb. Hödl merkt an, dass es in Wien-Ottakring "nicht nur die von Waldinger beschriebene Friedfertigkeit und den freundschaftlichen Umgang zwischen Juden und Nichtjuden gab, sondern auch antisemitisch motivierte Ausschreitungen und Plünderungen jüdischer Geschäfte."

Hödl konstatiert hingegen bei Karl Lueger "Antisemitismus als politisches Instrumentarium". Das belegt er, wie schon so viele vor ihm mit der Freundschaft, die Karl Lueger mit dem Juden Ignaz Mandl verband. Leider hat Hödl unter seinen Quellen nicht die 1990 erschienene, wohl gründlichste Biographie von Richard S. Geehr "Karl Lueger: mayor of fin de siècle Vienna" erwähnt, die – was ein eigenartiges Licht auf das Verlagswesen in Österreich wirft – bis heute nicht in die Deutsche Sprache übersetzt wurde. Wahrscheinlich kein Zufall, denn Geehr dokumentiert den tief sitzenden unsystematischen Antisemitismus von Karl Lueger. Während seiner Amtszeit wurden antisemitische Bücher an Wiener Volksschulen benutzt, jüdische Lehrer entlassen und jüdische Beamte der Stadt nicht befördert. Lueger attackierte immer wieder die "jüdischen" Zeitungen und behauptete eine "jüdische Weltherrschaft". Und was vielleicht das schlimmste ist, er trat bevor er Bürgermeister wurde und auch nachher für die Ritualmordbeschuldigung gegen Juden ein.

1889 und 1890 war in Österreich über die Ritualmordbeschuldigung in Polna gegen den Juden Hilsner ein wichtiges Thema. Im Herbst 1889 wurde darüber im Wiener Haus der Abgeordneten diskutiert. Karl Lueger sagte 1889: "Ich weiß, daß derjenige Jude, der nach den Gesetzen Moses lebt, einen Ritualmord nicht begehen wird, das ist auch nie behauptet worden. Das schließt aber doch nicht aus, daß es einzelne Secten bei den Juden gibt (So ist es!), welche glauben, daß das Menschenblut zu irgendwelchen Zwecken gut ist, und welche sich deswegen auch zum Morde an anderen verleiten lassen, das ist auch wahrscheinlich, und traurig ist es nur, daß alle Juden sich immer annehmen, wenn so etwas geschieht..."

1890 erklärte Karl Lueger u.a.. "Ich finde es erklärlich, daß die Juden sich besonders schmerzlich berührt fühlen durch die Geschichte des sogenannten Blutrituals oder des Blutgeheimnisses oder der Blutmysterien und daher alles daransetzen, um eine vorhandene Thatsache entweder abzuleugnen, oder in anderem Lichte erscheinen zu lassen, aber ich glaube, daß gerade hier sich der alte Satz bewährt: "Wer zu viel beweist, der beweist eigentlich nichts"."

In seiner Rede erwähnte er noch "die Geschichte des Mordes von Damaskus" (Ritualmordbeschuldigung 1840) und die Ritualmordbeschuldigung in Tisza Eszlár, die Lueger als bewiesen erachtete.

Seitdem Carl Schorske vor einem Vierteljahrhundert sein Buch über das fin de siècle in Wien veröffentlicht hat, ist es wieder "in" über das Thema Juden und Wien zu publizieren. Wien hat entdeckt, dass der "jüdische Beitrag zur österreichischen Kultur" nicht nur gut zur Hebung des Fremdenverkehrs ist sondern auch vorzüglich geeignet als Stehsatz von Politikern, die vor einem jüdischen oder ausländischen Publikum eine Rede halten.

Der Autor geht auf viele interessante Einzelheiten ein. Zwar gab es vielfältige Beziehungsgeflechte zwischen Juden und Nichtjuden in Wien, und wenn es auch nicht vor 1938 zu Pogromen kam, hat der auch von Hödl geschilderte "Wiener Zwiespalt" zwischen artikulierten Worten und tatsächlichen Gesinnungen, die meisten Juden die Wirklichkeit des Antisemitismus verkennen lassen.

Klaus Hödl, Univ.Doz. Dr. Wissenschaftlicher Leiter des "Centrum für Jüdische Studien" an der Karl-Franzens-Universität Graz; Herausgeber der Zeitschrift "transversal", derzeit Lektor an der Hebräischen Universität Jerusalem.

hagalil.com 07-05-06











 

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