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Klaus Hödl (Hrsg.)
Historisches Bewusstsein im jüdischen Kontext
Strategien - Aspekte - Diskurse
Schriften des Centrums für Jüdische Studien Band 6
Studienverlag Innsbruck 2004
Euro 30,00

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Juden gelten als das Volk der Erinnerung. Die Aufforderung, sich zu erinnern, ist bereits in der Bibel häufig formuliert. Ein modernes historisches Bewusstsein bei Juden entwickelte sich allerdings erst im frühen 19. Jahrhundert - und damit später als bei Nichtjuden.

In der vorliegenden Publikation werden verschiedene Formen und Auswirkungen historischen Denkens bei Juden behandelt. Der Fokus wird dabei vordringlich auf dessen identitäre Implikationen gerichtet.

Mit Beiträgen von:
Wolfram Drews, Andreas Brämer, Iveta Cermanova, Michaela Wirtz, Gabriele
von Glasenapp, Klaus Hödl, Ulrich Wyrwa, Marcus Pyka, Anke Hillbrenner,
Gerald Lamprecht, Jens Hoppe , Daniel Weidner , Patrick Krassnitzer, Esther
Kilchmann, Stefan Krankenhagen, Peter Honigmann, Bettina von Jagow, Andrea
Brill, Annette Vowinckel

Der Held als Schwächling?
oder: Ein gemischter Charakter

Zur "biographischen Methode" in der Geschichte der Juden von Heinrich Graetz

Von Marcus Pyka

Die Geschichte sei die größte Dichterin, heißt es bei Plutarch. Derjenige, der sich ihrer Vorlagen zu bedienen weiß, verfügt also über packendes Material. Dies um so mehr, wenn es dem Autor gelingt, die längst verblichenen Gestalten der Historie wieder zum Leben zu erwecken. Nach Meinung nicht weniger seiner Zeitgenossen war dem Historiker Heinrich Graetz diese Gabe zu eigen. So hieß es etwa:

"Er war unter Wunder und Plagen aus Ägypten gezogen, er hatte an den Strömen Babels geweint, mit den Sklaven des Römers, mit den Helden Judäas, im Triumphzuge des Titus Ketten getragen, die Martyrien aller Länder mitgelitten, die Metzeleien und Ausschlachtungen der Kreuzzüge und des schwarzen Todes erbleichend und erhebend
ansehen müssen, mitgejagt in allen Verfolgungen, ein theilnehmender Zeuge aller Austreibungen, der aber auch aus den Katastrophen des Alterthums, aus den Holzstößen des Mittelalters und aus den Blutbädern der Neuzeit, wie sie Bogdan Chmielnicky kosakischen Angedenkens angerichtet hat, das Leben seines Volkes unzerstörbar gleich dem Phönix aus tausend Toden neuverjüngt hervorgehen sah. Er hatte aber auch mit Mose gedonnert, mit König David psalmodirt, mit Philo gegrübelt, mit Jehuda Halewi geschwärmt, mit Spinoza sich ins All versenkt, mit Heine gegeißelt und unter Thränen gelacht, überall in der Verschiedenheit die Einheit, in der Buntheit der Erscheinungen dasgeheimnißvoll wirkende große Gesetz erlauschend und erahnend (1)."

Es war David Kaufmann, der diese beinahe schon klassische Beschreibung des Stils seines einstigen Lehrers gab. Dieser Stil war auch den Zeitgenossen aufgefallen, wobei sich hier bereits Lob und Tadel die Waage hielten. Während die einen die flüssige Lesbarkeit hervorhoben (gerade dies ist ja etwas, das man Graetzens Vorgänger Isaak Markus Jost nun gerade nicht attestieren konnte), geißelten die anderen die Effekthascherei (2). Freilich handelte es sich hierbei nur um einen Nebenkriegsschauplatz der zahlreichen, oftmals ebenso wissenschaftlich wie religionspolitisch und eben auch persönlich motivierten Auseinandersetzungen in jener sehr kleinen république des lettres, wie sie die Wissenschaft des Judentums jener Zeit darstellte.

Doch ungeachtet der Frage, aus welcher Perspektive sich jemand über Graetzens Geschichtsschreibung äußerte, als direkter Generationsgenosse, als Glied der Schülergeneration(en) oder als Historiker eben dieser Geschichtsschreibung: immer wieder ist auf die Darstellung der Personen in besonderem Maße hingewiesen worden, bisweilen sogar dahingehend, daß man - wie etwa Reuven Michael - von einer "biographischen Methode" bei Graetz gesprochen hat (3). Sinnfällige Unterstützung fand diese Deutung gerade durch die Einleitung zum ersten erschienenen Band der Geschichte der Juden, dem vierten des Gesamtwerkes von 1853, in dem Graetz die jüdische Geschichte als beeindruckende Doppelfigur skizziert, die etwa den kraftvollen Holz schnitten eines Gustave Dore durchaus nicht nachstand:

Auf "der einen Seite das geknechtete Juda mit dem Wanderstabe in der Hand, dem Pilgerbündel auf dem Rücken, mit verdüsterten, zum Himmel gerichteten Zügen, umgeben von Kerkerwänden, Marterwerkzeugen und dem glühenden Eisen der Brandmarkung; auf der anderen Seite dieselbe Figur mit dem Ernste des Denkers auf der lichten Stirn, mit der Forschermiene in den verklärten Gesichtszügen, in einer Studierstube, gefüllt mit einer Riesenbibliothek in allen Sprachen der Menschen und über alle Zweige des göttlichen und menschlichen Wissens" (4).

In der zweiten Auflage von 1866 charakterisierte er dieses Bild zusätzlich in der zusammenfassenden Allegorie einer "Knechtsgestalt mit Denkerstolz" (5). Und wie der eingangs zitierte Ein druck von Kaufmann belegt, waren es oftmals die großen und kleinen Beschreibungen von Personen, die 'den Graetz' für die einen zu einer fesselnden Lektüre machten - und für andere zu einem zusammenhangslosen Sammelsurium. Abraham Geiger brachte diese Kritik in einer berühmt gewordenen Formulierung auf den Punkt, als er schrieb, daß "das Buch [... ] Geschichten [enthalte], die lose verbunden sind, aber keine Geschichte" (6).

Hier soll nun das Geschichtswerk auf ebendiese Frage hin untersucht werden. Dabei geht es freilich nicht um die Frage nach 'falscher' oder 'wahrer' Umsetzung von 'Fakten' - für derlei 'Fußnoten' zu Graetz wären wohl die jeweiligen Fachhistoriker ohnehin kompetenter. Vielmehr soll Graetzens Stil, die Art seiner Präsentation des historischen Materials analysiert und gefragt werden, was dies für die Interpretation seines Gesamtwerkes bedeutet.

Als Beispiel mag ein besonders anschaulicher Fall aus dem IX. Band der Geschichte der Juden (1866) dienen, ebenjenem Band, über den Geiger das oben erwähnte Verdikt der "Geschichten" gefällt hatte. Hier behandelt Graetz den Zeitraum Von der Verbannung der Juden aus Spanien und Portugal (1494) bis zur dauernden Ansiedelung der Marranen in Holland (1618). Dieser bietet insofern ein besonders gutes Anschauungsmaterial, da Graetz gleichsam die höchsten Höhen und tiefsten Tiefen jüdischer Geschichte auf engstem Räume zeigen kann: Es ist die Blütezeit der Inquisition, die Epoche der Marranen-Verfolgungen auf der iberischen Halbinsel, die der Talmudverbrennungen und Judenverfolgungen in Venedig und im Kirchenstaat - jenes Zeitalter, in dem Religion, die 'rechte' zumal, in einem Maße zum Politikum wurde, wie es Europa wenigstens seit den Ketzerverfolgungen und den Kreuzzügen nicht mehr erlebt hatte. Zugleich war es aber auch diese Epoche, die Figuren wie Salomon Molcho, David Reubeni und Salomon Aschkenasi hervorbrachte - Abenteurergestalten, die während ihrer (erzwungenen) Wanderschaft durchaus zu fürstlicher Stellung und einigem Einfluß aufsteigen konnten.

Die wohl glänzendste aller dieser Erscheinungen war aber wohl João Miguez, bekannter unter dem im Osmanischen Reich angenommenen hebräischen Namen Josef Nasi (7). Wohl um 1514 in Portugal geboren, entstammte er einem Seitenzweig der marranischen Familie Mendes, welche eines der größten internationalen Handelshäuser führte. Er verließ seine Heimat in Richtung spanische Niederlande, von wo er den ständig drohenden Repressalien christlicher Herrscher entfloh und über Venedig und Ferrara nach Konstantinopel gelangte. Dort erst bekannte er sich öffentlich zum Judentum, heiratete seine Cousine Reyna - gegen alle Widerstände ihrer Mutter, seiner Tante Dona Gracia/Beatriz de Luna, der grande dame der Familie Mendes.

Don Josef gelang es, als Vertrauter des Prinzen Selim zu großem Einfluß am osmanischen Hof aufzusteigen, was sich nach Selims Thronbesteigung in einer glänzenden Rangerhöhung auswirkte - 1566 wurde er zum Herzog von Naxos ernannt. Als er fünf Jahre später als treibende Kraft die erfolgreiche Eroberung Zyperns für die Osmanen durchsetzte, stand er auf dem Höhepunkt seiner Macht, er galt als eine der führenden Persönlichkeiten auf den diplomatischen Parketts seiner Zeit. Zu den zahlreichen Unternehmungen politischer, mäzenatischer und philanthropischer Art, die ihm und seiner Familie zugeschrieben werden, ist ins besondere das Projekt einer jüdischen Siedlung im galiläischen Tiberias zu nennen, welche sich jedoch nicht sonderlich lange halten konnte (8).1579 starb Don Joseph Nasi.

Ungeachtet des Aufruhrs, den Persönlichkeiten wie Nasi zu Lebzeiten unter ihren Zeitgenossen provozierten, blieb ihr direktes Nachleben sehr beschränkt, was im Falle Molchos und Reubenis sicherlich mit ihrem grandiosen Scheitern erklärt werden kann. Doch selbst über Josef Nasi wird in erzählenden jüdischen Quellen nur wenig überliefert, die meisten Informationen stammen aus der Responsenliteratur sowie den (freilich tendenziösen) Berichten der abendländischen diplomatischen Vertreter bei der Hohen Pforte. Weitaus bekannter geblieben sind hingegen jene beiden Zerrbilder des elisabethanischen Theaters, denen Don Josef Nasi direkt und indirekt zur Vorlage für ihre judenfeindliche Polemik gedient hatte - Barrabas in Marlowes The Jew of Malta (1590) und Shylock in Shakespeares The Merchant of Venice (1594) (9).

Auf der Schauspielbühne präsent blieb aber eben nur die Karikatur unter anderem Namen;
insofern kann man die 'Wiederentdeckung' von Don Josef Nasi auf das 19. Jahrhundert zurückführen, freilich weniger auf die sich gerade erst entwickelnde Wissenschaft des Judentums, sondern vielmehr auf den Patriarchen der Osmanistik, Josef von Hammer (1774-1856, seit 1835 Freiherr von Hammer-Purgstall). In dessen monumentaler Geschichte des Osmanischen Reiches fand sich erstmals eine ausführlichere Beschreibung von Don Josef Nasis Wirken (10). In dessen Gefolge erschienen eine Reihe von monographischen, im Ton eher populären Aufsätzen, zu deren Autoren auch Graetz zählt (11). In seiner Abhandlung stellt Graetz Don Josef als unabhängigen "Helden" dar, der überdies selbst in Krisensituationen deutlich als leuchtendes Vorbild präsentiert wird (12). Dabei handelte es sich um den klassischen Fall einer Biographie gemäß dem methodischen Vorbild Leopold von Rankes (13).

Zehn Jahre später beschäftigte sich Graetz für sein opus magnum erneut intensiver mit dem 16. Jahrhundert (14). Auch in der Geschichte der Juden spielt Josef Nasi eine bedeutende Rolle, ob schon in einem anderen Rahmen. Tatsächlich hat diese Persönlichkeit für Graetz einen solchen außerordentlichen Rang in ihrem Zeitalter, daß ihr ein ganzes Kapitel gewidmet ist, eine durchaus nicht selbstverständliche Ehrung (15). Gewiß, Joseph Nasi, "von Gottes Gnaden Herzog des ägäischen Meeres, Herr von Andros" (16), wie er sich selbst einmal nannte, hatte einen Rang erreicht, der in der jüdischen Geschichte nicht oft zu finden ist und insofern zweifellos einiges Interesse rechtfertigen konnte. Doch beschreibt Graetz in diesem Kapitel mehr als ein Jahrhundert jüdischen Lebens im Osmanischen Reich - Josef Nasi erlebte hiervon jedoch lediglich 25 Jahre am Bosporus, nachdem er ja zuvor in Portugal, den Niederlanden und Oberitalien gelebt hatte; und so herausragend auch seine Stellung gewesen sein mag, er war in Graetzens eigener Darstellung weit davon entfernt, dieses Zeitalter maßgeblich zu prägen (anders als etwa Maimonides oder Moses Mendelssohn dies nach Auffassung der damaligen Geschichtsschreibung getan haben). - Angesichts dieser Gewichtung stellt sich zunächst die Frage, in wieweit es Alternativen gegeben hätte, die zweifellos wichtige Epoche jüdischen Wohlergehens im Osmanischen Reich zu charakterisieren, oder ob überhaupt eine solche herausgerückte Einzelperson notwendig gewesen ist.

Einer gängigen Auffassung zufolge handelt es sich bei Graetzens Geschichte der Juden um eine "Leidens- und Gelehrtengeschichte" (17). Diesem Bild entspricht ja durchaus die von Graetz selbst in der Einleitung zu Band IV gegebene und bereits zitierte Charakterisierung jüdischer Geschichte als einer "Knechtsgestalt mit Denkerstolz". Demnach wäre zunächst nach Märtyrern oder Gelehrten zu suchen. Angesichts der wohlhabenden und weitgehend gesicherten Stellung der Juden im Osmanischen Reich entfallen die 'Leiden' als Möglichkeit weitgehend. Die theologische Basis für ihre vorteilhafte Lage boten die grundsätzlich Juden duldenden Bestimmungen des Koran (18). Darauf aufbauend genossen sie entsprechend der Binnenorganisation des Reiches nach ethnischen und religiösen Gruppen als eigenständige millet ein großes Maß an Gemeindeautonomie. Darüber hinaus erfreuten sich die Osmanischen Juden, die im internationalen Handel tätig waren, unter Süleyman und seinen direkten Nachkommen eines beträchtlichen Wohlstandes, da die von den Sultanen mit den christlichen Mächten abgeschlossenen Kapitulationen diesen internationalen Handel beträchtlich erleichterten (19).

Für eine 'Gelehrtengeschichte' kämen hingegen gleich mehrere bedeutsame Kandidaten in Frage. Zu denken wäre etwa an Isaak Luria und Hayim Vital Calabrese, die Begründer der (lurianischen) Kabbala. Für Graetz freilich stellte sich diese Errungenschaft als der Anbeginn von etwas dar, das er "ein eigentümliches, dummgläubiges Mittelalter" nannte, welches im Judentum gerade erst begonnen habe, "als sich in der europäischen Welt nur noch die letzte Spur des nächtlichen Grauens zeigte" (20). Zwar diagnostizierte Graetz ein Bedürfnis nach Innerlichkeit, worin er eine der Quellen für jene spirituelle Bewegung sah; doch waren für ihn die konkreten Ausformungen der Kabbala und ihre Lehren nichts weiter als Aberglaube und Horte der Unsittlichkeit. Der "Schimmelüberzug" (S. 402), mit dem die Kabbala das Judentum bedeckt habe, sei bis zur Gegenwart noch nicht gänzlich entfernt worden.

Ein wenig näher als Luria und der Kabbala hätte Graetz einem anderen wichtigen Gelehrten stehen können, zumindest vorderhand. Denn im galiläischen Safet wirkte im 16. Jahrhundert neben Luria und Vital auch Josef Karo als Rabbiner, der Autor des Shulkhan Aruch, des bis heute maßgeblichen Rechts-Kodex', und auch Graetz verweigert diesem Werk nicht das Prädikat "epochemachend" (S. 383). Allein er spricht ihm zugleich jedwede Originalität ab, und ungeachtet einzelner Lehren, die den Beifall des Historikers finden, ist ihm das Werk ein "Meer
von kasuistischen Einzelheiten und Äußerlichkeiten" (S. 386). Zu dieser abfälligen Haltung gegenüber einem der zentralen Kompendien der jüdischen Religion war Graetz bereits in seiner Jugend gekommen, als er als eine Art Famulus im Hause Samson Rafael Hirschs in Oldenburg studierte. Graetz trennte sich im Unfrieden von dem nachmaligen Begründer der Neo-Orthodoxie, wobei einer der ausschlaggebenden Streitpunkte die für Graetz übergroße Traditionsgläubigkeit Hirschs gewesen war, die der junge Mann in seinem Tagebuch als "Shulkhan Aruch-ianismus" (21) geißelte. Für Graetz bedeutete dieses Festhalten an überkommenen Traditionen und die Hinwendung zu den ehrwürdigen Altvorderen eine Verkrustung und Versteinerung, die seiner Meinung nach dem Judentum wesensfremd war. Entsprechend betrachtete er Karo als einen "abgesagten Feind des Nachdenkens über religiöse Fragen", der "das geringste Bezweifeln einer im Talmud vorkommenden Äußerung als schwere Ketzerei" (S. 386) ansah; dessen Haltung jedoch war für Graetz "ein ganz anderes Judentum als das, welches am Sinai offenbart, von den Propheten verkündet und selbst von Maimuni gelehrt" (S. 386) worden war.

Nichtsdesto weniger muß der Historiker einräumen, daß Karo außerordentlich prägend auf seine Zeit gewirkt hat bzw. seinerseits nur Ausdruck des theologischen Zeitgeistes gewesen ist. (22) Dieses türkischjüdische 16. Jahrhundert sei insgesamt ein sehr mediokres Jahrhundert gewesen, was die intellektuellen Errungenschaften angehe:

"Nicht ein einziger der damals lebenden Führer der Gemeinden ragte über das Maß eines Alltagsmenschen hinaus. Die Rabbinen und Prediger waren grundgelehrt in ihrem Fache, wandelten aber durchweg in ausgefahrenen Gleisen, ohne auch nur auf ihrem eigenen Gebiet eine neue Seite hervorzukehren oder eine Leistung besonderer Art zu hinterlassen." (S.383)

Dabei habe das Wohlergehen mit der geistigen Behäbigkeit und der Leichtgläubigkeit in unguter Beziehung gestanden (23). Eben hierfür aber sei Don Josef Nasi repräsentativ gewesen. Ungeachtet seines wohltätigen Wirkens habe jener letztlich "nichts Wesentliches und Dauerndes für das Judentum getan". Der Grund hierfür habe "in seiner geringen Kenntnis des jüdischen Schrifttums und in seinem Mangel an wissenschaftlichem Sinn" gelegen. Und was immer der so Gescholtene an philanthropischen und mäzenatischen Tätigkeiten geleistet haben mag, der Historiker disqualifiziert es als ephemer und als Äußerlichkeit (24). So fällt letztlich Graetzens Gesamtresümee verheerend aus:

"Der Glanz, der von dem jüdischen Herzog von Naxos und anderen einflußreichen Juden am türkischen Hofe auf ihre morgenländischen Glaubensgenossen fiel, [glich,] genau betrachtet, einem Irrlichte, das einen Sumpf mit hellem Schimmer flimmern macht."

Ein "entschiedener Rückfall ins Heidentum" sei das Ergebnis dieser "Versumpfung" (alle drei Zitate S. 405) gewesen. Sollte aus der einstmals so heldischen Gestalt des Herzogs in raschem Schritte ein Schurke geworden sein? Hier gilt es, sich der genauen Darstellung bei Graetz zu entsinnen. Denn der Herzog von Naxos steht zwar durchaus im Mittelpunkt dieses Kapitels, jedoch kaum als autonom handelnder Charakter. Vielmehr dient er als Repräsentant der ihm zugewiesenen Epoche. Damit unterscheidet sich dieses Kapitel in der Geschichte entscheidend von jener früheren biographischen Skizze, die noch einen strahlenden und unabhängigen Helden präsentiert hatte. In dem großen Geschichtswerk ist Don Joseph eben kein überragender Gestalter, der seiner Zeit seinen Stempel aufdrückt. Vielmehr verkörpert er, wie so viele andere der Protagonisten im Graetzschen Geschichtswerk, die jeweiligen Zeittendenzen und Eigenschaften. An diesem Punkt muß daher auch das übliche Bild der 'Schurken und Helden' zumindest relativiert werden. Denn Graetz kommt bei den meisten seiner handelnden Figuren ohne eine allzu grobe Schwarz-weiß-Malerei aus (25). Wenngleich er sich gerne einer sinnlichen oder auch einer drastischen Ausdrucks weise bedient, einer überaus bildreichen zumal, so setzen sich seine Figuren doch aus verschiedenen solcher Eigenschaften zusammen, die er nicht selten ziemlich unterschiedlich wertet. Im Falle des Herzogs von Naxos etwa reicht das Spektrum der Beschreibungen von einem einnehmendem Äußeren, Erfindungs- und Kenntnisreichtum sowie Klugheit (jeweils S. 359) über einen praktischen Geist (S. 380) bis hin zu Wankelmütigkeit, Stolz und Hochmut (S. 382). Damit zeigt Graetz ihn als einen 'gemischten Charakter'.

Diese Art eines 'gemischten Charakters' war eine Neuerung des seinerzeit neu entstehen den Genres Historischer Roman, die ihren fulminanten Auftritt in der Weltliteratur in Gestalt Edward Waverleys hatte, des Protagonisten des Romans Waverley or 'Tis Sixty Years Since (1814) von Sir Walter Scott (26). Graetz, der sich als Kind leidenschaftlich und wahllos durch Ritterromane und Weltliteratur gelesen hatte, war auch ein begeisterter Leser zumindest von Ivanhoe sowie mancher der historischen Dramen Victor Hugos gewesen (27). Auch für die Geschichte der Juden läßt sich feststellen, daß eine signifikante Nähe von Graetzens Historiographie und den anderen geschichtsorientierten Erzählformen seiner Zeit - Historischer Roman und Grand Opera - auffällig ist. Sie zeigen jeweils das Individuum vor dem Hintergrund des historischen Geschehens, welches doch schicksalsmächtig auf das Individuum zurückwirkt (28). Graetz folgt dieser Tradition durchaus und läßt in der Tat Scharen von Figuren die Szenerie bevölkern, bisweilen mit stark differenzierten Eigenschaften.

Derlei Charakterzeichnungen allein machen freilich noch keinen biographischen Ansatz. Denn was Graetzens Protagonisten nahezu durchgehend fehlt, ist die Kohärenz ihrer verschiedenen Eigenschaften, weshalb sie nicht als Individuen anzusehen sind - sie bleiben in den verschiedenen Situationen, in denen sie gezeigt werden, jeweils nur Vertreter dieser einen Eigenschaft, in der sie gerade auftreten. Daraus können sich dann durchaus auch Widersprüche ergeben, wie eben bei Josef Nasi, dessen 'praktischer Sinn' ihn nicht davon abgehalten habe, unsinnig sich im Weiten verlierende Pläne zu schmieden (S. 381). Graetz bemüht sich nicht darum, seine Figuren durch 'Verstehen' im Droysenschen Sinne zu erfassen und damit zu beleben. Aus dieser Perspektive blieben die allermeisten seiner dramatis personae bloße Typen, wenngleich in vielfarbiger und evokativer Kostümierung.

Wenn sich dennoch die Graetzsche Geschichte nicht als hölzernes Bauerntheater in prunkvoller Ausstaffierung, sondern vielmehr als ein packendes "vieltausendjähriges Heldendrama" (29) liest, dann hängt dies mit der Funktion ebendieser Protagonisten zusammen: Sie dienen dem Historiker als Repräsentanten ihrer Epoche, in denen bestimmte kollektive oder zeittypische Eigenschaften wie in einem Brennglas zusammengefaßt sind; dabei können - wie eben im Falle des Herzogs von Naxos - diese Eigenschaften durchaus der entsprechenden Charakterisierung in Graetzens monographischen Studien widersprechen. Der eigentliche Protagonist seiner Geschichtserzählung, wie sie in der Geschichte der Juden manifest wird, ist vielmehr die Gesamtheit des jüdischen Volkes. Dieses Volk ist - gleichsam in Analogie zu Rankes Mächten - die historische Individualität in Graetzens Geschichtsbild, eine Individualität, die sich tatsächlich allmählich weiterentwickelt (und nicht bloß zusammensetzt) und in diesem Prozeß in einzelnen, repräsentierenden Gestalten porträtiert wird.

Diese Entwicklungsmöglichkeit seines eigentlichen Protagonisten, dessen bedingte Autonomie bei gleichzeitiger Eingebundenheit in die historischen Prozesse läßt sich wiederum gut am Beispiel der türkischen Juden des 16. Jahrhunderts veranschaulichen. Denn aus der Perspektive eines Historikers des 19. Jahrhunderts hatten sie es gleich mit zwei üblen Gesellen der Weltgeschichte zu tun, den (nachklassischen) Griechen - die in der Geschichtsschreibung vorzugsweise die Rolle des Schurken zugewiesen bekamen (30) - und den Türken, die hier avant la lettre gleichsam zum Kranken Mann am Bosporus gestempelt wurden (31). In seiner Darstellung des Osmanischen Reiches bedient sich Graetz des ganzen Katalogs 'orientalistischer' Klischeevorstellungen (32), wobei er die Symptome des Niederganges selbst für die Verhältnisse der europäischen Historiographie bemerkenswert früh erkennen will, nämlich bereits unter Süleyman dem Prächtigen, wenn das Haupt der Gemeinde von Salonika, Mose Almosnino, das Leben in der Hauptstadt beschreibt,

"mit seinen Gegensätzen von glühender Wärme und erstarrender Kälte, erstaunlichem Reichtum und abschreckender Armut, verweichlichendem Luxus und strenger Enthaltsamkeit, verschwenderischer Mildtätigkeit und herzlosem Geize, übertriebener Frömmigkeit und gottvergessener Lauheit, die sprungweise, ohne sanfte Übergänge einander folgten." (33)

Inmitten dieses Hortes der Sinnlichkeit und der Dekadenz lebten also die Marranen, die den Scheiterhaufen der Inquisition entkommen waren, und sie erfreuten sich einer ausgesprochen günstigen Stellung. Jedoch ließen sie sich von dem Wohlstand und der Indolenz anstecken; die Folge war langsam einreißende Sittenlosigkeit, die bald schon zur Selbstverständlichkeit wurde. Als Repräsentantin für diese Endphase zeigt Graetz die Favoritin der Gemahlin des Sultans Murad III., Esther Kira, die aus dem Harem heraus an der Leitung der Staatsgeschäfte teil hatte (34): "Sie bereicherte sich natürlich durch ihre stille Macht, wie jedermann in der Türkei, der, wie schwach oder stark auch immer, in die Speichen der Staatsräderwerkes eingriff" (S. 408). Während er aber die Korruptheit dieser jüdischen Favoritin exemplarisch und ausführlich beschreibt, finden ihre philanthropischen Werke nur in einem einzigen Satz Erwähnung; doch sind es eben diese, die in den jüdischen Quellen (wenngleich nicht in den venezianischen Relationen) weit mehr überliefert werden, wie der Historiker im Anhang berichtet (Note 8 II, S. 548ff.).

Mit dem Niedergang des Osmanischen Reiches kam nach Graetz auch für die dort leben den Juden der Niedergang: "Der Glanz der türkischen Juden erlosch wie ein Meteor und verwandelte sich auch da in dunkle Nacht, die nur noch von Zeit zu Zeit verzerrte Traumbilder zum Vorschein brachte" (S. 409). Diese "Traumbilder" konnten noch viel weniger vollwertige Charaktere mit einer individuellen biographischen Darstellung sein als ihre Vorgänger zu den Glanzzeiten. Doch war dies auch gar nicht nötig, da sich Graetzens Geschichte der Juden, eigentlich eher: des jüdischen Volkes, ohnehin ungeachtet der Einzelschicksale weiterentwickelte und sich bereits zu der Zeit, als die Esther Kira mit ihren Söhnen von aufgebrachten Sipahis ermordet wurde, der "Mittelpunkt [...] nach einem ändern Schauplatze verschoben" hatte (S.409).

Tatsächlich entspricht diese Methode der Repräsentanz des Ganzen durch einzelne Figuren durchaus jenem zu Beginn zitierten allegorischen Bild, das Graetz von der jüdischen Geschichte entworfen hatte. Und konsequenterweise spricht er im weiteren Verlauf jener Einleitung beständig vom jüdischen Volk und seinem Erleben, seinen Hervorbringungen, der es anleitenden Idee. Diesem einigenden Narrativ sucht Graetz die Geschichte der Juden unter zuordnen. Demgegenüber werden Gegenspieler oder Verbündete, werden Schurken und Hel den in seinem Geschichtswerk letztlich rasch zu ephemeren Belanglosigkeiten.

Anmerkungen:
Für Kritik und Anregungen danke ich herzlich Alexander Schunka, M.A.
(1) D[avid] Kaufmann, H. Graetz, in: Allgemeine Zeitung des Judenthums 55 (1891),450.
(2) Vgl. etwa M. Wiener, Zur Würdigung des Verfahrens von Grätz bei der Bearbeitung seiner Geschichte der Juden, in: Ben Chananja (1863), 374.
(3) Reuven Michael, Vorwort, in: Heinrich Graetz, Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegen wart, Bd. I, Darmstadt 1998 [Nachdruck], XI.
(4) Heinrich Graetz, Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Bd. IV, l. Aufl., Leipzig 1853, l f.
(5) Graetz, Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Bd. IV, 2. Aufl., Leipzig 1866, l (so auch in allen folgenden Auflagen).
(6) Brief Abraham Geigers an M.R. vom 7. Mai 1866.Aus einem Briefwechsel, in: Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben 5 (1867), 146.
(7) Aus der Fülle der Literatur zu Josef Nasi seien hier nur genannt: Salo Wittmayer Baron, A social and religious
history ofthe Jews, Bd. 18, New York, Philadelphia 1983,45-119; Paul Grunebaum-Ballin: Joseph Naci, duc de Naxos, Paris, La Haye, 1968; Cecii Roth, The house of Nasi, 2 Bände., Philadelphia 1948; Herman Prins Salomon u. Aron di Leone Leoni, Mendes, Benveniste, de Luna, Micas, Nasci: the state of the art (1532-1558), in: The Jewish Quarterly Review 88 (1998), 135-211.
(8) Diese Zuschreibung beruht vermutlich auf dem Bericht in Joseph ha-Kohens Emek ha-Bachah; doch gingen die se Pläne vielmehr von Joseph Nasis Tante und Schwiegermutter Dona Gracia Mendes aus. Vgl. Baron, History, Bd. 18, wie Anm. 7,109-118.
(9) Vgl. Baron, History, Bd. 18, wie Anm. 7, 105 sowie 483, Anmerkung 63; Dietrich Schwanitz, Das Shylock-Syndrom, oder Die Dramaturgie der Barbarei, Frankfurt am Main 1997,81-86; James Shapiro, Shakespeare and the Jews, New York, Chichester 1996. - Graetz selbst erkannte die Verbindung zwischen Don Joseph Nasi und Shylock in seinem bedeutenden Aufsatz von 1880 noch nicht, er konzentrierte sich allein auf die (seitdem allgemein akzeptierte) Verknüpfung des Merchant of Venice mit der Hinrichtung von Elisabeths I. Leibarzt Rodrigo Lopez 1594; vgl. Heinrich Graetz, Shylock in der Sage, im Drama und in der Geschichte, in: Monatsschrift für Wissenschaft und Judenthum 29 (1880),337-354 und 385-403.
(10) Dies war selbstverständlich in der Perspektive einer allgemeinen Geschichte des Osmanischen Reiches eingebettet und insofern über mehrere Bände passim verstreut. Vgl. u.a. Joseph von Hammer: Geschichte des Osmanischen Reiches, Bd. 3, Pest 1828,364f., 514,563ff. u. ö. - Eine eingehende Untersuchung des Hammerschen Geschichtswerkes ist immer noch ein Desiderat der Wissenschafts-Forschung; einführend vgl. Klaus Kreiser, Clio's poor relation. Betrachtungen zur osmanischen Historiographie von Hammer-Purgstall bis Stanford Shaw, in: Gernot Heiss u. Grete Klingenstein, Hg., Das Osmanische Reich und Europa 1683 bis 1789: Konflikt, Entspannung und Austausch, Wien 1983,24-43.
(11) Vgl. Selig Cassel s.v. Juden (Geschichte), in: Johannes Samuel Ersch u. Johann Gottfried Gruber, Hg., Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet, II. Reihe, Bd. 27, Leipzig 1850,1-238; Eljakim Carmoly, Don Joseph, duc de Naxos, o.0.1855; Heinrich Graetz, Don Joseph, Herzog von Naxos, Graf von Andres und Donna Gracia Nasi. Eine Biographie, in: Jahrbuch für Israeliten 5617/1856/57,1-39, und Moritz Abraham Levy: Don Joseph Nasi, Herzog von Naxos, seine Familie und zwei jüdische Diplomaten seiner Zeit. Eine Biographie nach neuen Quellen dargestellt, Breslau 1859.
(12) Ungeachtet des populären, oftmals rhethorischen Stil mit einer deutlich starken Behandlung von Liebes- und Familienbeziehungen, ist der wissenschaftliche Gehalt dieses Aufsatzes unbezweifelbar, wie dies etwa in den zahl losen Fußnoten deutlich wird. Vgl. Graetz, Don Joseph, wie Anm. 11, Zitat l.
(13) Zu Rankes episch-dokumentarischer Biographik vgl. Jürgen Oelkers: Biographik. Überlegungen zu einer un schuldigen Gattung, in: Neue politische Literatur 19 (1974), 296-309, hier 300ff., und Olaf Hähner, Historische Biographik. Die Entwicklung einer geschichtswissenschaftlichen Darstellungsform von der Antike bis ins 20. Jahr hundert, Frankfurt/Main u.a. 1999,122-134.
(14) Zu den Vorarbeiten gehört freilich auch ein Aufsatz über Moses Almosnino, einen bedeutenden Gelehrten aus Sa lonica und Zeitzeugen Don Josefs. Vgl. Heinrich Graetz, Mose Almosnino. Eine Skizze, in; Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums 13(1864), 23-36 und 57-67.
(15) Dies legt ein Vergleich mit anderen großen Gesamtdarstellungen jüdischer Geschichte nahe: Simon Dubnow behandelt zwar den Herzog von Naxos in einem eigenen Paragraphen (§4: "Joseph Nassi und die jüdischen Diplomaten"), aber lediglich als vergleichsweise kurzes Unterkapitel zu "Das Wiedererwachen des östlichen Zentrums (die Türkei und Palästina)"; vgl. Simon Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes. Von seinen Uranfängen bis zur Gegenwart, Bd. 7, Berlin 1927,35-46; und auch Salo Baron charakterisiert diese Epoche insgesamt als "Turkey's Golden Age", worin Don Joseph Nasi lediglich einen kleineren Teil ausmacht, vgl. Baron, History, Bd. 18, wie Anm.7, S. 84-118.
(16) "Josephus Naci Dei Gratia Dux Aegei Pelagi Andri". Zitiert nach Grunebaum-Ballin, Joseph Naci, wie Anm. 7,96.
(17) Vgl. etwa Michael Brenner, Von einer jüdischen Geschichte zu vielen jüdischen Geschichten, in: Ders. u. David N. Myers, Hg., Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontroversen, München 2002,17-35, hier 20. - Diese Sichtweise geht vermutlich auf einen Aufsatz Salo Barons zurück; vgl. Graetzens Geschichtsschreibung. Eine methodologische Untersuchung, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 62 (1918), 11.
(18) Grundlegend zur religiösen Stellung von Juden in der islamischen Welt vgl. Baron, History, Bd. 18, wie Anm. 7, S. 1-295, Mark R. Cohen: Under Crescent and Cross. The Jews in the Middle Ages. 4. Aufl. Princeton 1996; Bernard Lewis, Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, München 1987; Norman
Stillman, The Jews ofArab Lands. A history and source book, Philadelphia 1979,3-110. - Zwar macht Graetz ins besondere in seiner Schrift über Moses Almosnino auch deutlich, daß selbst hier die Lage der Juden nicht gänzlich unangefochten war; dennoch stellt er über diese Epoche auch fest: "jüdische Historiker [fühlen sich] davon angezogen, als sie dabei nicht die Misere zu erzählen hatten, welche ihre Stammes- und Religionsgenossen zu er dulden hatten." Graetz, Almosnino, wie Anm. 14,57 u. 64 (Zitat).
(19) Zu Süleyman vgl. den facettenreichen Sammelband von Gilles Veinstein, Hg., Soliman le Magnifique et son temps, Paris 1992.
(20) Heinrich Graetz, Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Bd. 9,4. Aufl., Breslau 1907, 390. - Im folgenden werden die Zitatnachweise aus der Geschichte (der leichteren Zugänglichkeit halber aus dem Nachdruck Darmstadt 1998) jeweils im Text gegeben.
(21) Tagebucheintrag l. Mai 1839. Heinrich Graetz, Tagebuch und Briefe, hrsg. von Reuven Michael, Tübingen 1977, S. 77f., Zitat S. 78.
(22) Graetz leistet sich überdies die nach diesen Feststellungen höchst mokante Bemerkung, daß "durch Karo [... ] das Judentum diejenige feste Gestalt [erhalten habe], die es bis auf den heutigen Tag bewahrt" habe (S. 386).
(23) Dies zeigen seine Bemerkungen über die Gläubigkeit der Zeitgenossen für die Geschichten von Reubeni und Molcho und anderen: "Die Lage in der Gegenwart machte solche Mären glaublich." (S. 379). - Vgl. auch: "Die so überaus günstige Lage der Juden in der Türkei während eines ziemlich langen Zeitraums hatte also keine nachhaltig günstige Erhebung zur Folge. Sie erzeugte keinen einzigen Kraftgeist, welcher befruchtende Gedanken für die Zukunft aus sich heraus geholt und den Mittelmäßigen eine neue Richtung vorgezeichnet hätte" (S. 383).
(24) "Denken und Forschen über Religion und die Bestimmung des Menschen war nicht Sache des Joseph von Naxos. So viel Geist er auch hatte, er richtete ihn nicht nach dieser Seite hin, sondern auf weltliche Dinge; er nahm die Religion des Judentums als etwas Gegebenes hin, worüber weiter nicht viel zu grübeln sei." (382).
(25) Ausnahmen hiervon sind freilich jene, die lediglich als Mächte von außen einwirken, wie etwa Philipp II. von Spanien oder Papst Paul IV.; sobald diese Personen selbst handelnd eingreifen, gesteht der Historiker ihnen eine differenziertere Behandlung zu.
(26) Scott selbst hatte diese Art der Rolle charakterisiert als "a thing never acting but perpetually acted upon". Walter Scott, Nigel [1822] in: ders., The Waverley novels. Centenary edition, Bd. 14, Edinburgh 1871, S. 290. - Hierzu vgl. Georg Lucäcs, Der historische Roman, Neuwied 1965,36-76, und Alexander Weish, The hero ofthe Waverley novels, New Haven, London 1963,20-41.
(27) Graetz, Tagebuch, wie Anm. 21,8.
(28) Zur Grand Opera als Geschichtserzählung mit einem schwachen Tenor als 'Helden' im Zentrum vgl. Anselm Gerhardt, Die Verstädterung der Oper. Paris und das Musiktheater des 19. Jahrhunderts, Stuttgart, Weimar 1992, hier bes. 93-96.
(29) Heinrich Graetz, Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Bd. 11,2. Aufl., Leipzig 1900, 427.
(30) Vgl. auch: "Wurden die Juden in den Provinzen irgendwo bedrängt, was namentlich von den boshaften Griechen geschah [...]" (374). - Wohl am anschaulichsten hat Leopold von Ranke dieses Bild der "Neugriechen" in seiner ganzen Widersprüchlichkeit aus antikisierender Verherrlichung und 'orientalistischem' Spott präsentiert; vgl. hier zu seine "Digression über die Neugriechen im sechszehnten Jahrhundert" in: Die Osmanen und die spanische Monarchie im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, 3.Aufl., Berlin 1857, S. 22-30.
(31) Wenngleich die Ursprünge dieser Metaphorik wohl im 17. Jahrhunderts zu suchen sind, so geht die Wortprägung selbst wohl auf Zar Nikolaus I. zurück. Vgl. Gudrun Krämer, Geschichte Palästinas. Von der osmanischen Eroberung bis zur Gründung des Staates Israel, München 2002,385, Anm. 4, sowie Alexander Schunka: Der Mann am Bosporus - wie krank war er wirklich? Der 'Niedergang' des Osmanischen Reiches im Spiegel der Nasihatname Literatur und die neuere Forschung. In: Arndt Brendecke u. Wolfgang Burgdorf, Wege in die Frühe Neuzeit, Neuried 2001,42.
(32) Hierzu vgl. Edward Said, Orientalism, 4. Aufl., London 1995, sowie Jürgen Osterhammel, Wissen als Macht. Deutungen interkulturellen Nichtverstehens bei Tzvetan Todorov und Edward Said, in: Ders.: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen 2001,240-265, und James Pasto: Islam's "Strange Secret Sharer". Orientalism, Judaism, and the Jewish Question, in: Comparative Studies in Society and History 40 (1998), 437-474.
(33) Graetz, Geschichte, Bd. 9, wie Anm. 20,375. - Es ist auffällig, wie stark Graetz hier seine eigene Zusammenfassung in dem älteren Aufsatz über Moses Almosnino verkürzt: Jene war zwar schon von ähnlicher Tendenz, doch noch nicht dermaßen auf die - klassisch 'orientalistischen' - Imaginationen des Sozialen verkürzt; Graetz nennt dort noch ausführlich die von Almosnino geschilderten Gegensätze auch des Wetters und der Naturverhältnisse, so wie den Umstand, daß die gesamte zweite Hälfte der Schrift dem osmanischen Staatswesen, seiner Politik und der Architektur seiner Hauptstadt gewidmet ist. Vgl. Graetz, Almosnino, wie Anm. 14,63.
(34) Zum Hintergrund vgl. immer noch J.H. Mordtmann, Die jüdische Kira im Serail der Sultane, in: Mitteilungen des Semmars für orientalische Sprachen zu Berlin, 2. Reihe, 32 (1929), S. 1-38, sowie Baron, History, Bd. 18, wie Anm. 7,131-134 und 494, Anm. 13.

hagalil.com 28-01-05











 

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