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Thomas Albrich, Winfried Garscha, Martin F. Polaschek (Hrsg.):
Holocaust und Kriegsverbrechen vor Gericht
Der Fall Österreich

Studienverlag 2006
Euro 29,90

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Holocaust und Kriegsverbrechen vor Gericht:
Der Fall Österreich

Rezension von Karl Pfeifer

Österreich hat NS-Täter bestraft. Österreich hat NS-Täter zum Teil nicht verfolgt und die meisten laufen lassen. Beide Behauptungen stimmen, wie das im von Thomas Albrich, Winfried Garscha und Martin F. Polaschek herausgegebenen Sammelband "Holocaust und Kriegsverbrechen vor Gericht / Der Fall Österreich" gezeigt wird.

Der vorliegende Band ist Ergebnis einer Kooperation von drei Forschungsgruppen aus Wien/Linz, Graz und Innsbruck. Winfried R. Garscha und Claudia Kuretsidis-Haider haben die Einführung geschrieben. Sie bestätigen sowohl der Justiz als auch den Beamten der Sicherheitsverwaltung gute Arbeit.

Doch in zahlreichen Fällen, in denen österreichische Tatbeteiligte ermittelt worden waren, kam es nicht zu einer Anklage. "Die Hauptursache dieser Mängel lag in der ungenügenden personellen Ausstattung der mit NS-Straftaten befassten Einrichtungen der Justizverwaltung. Verantwortlich hierfür waren die politischen Entscheidungsträger. Für diese stellt die Ahndung der von österreichischen Tätern begangenen NS-Verbrechen meist nur dann ein vordringliches Anliegen dar, wenn dies aus außenpolitischen Gründen opportun erschien." Die konsequente Verfolgung österreichischer Täter hätte ja die Lebenslüge der Zweiten Republik zerstört.

Thomas Albrich und Michael Guggenberger schildern die strafrechtliche Verfolgung der Täter des Novemberpogroms ("Reichskristallnacht") in Österreich. Sie stellen klipp und klar fest: "Auch Teile der Bevölkerung waren aktiv an Ausschreitungen, Misshandlungen und Plünderungen beteiligt... Trotz der von Goebbels am 10. November [1938] nachmittags angeordneten Beendigung der "Aktionen" konnten die Ausschreitungen [in der Ostmark] nicht gestoppt werden, sie klangen erst im Lauf des 15. November aus." Den Wert der von Österreichern geraubten Güter und Wertgegenstände kennt man nicht. "Die offiziell beschlagnahmten und sichergestellten Wertgegenstände und Güter schätzte der Gauleiter auf 25 Millionen RM, [Ostmark] Reichsstatthalter Josef Bürckel bezeichnete den Pogrom zu Recht als "den Tag und die Nacht der langen Finger."" Gerhard Botz geht von 1000 Personen aus, die an der Zerstörung von 49 Bethäusern und Synagogen in Wien beteiligt waren. Deswegen wurden in Österreich alle die daran beteiligt waren entweder überhaupt nicht verfolgt oder freigesprochen.

Simon Wiesenthal s.A. hat 1963 einige signierte "Tätigkeitsberichte" über Synagogenanzündungen vorgelegt, worin z.T. die Täter genannt werden: "Wo sind die Täter, die so schöne Berichte an die Gauleitungen geschrieben haben? Mit wenigen Ausnahmen haben sie den Krieg überlebt [...] Sturmbannführer Köberl lebt als Vertreter in Wien, Kowarik lebt in Wien. Trittner lebt in Baden, Ungar lebt in Wien und auch die vielen anderen, die in den Berichten namentlich genannt sind, erfreuen sich der Freiheit." Fazit: "Über 90 Prozent der mutmaßlichen Pogromtäter mussten sich nie vor österreichischen Gerichten verantworten."

Martin Achrainer und Peter Ebner befassen sich mit der Strafverfolgung der "Euthanasie"-Verbrechen. Hier ging es immerhin um Mitglieder der deutsch-österreichischen Volksgemeinschaft, die von den Machthabern als "unwertes Leben" eingestuft wurden. In 13 mit Urteil abgeschlossenen Verfahren verhängten die Volksgerichte fünf Todesurteile und Freiheitsstrafen von einmal 20 Jahren, zweimal 15 Jahren, einmal zwölf Jahren, siebenmal zehn Jahren, zweimal acht und fünfzehnmal zwischen zwei und fünfeinhalb Jahren. Damit bildeten die "Euthanasie"-Verfahren einen deutlichen Schwerpunkt der österreichischen Volksgerichtsbarkeit.

Eva Holpfer und Sabine Loitfellner, haben sich an ein unerforschtes Thema angenähert: "Holocaustprozesse wegen Massenerschießungen und Verbrechen in Lagern im Osten vor österreichischen Geschworenengerichten".

Die sozialistische Alleinregierung nach 1970 hatte die Verfolgung aller NS-Straftaten eingestellt. Das wurde offiziell nie bekanntgegeben. "Inoffiziell erklärte Justizminister Broda seine Haltung mit den negativen Auswirkungen der Geschworenenfreisprüche im Ausland sowie mit dem großen zeitlichen Abstand..." Dieser hat die Justiz der BRD nicht gestört, die Verfolgung fortzusetzen. In Österreich lag die Hauptverantwortung dafür bei SPÖ-Politikern. Sie wollten nicht viele "national" gesinnte Wähler verlieren. Deswegen haben sie die Chance nicht wahrgenommen, mit Gerichtsverfahren gegen Naziverbrecher die historische Erinnerung an die österreichische Tätergeschichte wach zu halten.

Gabriele Pöschl erklärt die Verbrechen in nationalsozialistischen Ghettos aus juristischer Sicht. Sie schildert im Detail den skandalösen Prozess gegen Franz Murer, Gebietskommissar der Stadt Wilna, der wegen seiner Tätigkeit von 1947 bis 1955 in der Sowjetunion inhaftiert war. Acht Jahre nach seiner Rückkehr wurde er in Österreich angeklagt. Bis dahin lebte er als Obmann der Bezirksbauernkammer und ÖVP-Funktionär unbehelligt. Täter die unter seiner Führung fürchterliche Verbrechen begangen haben, wurden in der BRD bestraft, doch in Österreich wurde Murer freigesprochen. Mehrfache Beschimpfungen der jüdischen Zeugen durch den Verteidiger wurden vom Vorsitzenden ebenso wie die Verhöhnung der Zeugen durch die Söhne Murers toleriert. Mit einer Ausnahme wurden diese Verbrechen in östlichen Ghettos von der Justiz des "ersten Opfers" nicht bestraft.

Eva Holpfer berichtet über die Ahndung von Deportationsverbrechen in Österreich. Auch sie hebt hervor, dass jüdische Kollaborateure, die selbst Opfer gewesen sind und zur Zusammenarbeit mit den Nazi gezwungen waren, streng bestraft wurden. Mit den Mitgliedern der Volksgemeinschaft ging man milder um. Zum Beispiel mit Franz Novak, der eine führende Rolle bei der Deportation europäischer Juden gespielt hatte. Am 13. April 1972 wurde er rechtskräftig zu sieben Jahren schweren Kerker verurteilt. Am 18. Oktober 1974 wurde Novak von Bundespräsident Rudolf Kirchschläger amnestiert. Die Prozesse gegen Novak und Erich Rajakowitsch kamen nur aufgrund außenpolitischen Drucks zustande.

Sabine Loitfellner erklärt weshalb die Auschwitz-Verfahren in Österreich scheiterten. Man muss die Details des Prozesses 1972 gegen zwei Österreicher lesen, die nicht nur die Gaskammern und Krematorien planten, sondern auch für die katastrophalen Lebensbedingungen der Häftlinge verantwortlich waren, und die freigesprochen wurden, um die Heuchelei des damaligen offiziellen Antifaschismus zu sehen. Die beiden Prozesse wurden mit Ausnahme von Neonazis und Holocaustleugnern, die etwa den Freispruch gegen Dejaco und Ertl dazu benützten, um ihre Mantra zu verbreiten, "in keiner Weise weder von öffentlichen Geschichtsbildern noch von Kunst oder Literatur (wie etwa in der BRD bezüglich des Frankfurter Auschwitz-Prozesses geschah) rezipiert.

Peter Eigelsberger schildert im Kapitel über Mauthausen, dass 42 Personen wegen Tötungsverbrechen im KZ Mauthausen und seinen Außenlagern abgeurteilt wurden. Das verhängte Strafmaß reichte vom Todesurteil bis zu zehn Monaten Haft. "Besonders harte Urteile sprach das Volksgericht Linz gegen ehemalige Häftlinge aus. SS-Aufseher, deren Verfahren (mit einer Ausnahme) alle vor dem Volksgericht Wien geführt worden waren kamen in der Regel glimpflicher davon. Während der siebziger Jahre kam es zu zwei Prozessen. Beide wurden gegen Johann Vinzenz Gogl geführt und endeten jeweils mit einem Freispruch.

Heimo Halbrainer zeigt in einem detaillierten Bericht auf, dass die Volksgerichtsverfahren wegen Denunziation mit Todesfolge sowohl was Rechtssprechung als auch die Strafbemessung betrifft – sehr unterschiedlich geführt worden sind.

Winfried R. Garscha befasst sich mit Prozessen wegen Verletzung des Kriegsvölkerrechts, z.B. ein Prozess wegen der Ermordung von rund hundert rumänischen Kriegsgefangenen am 6. April 1945 in Wien. Lediglich drei Wochen später behaupteten die Gründer der Zweiten Republik, Die Reichsregierung hätte "das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs, in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt [...], den kein Österreicher gewollt hat". Immerhin haben doch nicht wenige Österreicher bis zum letzten Moment Verbrechen begangen, doch die Urteile waren mild.

Garscha berichtet auch über den skandalösen Fall von Robert Jan Verbelen, der in Belgien zum Tode verurteilt, im von der SPÖ regierten Wien 1959 eingebürgert und 1965 freigesprochen wurde. Sein Gerichtsakt ging zwar verloren, doch konnte der Autor das Verfahren rekonstruieren. "Die in breiten Kreisen der österreichischen Bevölkerung noch 25 Jahre nach Kriegsende anzutreffende Überzeugung, dass im Kampf gegen Partisanen "alles erlaubt" sei, führte zu einstimmigen Freisprüchen selbst dort, die Angeklagten ihre Taten zugaben." Es gab auch krasse Fehlurteile.

Die Autoren haben als seriöse Historiker ganze Arbeit geleistet. Tatsächlich hat die österreichische Justiz nach 1945 im großen und ganzen sich intensiv mit den Verbrechen der Holocaust-Täter und Kriegsverbrechen auseinandergesetzt, doch das ist nur eine Seite.

Susanne Uslu-Pauer schildert die Verfolgung von Endphaseverbrechen am Beispiel der Todesmärsche. Insgesamt kam es bei den Volksgerichten zu 173 Verurteilungen und 87 Freisprüchen. Hingegen kam es ab 1955 bei den Geschworenengerichten wegen dieser Art der vor dem "Zusammenbruch" begangenen Verbrechen lediglich zu einer Verurteilung und vier Freisprüchen.

Österreicher begingen also noch Verbrechen, als es schon dem Dümmsten klar hätte sein müssen, dass der Krieg "sinn – und aussichtslos" ist.

Martin F. Polaschek und Bernhard Sehl beschreiben die Wirkung des Obersten Gerichtshof, der Urteile der österreichischen Volksgerichte überprüfte, welche in vieler Hinsicht mehr von der öffentlichen Meinung als vom einschlägigen Gesetz geleitet wurden.

Claudia Kuretsidis-Haider vergleicht die Judikatur österreichischer und bundesdeutscher Gerichte. Deutschland kommt besser weg, obwohl auch dort nicht alles optimal ablief. Doch dort änderten die großen Prozesse das Bewusstsein der Bevölkerung, während in Österreich 1976 nach einer Umfrage des SPÖ-nahen IFES-Instituts 83% der Befragten weitere Prozesse wegen Kriegsverbrechen und der Schoa ablehnten.

Die Abschaffung der Volksgerichtsbarkeit im Dezember 1955 bedeutete praktisch das Ende des gesetzgeberischen Engagements gegen die nationalsozialistische Makrokriminalität. Die NS-Amnestie 1957 bewirkte schließlich nicht nur die Einstellung einer ganzen Reihe von noch offenen Verfahren, sondern darüber hinaus die Verstärkung der bereits in den Jahren zuvor feststellbaren Tendenz zur Bagatellisierung der NS-Verbrechen. Noch während die Volksgerichte weiterhin Täter verurteilten, setzten sich Politiker ab Anfang der 1950er Jahre für die Amnestierung verurteilter Mörder ein.

Zusammenfassend kann festgestellt werden: Knapp nach der Befreiung Österreichs durch die Alliierten 1945 bestand in Österreich politischer Wille, die Täter zu bestrafen, doch gab es objektive Ursachen, welche oft genug die Durchführung hinderten, nach 1955 gab es keine objektiven Gründe, die eine konsequente Bestrafung der Täter hätten hindern können, doch es fehlte der politische Wille. Im Buch wird nachgewiesen, dass die Volksgerichte 13.607 Schuldsprüche fällten, darunter 43 Todesurteile und 29 lebenslängliche Freiheitsstrafen. 30 Todesurteile wurden vollstreckt, zwei Verurteilte begingen vor der Vollstreckung Selbstmord.

Die SPÖ-Alleinregierung stoppte überhaupt jede Verfolgung. Dieses wichtige Buch macht klar, weshalb Bruno Kreisky unprovoziert und ohne äußere Not Simon Wiesenthal angriff.

Vielleicht hatten die zügellosen Angriffe des "Sonnenkönigs" gegen Israel, dass er als "semifaschistisch" charakterisierte, gerade mit der Tatsache zu tun, dass Österreich gleichzeitig Mörder mit viel Judenblut an den Händen nicht bestrafte oder frühzeitig amnestierte.

hagalil.com 03-07-06











 

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