Pierre Vidal-Naquet:
Die Schlächter der Erinnerung. Essays über den Revisionismus
Wien: WUV 2002
Euro 22,00
Bestellen? |
Die Schlächter der Erinnerung:
Essays über den Revisionismus
Einleitung von Alice Pechriggl
Pierre Vidal-Naquet ist in erster Linie Historiker der
Antike. Er ist hierin vor allem für seine quellenkritischen und
strukturalanalytischen Zugangsweisen berühmt sowie für die Brisanz der
von ihm aufgegriffenen und neu skizzierten Problemstellungen. Aber er
ist ebenso ein renommierter Zeithistoriker, was vor allem den absurden
disziplinären Festschreibungen der HistorikerInnen auf bestimmte Epochen
zuwiderläuft. Er hat zum Algerienkrieg, zum Pariser Mai 1968 sowie zum
historiographischen Umgang mit dem Nationalsozialismus Bücher
veröffentlicht, die seit Jahrzehnten über die nationalen Grenzen hinweg
als Referenzwerke gelten. Das vorliegende Buch gehört dazu. Während der
Historikerstreit einiger renommierter deutscher Professoren in
Frankreich übersetzt und weiträumig diskutiert wurde, musste
Vidal-Naquets Buch 15 Jahre auf seine Übersetzung ins Deutsche warten.
Dagegen waren Übersetzungen der "Revisionisten" Faurisson und Rassinier
schnell am Markt und erfreuten sich mehrerer Auflagen, was nichts an
ihrer Unvollständigkeit und ihrer schlechten Qualität ändert.
Es war mir eine große Ehre, wenn auch nicht unbedingt
ein Vergnügen, Die Schlächter der Erinnerung zu übersetzen. Ich
sah darin mehr eine interessante aber auch unangenehme Aufgabe denn eine
Berufung. Die Auseinandersetzung mit der Vernichtung der Juden und
anderer durch die deutschen und österreichischen Nazis ist nach wie vor
eine mit dem Grauen, das mich unweigerlich affiziert. Es haftet ihr
etwas Abgründiges an, das psychisch nicht so ohne weiteres zu
verarbeiten ist, zumal in Österreich, wo diese Auseinandersetzung
zwischen Obsession und Verleugnung stattfand und immer noch stattfindet.
Die langfristige professionelle Auseinandersetzung mit dem Thema der
Vernichtung durch das NS-Regime ist befremdlich und zugleich
unumgänglich; wir wundern uns über die Berufswahl, über die
Entscheidung, sich dauerhaft, zuweilen sogar ausschließlich mit einem
derart "ekelerregenden Thema" (P.V.-N.) auseinander zu setzen und wagen
zugleich kaum, an den professionellen Wächtern der Erinnerung zu rühren.
Für viele von uns repräsentieren sie - im Gegensatz zu den "Schlächtern
der Erinnerung" - so etwas wie ein gutes Gewissen im Umgang mit dem
stets oberflächlich wenn überhaupt angetretenen Erbe der NS-Herrschaft.
In einer Aura der Unantastbarkeit nicht zuletzt
angesichts einer stets lauernden Anfeindung ihrer Arbeit seitens jener,
die (seit Jahrzehnten) "endlich" einen Schlussstrich ziehen wollen, wird
sogar die psychoanalytische Kategorie der Abstinenz bemüht, wenn es
darum geht, sich aus den gesellschaftspolitischen Umgangsweisen und
Interpretationen herauszuhalten, die die erfolgte oder noch nicht
erfolgte Erforschung von weiteren wichtigen Dokumenten und Details
hervorruft. (1) Der Umgang ist jedenfalls a
priori problematisch, zumal er auch noch durch die Lasten der
spektakulären Inszenierung beschwert ist, die von Leuten wie Finkelstein
in den öffentlichen Diskurs der (für österreichische Verhältnisse)
gehobeneren Tagespresse gebracht wurden. (2)
Dagegen verwehrt sich Pierre Vidal-Naquet, und so weigerte er sich, das
Vorwort für die französische Ausgabe von Finkelsteins Buch zu schreiben,
obwohl er den Beginn des Erfolges jenes "Revisionismus", den er
bekämpft, mit dem Erfolg des Films Holocaust ansetzt. Er hatte
selbst von einem Holocaust-Spektakel gesprochen und tut es immer noch,
aber unter anderen Voraussetzungen als Finkelstein, der das Spektakel
nur perpetuiert. (3)
Ebenso kritikwürdig bleiben die Umstände für die
Einforderung hybrisverdächtiger Summen, die Anwälte für sich und nicht
so sehr für die wenigen überlebenden Opfer herausschlagen, nachdem die
Regierungen, insbesondere die österreichische, in ihrer
Verzögerungstaktik verharrten. Und doch: ohne diese privaten Klagen wäre
es wohl nie zur Bildung von Fonds und zu Auszahlungen gekommen.
Angesichts der Unverhältnismäßigkeit bleibt also gewiss unendlich vieles
im Argen oder fällt auf die "fruchtbare" antisemitische Bodenlosigkeit
derer, die prinzipiell gegen Restitutionen eingestellt sind (nach dem
Motto "wir haben schon bezahlt").
Doch diese Dilemmata sind nicht durch historiographische
Genauigkeit zurechtzurücken. Es bedarf vielmehr des Mutes einer immer
neu sich reflektierenden ethischen und vor allem politischen
Urteilskraft, wie sie Hannah Arendt zu ihrer Zeit vielleicht am besten
verkörpert hat, und wie Pierre Vidal-Naquet es hier in reflexiv
brillanter, sowie kenntnisreicher Weise versucht hat. Er ist nicht so
sehr ein Wächter der Erinnerung als ein Kämpfer für die wahrhaftigste
Darstellung, die uns begrenzt Erkennenden möglich ist. Die Wahrheit
bleibt auch für ihn ein Grenzbegriff.
Ebenso wie die Frage nach den negativen Auswirkungen
staatlicher Gedenkkultur auf die zweite, aber vor allem auf die dritte
und vierte Generation von Nachkommen muss die Kritik an allen Formen des
"Holocaust-Spektakels" erlaubt bleiben, auch an jener, die sich in der
erhabenen scientific community der HistorikerInnen breit macht; diese
Kritik sollte geradezu kultiviert werden statt in den reißerischen
Diffamierungen Finkelsteins und seiner reaktionären Fürsprecher
hierzulande zu münden.
Etwas anderes ist es allerdings, das Erinnern durch die
Leugnung des zu Erinnernden unmöglich machen zu wollen. Das ist es,
wessen Pierre Vidal-Naquet die "Schlächter der Erinnerung" als
Historiker und als Sohn zweier in Auschwitz ermordeter Juden zuallererst
anklagt.
Imaginäres, Fiktives, Wirkliches und Reales
Die (tiefen)psychologischen Aspekte der Verleugnung
werden von Pierre Vidal-Naquet als der Kern der "Auschwitzlüge" und des
"Revisionismus" erfasst, an den sozial- und kulturwissenschaftlich nur
schwer heranzukommen ist. Am ehesten diskurs-, imaginations- und
repräsentationsanalytisch. Was die Imagination betrifft, so hat Hannah
Arendt auch hier einen Grundstein gelegt: die Unvorstellbarkeit der
Verbrechen steht gerade im Fall der NS-Vernichtungsmaschinerie in keinem
Verhältnis zur Banalität und Normalität ihrer Vollstrecker und deren
akribisch-sauberer Planung, die an zwanghafte bürokratische Rituale
gemahnt. (4) Es ist also irgendwie
nachzuvollziehen (nicht zu entschuldigen, darum geht es hier nicht),
dass jemand sich diesen Wirklichkeiten versperrt, es also nicht glauben
kann bzw. "will" oder in anderer Weise "abschaltet" bzw. verschiebt,
verdichtet etc.
Genau hier setzt Pierre Vidal-Naquet an, indem er die
Sektenstruktur der Revisionisten und ihr psychisch-imaginatives
Funktionieren im Umgang mit dem "Unvorstellbaren" in seine Analyse
einbezieht. Dabei zieht er immer wieder Vergleiche zwischen den
Strukturen derartiger paranoider Sektenwahrheiten bzw. -welten und
Staatsideologien, ob stalinistischer, Hitler'scher oder fiktiver
Orwell'scher Prägung und arbeitet die strukturellen Zusammenhänge ebenso
heraus wie die Unterschiede.
"Die eingebildeten Opfer eines von der jüdischen
Weltverschwörung erfundenen Völkermords", so ließe sich die These von
der so genannten Auschwitzlüge auch resümieren. (5)
Paranoia ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass ein totaler, also
alles umfassender Spaltungsmechanismus die eigenen, ebenso totalen,
Aggressionen nach außen in den allmächtigen Angreifer verlegt, gegen den
nun unablässig an der Aufrechterhaltung des Systems gearbeitet werden
muss; eines Systems, das dazu dient, die Wahrheit seiner Herkunft (der
eigenen und des Systems) zu leugnen, weil sie einer anderen, unbewusst
als vernichtend erlebten Wahrheit Einlass in den psychischen Raum
möglicher Vorstellungen gewähren würde. Die geleugneten Opfer des
Genozids sind nicht selbst das psychisch Unverdaubare; vielmehr bannen
sie, als Geleugnete, etwas viel umfassend Bedrohlicheres in der Psyche
der obsessiven Leugner: das je individuelle totale
Vernichtungsphantasma, das sich der fanatischen "Historiker" des
Revisionismus invasorisch bemächtigen würde, wenn ihr Konstrukt von der
Erfindung zusammenbräche. Die Erfindung der verschwörerischen Erfindung
einer totalen Vernichtung kann strukturell in Analogie gesetzt werden
mit der Verleugnung der Vernichtung: doppelte Negationen in einer
Spirale der Bodenlosigkeit, in der so viel geredet und geforscht wird,
um nicht er-innern zu müssen. Staatlich organisierte Musealisierung und
bürokratische Vernichtungsdokumentation können auch eine Art sein, das
Erinnern aufzuschieben, und auf der "guten" Seite etwas von dem zu
wiederholen, was psychisch (noch?) nicht verdaut werden konnte bzw.
kann. (6)
Wie dem auch sei, die umsichtige Einbeziehung
tiefenpsychischer Strukturen für das bessere historische und
kulturwissenschaftliche Verstehen scheint - allen Widerständen zum Trotz
- immer unumgänglicher; sie dient nicht dazu, etwas Politisches
hinwegzupathologisieren oder die Schriften einer Gruppe "auf die Couch
zu legen", sondern Wege freizulegen für ein besseres Verstehen im
eigenen Umgang mit der Vernichtung, für ein sinnvolleres Engagement, das
weniger vergeblich ist als die unmögliche Widerlegung der absurden
Behauptungen der "Revisionisten".
Auf diesem Gebiet verbindet Pierre Vidal-Naquet wie kein
anderer seine bahnbrechenden methodologischen Reflexionen zum
Spannungsfeld zwischen Mythos und Logos in der Antike mit seinen
quellenkritischen Überlegungen zur Historiographie des Völkermordes an
den Juden im 20. Jahrhundert.
Und als unerbittlicher Kämpfer gegen die "imposture
intellectuelle", die Betrügereien, aber auch die mediale und dünkelhafte
Fahrlässigkeit auf dem Gebiet der Geistes- und Sozialwissenschaften
führt er eine Auseinandersetzung, die ebenso gegen die Mediatokratie
gerichtet ist, diese "Industrie du vide" (Industrie der Leere), wie
Castoriadis schreibt. (7) So polemisierte er
etwa gemeinsam mit diesem und mit Bourdieu gegen Bernard-Henri Levy und
dessen großspurige Verbreitung von Unsinnigkeiten in einem von den
Medien viel gepriesenen Buch. (8) Diese
impostures
waren jedoch, verglichen mit den Aktivitäten der "Revisionisten", die den
Völkermord an den Juden verleugnen, harmlos. Während "B.-H. L." die
Aufdecker seiner Falschheiten als Gedankenpolizei diffamierte, scheinen
die "Revisionisten" und ihre Unterstützer - etwa Noam Chomsky, dem
Pierre Vidal-Naquet ein eigenes kleines Kapitel widmet - sich nicht
unbedingt gröberer Mittel zu bedienen, im Gegenteil. Allein der Inhalt
der "revisionistischen" Thesen ist, so der Autor, mörderisch. Indem sie
den Völkermord an den Juden negieren, die Gräueltaten der Nazis
herabmindern und dissimulieren, trachten sie den Überlebenden und den
Nachfahren zumindest nach der vitalen Erinnerung. Er lässt sie in
Erscheinung treten als Mörder im übertragenen aber keineswegs
unbedeutenden Sinn und bezeichnet Robert Faurisson, den Protagonisten
des französischen Revisionismus, als einen Eichmann auf Papier (de
papier, d. h. auch aus Papier). Denn was Eichmann, der sauberste und
zugleich blutigste Schreibtischmörder der Geschichte, organisiert hat,
war der Ablauf der Deportationen und des Völkermords; was die
revisionistischen Intellektuellen zu vollziehen suchen, indem sie das
Massaker aktivst verleugnen, ist eine zweite Auslöschung: Ausgelöscht
wird mit der Erinnerung das "nie wieder". Damit erfüllen die
systematischen Leugner des Holocaust die von den Nazis selbst begonnene
Auslöschung der Spuren ihrer "übermenschlichen" Unmenschlichkeit. Es ist
eine Auslöschung, die sowohl vom totalen Vernichtungswahn bezogen auf
den Anderen zeugt (auch die Vernichtung soll noch vernichtet werden) als
auch von der Verzweiflung, mit der die Nazis die Implikationen ihres
Tuns minutiös von sich fern zu halten suchten; es ist Zeugnis eines
uneingestandenen Zweifels an der Lückenlosigkeit ihres vernichtenden
Totalitarismus; Zeugnis eines letzten Rests verdrängter Wirklichkeit.
Himmlers Einschätzung ist diesbezüglich nicht oft genug zu wiederholen,
denn sie spricht genau diese absurde Gleichzeitigkeit von politischem
"Realismus" und paranoidem "Irrsinn" oder "Ver-rücktheit" aus:
"Es trat an uns die Frage heran: Wie ist es mit den
Frauen und Kindern? - Ich habe mich entschlossen, auch hier eine ganz
klare Lösung zu finden. Ich hielt mich nämlich nicht für berechtigt, die
Männer auszurotten - sprich umzubringen oder umbringen zu lassen - und
die Rächer in Gestalt der Kinder für unsere Söhne und Enkel groß werden
zu lassen. Es mußte der schwere Entschluß gefaßt werden, dieses Volk
von der Erde verschwinden zu lassen." (9)
Diese Sätze mögen in gewisser Hinsicht an so manche
Episode in der Antike erinnern, etwa an die von Pierre Vidal-Naquet in
einem vergleichenden Kommentar hervorgehobene heimtückische Vernichtung
der Heloten von Sparta (Kap. 5.I). Und doch, hier haben wir es mit einem
anderen Fall der Vernichtung zu tun als dem gleichsam zum Geschichtsmal
geronnenen aus der griechischen Antike; denn es geht hier um ein
Absolutes, das uns als Reales bis heute in den trotz allem noch
menschlichen Knochen sitzt; ein Absolutes, das unser je einzelnes und
gemeinsames Erinnern nach wie vor erschüttert, unsere Psychen und unsere
Kommunikation noch in den tiefsten Schichten schwer belastet. Die
Belastungen sind durchaus unterschiedlicher Ausrichtung, je nachdem, ob
wir nun Blutsverwandte und unmittelbare Nachfahren der Ermordeten und
Überlebenden sind oder von MitläuferInnen, oder von beiden, ob Kinder
oder Enkel von MörderInnen oder KolaborateurInnen, ob Wahlverwandte von
toten oder verfolgten Juden, politischen Gefangenen, Katholiken und
anderen religiös verfolgten, Schwulen, Lesben, "Asozialen" oder von
Sinti und Roma. Die Verleugnung ist nicht nur Produkt der
Unerträglichkeit der Vorstellung vom großen Massaker, sie ist vor allem
die versuchte Verhinderung einer Auseinandersetzung mit den immer wieder
verdrängten Grausamkeiten, die deshalb nicht weniger wirkungsvoll sind -
im Gegenteil.
Das Ausmaß und die Qualität, die eine solche Verleugnung
in den Psychen der Nachfahren, aber zum Teil auch der Nachkommen der
TäterInnen annimmt, wenn sie zur offiziellen Doktrin des Staates wird,
zeigt die Philosophin und Psychoanalytikerin Hélène Piralian auf. In
ihrem auch historiographisch sehr aufschlussreichen Buch über die Folgen
des Völkermords an den ArmenierInnen und seiner offiziellen türkischen
Verleugnung beschreibt sie den Tod durch den Genozid als einen vom
Symbolischen abgekoppelten. (10) Die Toten
werden zu solchen gemacht, die niemals existiert haben, und die deshalb
ständig als verinnerlichte Tote in den Nachfahren lebendig gehalten
werden müssen. Gegen die imaginäre Allmacht der verleugnenden
"Genozidäre" hilft nur die Denkarbeit, die die Toten wieder ins
Symbolische holt, um sie als innere oder in rituellem Gedenken
sakralisierte Tote abzulösen. Denn als solche sind sie nur die imaginäre
Fortführung des Genozids. (11)
In diesem Sinne stellt der "Revisionismus" sowohl ein
strafrechtliches Vergehen dar, als auch eine allmachtsphantastische
Verhinderung der Erinnerung. Zudem ist er ein Vergehen gegen das
Grundphilosophem von Wissenschaftlichkeit überhaupt: das logon didonai,
das Gründe und Rechenschaft geben. Denn ein solcher Diskurs entzieht
diesem Philosophem den Boden; er diffamiert es aus einem zum Teil
ultralibertären Dogma heraus als bürgerliche Farce und zerstört es im so
medial wie (pseudo)wissenschaftlich inszenierten speach act. Die dafür
aufgewandten diskursiven, rhetorischen und propagandistischen Tropen hat
Pierre Vidal-Naquet analysiert und im Spannungsverhältnis zwischen
Epistemologie und Ontologie situiert, das heißt auf ihren Wirklichkeits-
und Wirkungsgrad hin reflektiert. Es ist ein Unterschied, ob jemand aus
einer wissenschaftlichen Haltung heraus Dokumente in Zweifel zieht und
richtig stellt, oder ob die Person ein historisches Phänomen als
kollektive Lüge bezeichnet, das sich in seiner Gesamtheit als Ausrottung
einer Gruppe von Menschen dargestellt und erwiesen hat. Wahr und falsch,
Wahrheit und Lüge sind keine absoluten Attribute, Urteile oder
Kategorien, aber sie sind auch nicht beliebig auswechselbar. Ein
Pseudoskeptizismus, der sie in ihrer Relationalität als ungültige
Konstrukte verabschiedet, muss selbst aufhören, gültige Worte sprechen
zu wollen. Denn die Gültigkeit von Aussagen baut zuallererst auf der
Gültigkeit von wirklich, wahr, falsch und fiktiv auf, und diese entsteht
wiederum erst im empirisch-logischen Zusammenhang von Sein und Erkennen,
von Sein als Geschehenem, Gemachtem, Er- bzw. Vor/gefundenem,
Vorgestelltem und Re/konstruiertem. Wer in seiner Rhetorik aus der
Aufdeckung der Falschheit eines Dokuments, das der Darstellung der
Vernichtung der Juden diente, oder aus der Existenz bestimmter Legenden
schließt, dass es die Vernichtung als solche nicht gegeben hat,
ignoriert oder zerstört diesen Zusammenhang. Das zeigt Pierre
Vidal-Naquet mit diskurskritischer Weitsicht und Genauigkeit.
Im Reich der Transzendenz, ob es sich nun um die
Transzendenz im Negativen oder im Positiven handelt, gibt es keine
Beweisführung, keinen Rechtspositivismus aber auch kein sinnvolles
Argumentieren um die angemessene Abänderung des Rechts angesichts sich
verändernder Verhältnisse. Das Reich der Transzendenz ist, wenn
abgeschlossen und systematisiert, ein absolutes, das nur als Wahn für
uns nachvollziehbar ist. Ob es sich dabei um einen hermetisch-religiösen
Glauben oder um eine private bzw. kollektive Psychose handelt, ist
zweitrangig. Das Problem ist der Verlust des Realitätsbezugs, der eine
neue Welt konstituiert, in der die Grenzen zwischen Illusion und
Wirklichkeit prinzipiell verwischt sind und nichts zur Sache tun. Es
gibt aber auch einen Realitätsverlust bei jenen, die - wie Lyotard - die
philosophische Spekulation in alle Richtungen des Denkbaren mit der
historisch-politischen Argumentation gleichsetzen. In seinem Buch Der
Widerstreit12 lässt er die These der Leugner (Faurisson) neben der These
der Behaupter der Vernichtung (Vidal-Naquet) nebeneinander als
verschiedenen Sprachspielen angehörend stehen. Radikalpositivistisch
zitiert er das zynische Argument, dass diejenigen, welche die Gaskammern
am gewissesten bezeugen könnten, tot sind. Doch er vergisst das
Wichtigste: die Differenzierung der Bereiche, auf die das
sprachanalytische Denken angewandt wird, und letztlich auch die
Abschätzung der Implikationen, die manche Sprach- und Denkverwirrungen
oder -spiele bei unangemessener Anwendung für unser Zusammenleben haben
könnten, kurz: die politischen Implikationen des Denkens.
So formuliert Pierre Vidal-Naquet sehr treffend, dass es
sich bei der "Beweisführung" der "Revisionisten" um einen nicht
ontologischen Beweis handelt, in dem, analog zum ontologischen
Gottesbeweis, die Nichtexistenz im Sinne einer petitio principii schon
im Begriff des Völkermords enthalten ist, wie die Existenz im Begriff
Gottes enthalten sei, woraus zu schließen ist, dass es Gott gibt, bzw.
den Völkermord an den Juden nicht gibt. Dieser Beweis ist durchaus
logisch, wenn die erwähnte Grenze einmal verabschiedet und die
Philosophie zur Magd der Theologie oder, wenn nötig, der Verleugnung des
"Bösen" erklärt wurde. Der eigentliche Sinn solcher Verleugnungen ist
allerdings der: Die Vernichtung der Juden hat es nicht gegeben, weil es
sie nicht geben darf, kann oder weil es sie nicht gibt - eine Tautologie
aus dem Reich der Transzendenz, das uns vor der Idee der Vernichtung,
also vor der Idee des Bösen retten soll, und in dem diejenigen als
verschwörerische Erfinder eines Undings verleumdet werden, die auf der
Existenz und Erinnerung der Vernichtung bestehen. Darauf zu bestehen ist
unsere Aufgabe, nicht zuletzt damit die Vernichtung sich nicht
wiederhole, aber vor allem auch, um jenen irgendwie gerecht zu werden,
die sie unter schwierigsten Umständen überlebt haben. Die Toten werden
davon nicht wieder lebendig, aber irgendwie in die Geschichte
eingeschrieben, leben sie in der Erinnerung weiter.
Zum Schluss möchte ich all jenen danken, die mir bei der
Übersetzung dieses Buches behilflich waren: der Zeithistorikerin Ela
Hornung für die kompetente Lektüre des Manuskripts, Artur Schnarch für
die erhellenden Gespräche, der Lektorin Sabine Kruse, die dieses Buch
bei WUV möglich machte und betreute, dem Historiker Antnon Tantner für
die bibliographischen Recherchen und dem Dokumentationsarchiv des
österreichischen Widerstandes.
Bestellen?
Anmerkungen:
(1) Im Juni 2001 schweigt die Historikerkommission zur
Verwüstung einer Ausstellung über Homosexualität in der NS-Zeit, welche
auf Dokumenten beruht, die in ihrem Auftrag gesichtet wurden, während
die Generalsekretärin des Österreichischen Fonds zur Wiedergutmachung
sich in bündiger Weise zu Wort meldet, ohne damit die wissenschaftliche
Objektivität auch nur annähernd zu verletzen: ein simpler Akt
punktueller Synthese zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen
politisch geistreichem Engagement und historiographischer
Kleinmütigkeit.
(2) Die Holocaust-Industrie. Wie das Leiden der Juden
ausgebeutet wird, München, Piper, 2001.
(3) Dass Finkelstein selbst der Spektakelwelt aufsitzt,
wurde ihm gleich nach Erscheinen seines Buches entgegnet, und lässt sich
unschwer auf seiner Homepage nachvollziehen, die sich wie ein
Werbekatalog ausmacht.
(4) Einer der erstaunlichsten Momente in Lanzmanns Film
Sobibor (2001) war die Schilderung eines erfolgreichen
Aufständischen, der beschreibt, wie die Pünktlichkeit der wenigen
deutschen SS-Angehörigen im Lager diesen zum tödlichen Verhängnis und
den Aufständischen zum Auftakt wurde: Ihr Plan sah vor, alle
SS-Angehörigen zum selben Zeitpunkt in unterschiedliche Werkstätten zu
bestellen. Sie kamen pünktlich zu ihren Terminen bei den diversen
Handwerkern, die mit Hacken auf sie warteten. Wäre auf diese
Pünktlichkeit nicht zu zählen gewesen, wäre der Plan nicht durchführbar
gewesen.
(5) Der Ausdruck "Auschwitzlüge" mag schlecht gewählt
sein, erstens, weil Auschwitz darin zur schlagwortartigen Metonymie der
Vernichtung gerinnt, zweitens, weil dies den historisch falschen
Eindruck vermittelt, dass Auschwitz das einzige oder "reinste"
Vernichtungslager gewesen sei. Er hat sich jedoch als Topos etabliert.
Siehe in jüngerer Zeit für den deutschsprachigen Raum, insbesondere
Deutschland, aber auch international: Thomas Wandres, Die
Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, Berlin, Duncker und Humblot,
2000, eine vergleichende Analyse internationaler strafrechtlicher
Erfassung des Auschwitz-Leugnens mit einem Überblick über deutsche und
internationale Praktiken bzw. Erscheinungsformen des Leugnens.
(6) P. Vidal-Naquet, Les juifs, la mémoire et le
présent, Paris, Seuil, 1991 und 1995.
(7) "L'Industrie du vide" in Le Nouvel Observateur,
9. Juli 1979.
(8) Le Testament de dieu, Paris, Grasset, 1979.
B.-H. L. erwähnt unter anderem eine angebliche Aussage Himmlers bei den
Nürnberger Prozessen (Beginn 20. 11. 1945). Himmler hatte allerdings am
23. Mai 1945 Selbstmord begangen. Siehe Le Nouvel Observateur vom
18. und 25. Juni, sowie 9. Juli 1979, Quaderni di storia,
11/1979, S. 315-330. Siehe auch P. Vidal-Naquet, Mémoires, Band
II, Paris, Seuil/La Découverte, 1998, S. 360f.
(9) Kursiv gesetzte Stelle im Original. Heinrich
Himmler, Geheimreden 1933 bis 1945 und andere Ansprachen, hg. von
B. F. Smith und A. F. Peterson mit einer Einführung von J. C. Fest,
Frankfurt/M., Berlin, Wien, Propyläen, 1974, S. 169.
(10) Am 8. und 9. November 2001 hielt D. Papazziani im
Rahmen eines Symposions zum Thema Völkermord/Genozid einen Vortrag über
den Völkermord der Türken an den Armeniern. Er sprach von
unterschiedlichen Arten der Verleugnung. Diejenige, welche hauptsächlich
von Intellektuellen gewählt würde, sei die, den Völkermord an den
ArmenierInnen als Übertreibung zu sehen und entlarven zu wollen. Sie
entspricht einer Haltung, die sich gegen "jede Form der Extreme" wendet,
a priori, aus Vernunftgründen gewissermaßen. Diese Haltung ist die von
Menschen, die - wie Bachmann es nannte - "auf mittlere Temperaturen
eingestellt" sind. Eingestellt wäre eigentlich zu wenig gesagt, sie sind
fixiert, und zwar so sehr, dass alles, was aus den gemäßigten
Wahrnehmungsmustern ausschert, einfach nicht sein darf. Doch im Fall der
ArmenierInnen geht es zugleich um ein anderes Umfeld. Indem der
türkische Staat bis heute den Völkermord an den ArmenierInnen negiert,
gebietet er das Schweigen darüber per Staatsgewalt; wer davon spricht,
macht sich in den Augen des Staates einer unsäglichen Verleumdung
schuldig. Im Kontext einer zur Staatsdoktrin erhobenen Verleugnung kippt
die Behauptung der Existenz ins ausgeschlossene Extrem. Das heißt nicht,
dass es keine stimmigen Belege gebe, sie werden einfach von Staats wegen
für nichtig erklärt, und die Gesellschaft, auch die Weltgesellschaft,
habe sich an diese Version der Geschichte zu halten: jedem Staat seine
Historiographie…
(11) Génocide et transmission, Paris,
l'Harmattan, 1994. 12 Der Widerstreit, München, Fink, 1987, S. 17, 41,
43, 64.
hagalil.com
02-06-04 |