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Leseprobe

Quelle: Ines Sonder, Gartenstädte für Erez Israel. Zionistische Stadtplanungsvisionen von Theodor Herzl bis Richard Kauffmann
Aus: Kapitel 2: Literarische Projektionen zur Gartenstadt, Abschnitt 6 [gekürzt,
ohne Anmerkungen]

Alex Baerwald:
"Die Nordau-Gartenstadt" (1919) –Visionen eines Architekten

Im Sommer 1920 veröffentlichte das Hauptbüro des JNF eine Broschüre mit dem Titel Eine Gartenstadt für Palästina, die als Werbeschrift für eines der engagiertesten und großangelegtesten Projekte, die von offizieller zionistischer Seite auf dem Gebiet der städtischen Planung für Palästina initiiert wurden, dienen sollte.


Max Nordau mit Tochter Maxa an seinem 70. Geburtstag

Aus Anlass des 70. Geburtstages ihres zionistischen Altmeisters und ersten Herzl-Vertrauten, Max Nordau, plante das Aktionskomitee der Zionistischen Organisation gemeinsam mit dem JNF [Jüdischen Nationalfonds] die Gründung einer Gartenstadt in Palästina, die den Namen des angesehenen Arztes, Kulturkritikers und Schriftstellers tragen sollte. Es war das erste Mal, dass unter dem Auspizium einer Kommission von ausgewählten Fachleuten die Konzipierung einer Gartenstadtanlage unter sozialökonomischen und städtebaulichen Aspekten in Angriff genommen wurde. Obgleich das Projekt aus finanziellen Gründen scheiterte, vermitteln die inhaltlichen Auseinandersetzungen einen interessanten Einblick in die verschiedenen planerischen Intentionen in bezug auf die Gartenstadt und ein urbanes Planungsproblem für Palästina.

Die Idee der Errichtung einer Gartenstadt zu Ehren Max Nordaus war erstmals 1909 aus Anlass seines 60. Geburtstag von Arthur Ruppin und anderen zionistischen Funktionären anvisiert, jedoch nicht in Angriff genommen worden. Zehn Jahre später wurde sie von offizieller Seite mit einer großangelegten Werbekampagne erneut aufgegriffen. Bereits im Vorfeld des Ehrentages, am 29. Juli 1919, hatten das Hauptbüro des JNF in Den Haag im Auftrag des Engeren Aktionskomitees einen weltweiten Appell an alle Gesinnungsgenossen erlassen, der wenig später in der gesamten jüdischen Presse seinen Niederschlag fand. In einem eigens für die Gründung der "Nordau-Gartenstadt" eingerichteten Spendenfonds sollte im Laufe eines Jahres die Summe von 10 Millionen Francs außerhalb des Rahmens der laufenden Sammlungen zusammengetragen werden. Zur Erreichung dieses hochgesteckten Zieles waren die Sammelstellen aller Länder aufgerufen, spezielle Veranstaltungen und Palästinawochen abzuhalten, deren Spendenergebnisse der "Nordau-Gartenstadt" zufließen sollten.

Gleichzeitig plante der JNF die Herausgabe einer Werbeschrift in fünf Sprachen, mit deren Hilfe den Spendern eine Vorstellung vom Wesen und Aufbau einer Gartenstadt in Palästina vermittelt werden sollte. Mit der inhaltlichen und künstlerischen Ausgestaltung der Broschüre wurden fünf prominente zionistische Persönlichkeiten betraut: die Redaktion wurde dem Schriftsteller und erstem Herzl-Biographen Adolf Friedemann übertragen, der Berliner Maler und Radierer Hermann Struck sollte eine Vignette für die "Nordau-Gartenstadt" entwerfen, der Soziologe und Nationalökonom Franz Oppenheimer wurde gebeten, in einem Aufsatz die sozialökonomischen Aspekte einer Gartenstadt zu behandeln, während der Architekt Alex Baerwald die architektonische und bautechnische Seite näher beleuchten sollte. Schließlich oblag es dem englischen Zionisten Israel Cohen, einen Essay über die Prinzipien und Aufgaben des JNF zu verfassen. Abgerundet werden sollte das ganze durch eine Selbstbiographie von Max Nordau.

Als die Broschüre in dieser Zusammenstellung mit dem Titel Eine Gartenstadt für Palästina im darauffolgenden Sommer mit reichlicher Verzögerung erschien – Nordau war bereits in sein 72. Lebensjahr getreten – hatten nicht nur die zermürbenden redaktionellen Probleme die Hoffnung auf eine zügige und erfolgreiche Verwirklichung des Projektes geschmälert, sondern insbesondere ein Blick auf die bis dahin erzielten Spendeneinnahmen. Obgleich gerade in England, wo Nordau sehr große Popularität genoss, die Spendenfreudigkeit anfangs sehr beachtlich war, beliefen sich die Gesamteinnahmen in den ersten beiden Jahren auf lediglich 20.000 Pfund Sterling, das waren ca. 500.000 Francs, also gerade mal der zwanzigste Teil der veranschlagten Summe. Zudem waren auch kritische Stimmen laut geworden. Insbesondere von amerikanischer Seite zeigte man sich gegenüber der Art und Weise der Nordau-Ehrung ablehnend: "[...] we do not like to fill Palestine with memorials. It is already too much.", hieß es in einem Brief an den JNF in Den Haag.

Der umfangreiche Schriftverkehr zwischen den beteiligten Autoren und dem JNF macht ferner deutlich, dass die inhaltliche und künstlerische Ausgestaltung der einzelnen Beiträge nicht in allen Punkten den Erwartungen der Herausgeber entsprach. So polemisierte man gegen die Vignette von Struck, dass sie eher den Namen "das Pionierhaus in der Wildnis" verdiene, denn als Sinnbild für eine moderne Gartenstadt stehe. Auch die Darlegungen von Baerwald und Oppenheimer gerieten ins Kreuzfeuer der Kritik. Im Vorwort der Broschüre werden sie daher auch als "erste Vorschläge" bezeichnet, die bei der späteren praktischen Ausführung noch mancherlei Abänderungen unterliegen würden.

[…]

Der bekannte Berliner Architekt und Schinkelpreisträger Alex Baerwald hatte bereits Anfang August 1919 seine Bereitwilligkeit zur Mitarbeit an der Werbebroschüre erklärt. Seitens des JNF hielt man unter den zionistischen Architekten in erster Linie ihn für prädestiniert, einen Aufsatz über die architektonische und bautechnische Seite einer Gartenstadtanlage in Palästina zu verfassen, da er "die Verhältnisse Palästinas aus eigener Anschauung und wohl auch die Gartenstadt-Bewegung in Deutschland und in anderen Ländern" kenne.


Alexander Baerwald - Selbstporträt

In der Tat hatte sich Baerwald, der gerade den Titel eines Königlichen Regierungsbaumeisters erworben hatte, neben seiner Tätigkeit im preußischen Staatsdienst bereits seit zehn Jahren an verschiedenen Projekten in Palästina beteiligt und sich auch publizistisch zu baulichen Problemen im Lande geäußert. Zu seinen wichtigsten Bauten jener Jahre in Palästina gehören das zwischen 1912 und 1914 errichtete Jüdische Institut für technische Erziehung und das angrenzende Realgymnasium in Haifa, sowie die Wohn- und Wirtschaftsgebäude der Siedlungsgenossenschaft Merchavjah in Emek Jesreel. Baerwald gehörte zur ersten Architektengeneration in Erez Israel, die sich mit den lokalen klimatischen, architektonischen und technischen Verhältnissen des Landes auseinander setzten. Bereits während seiner Berliner Zeit hatten ihn mehrere Studienreisen nach Jerusalem und Haifa, aber auch nach Damaskus und Kairo geführt. Im Ergebnis dieser Reisen entwickelte er seine eigene Architektursprache für Palästina, die er "das Zusammenwirken morgenländischer Bauweise mit den Errungenschaften deutscher Technik" bezeichnete.

Dieses künstlerische Credo spiegelt sich auch in seinem Artikel "Die Nordau-Gartenstadt in architektonischer und bautechnischer Beziehung" für die genannte Werbebroschüre wider. Ergänzend zum Text hatte Baerwald ein "Zukunftsbild der Nordau Gartenstadt aus der Vogelschau" entworfen, die den Lesern eine anschauliche Vorstellung von einer palästinensischen Gartenstadt vermitteln sollte. Für die literarische Darstellung wählte Baerwald die Form eines Einakters mit vier handelnden Personen: eine dreiköpfige jüdische Familie aus Deutschland besucht während ihrer Palästinareise die "Nordau-Gartenstadt", ein städtischer Beamter fungiert als "Stadtbilderklärer". In Dialogform wird dem Leser die gesamte Gartenstadtanlage vorgestellt, wie sie im Frühjahr 1922 aussehen würde. In literarischer Hinsicht stellt Baerwalds Artikel eine interessante Verbindung der Werke Herzls und Howards dar: das Zukunftsbild eines erblühten jüdischen Gemeinwesens, wie es Herzl in Altneuland gezeichnet hatte und die Führung durch eine Gartenstadt, wie sie im ersten Kapitel von Howards Garden Cities of Tomorrow vollzogen wird. Topographisch gesehen war ein flaches Terrain auf der Küstenebene in der Nähe einer Hafenstadt angenommen, das an einer Bahnstation der "Ägypten-Haifa"-Linie gelegen war. Der Höhenzug im Hintergrund der Abbildung sollte das Judäische Bergland darstellen.

Die "Nordau-Gartenstadt" ist als typische Gartenstadt mit angegliederter Industrie konzipiert. Der städtische Kern ist durch einen breiten "Grüngürtel" von dem dahinter liegenden Industrieviertel getrennt. Der Grund und Boden gehören dem JNF, die Siedler erwerben ihre Häuser im Erbbaurecht für 100 Jahre, Spekulation und Bodenwucher sind ausgeschlossen. Ein leitender Gesamtplan garantiert zudem die planmäßige Entwicklung der Stadt. Die eigentliche Stadtanlage ist rhythmisch entlang eines Straßenkreuzes konzipiert. Die Hauptverkehrsader bildet die parallel zum horizontalen Bildrand verlaufende Nordau-Straße, die als Teil einer großen Küstenstraße die Stadt von Norden nach Süden parallel zur Eisenbahn durchschneidet. Sie ist zugleich die Geschäftsstraße von "Nordau". An ihren Enden wird sie von zwei monumentalen Gebäuden begrenzt: dem Ledigenheim und dem Kinderhort. Senkrecht dazu verläuft die Herzl-Straße mit dem hochliegenden Bahnhof – dem Standort des Betrachters – der im Osten mit dem Wasserturm korrespondiert.

Den Mittelpunkt der Stadt bildet eine gewaltige Doppelplatzanlage – der Nordau-Platz – der von der Nordau-Straße in zwei Abschnitte unterteilt wird: einen freien, baumbestandenen Platz und den Synagogenvorplatz. Letzterer wird von zwei einander gegenüberliegenden monumentalen Bauten begrenzt, dem Volkshaus und dem Gesellschaftshaus. Während das Volkshaus mit seinen vielfältigen Gemeinderäumen das administrative Zentrum der "Nordau-Gartenstadt" markiert, bildet das Gesellschaftshaus den geistigen Mittelpunkt. Hier bietet ein großer Saal 500 Personen Platz für Theater- und Konzertveranstaltungen, es gibt verschiedene Ausstellungsräume und eine Gemeindebibliothek. Den architektonischen Höhepunkt von "Nordau" stellt jedoch die Synagoge dar. Als "Krone der Gartenstadt" beherrscht sie das gesamte Stadtbild.

Die Parzellierung der Gartenstadtanlage folgt dem geradlinigen Straßennetz, wobei die Grundstücksgröße mit wachsender Entfernung vom Stadtzentrum zunimmt und sich nach den Bedürfnissen der Bewohner und der Familiengröße richtet. Pro Kopf ist eine Mindestfläche von 80 Quadratmeter Gartenland festgelegt. Außer den städtischen Beamten, den handwerklich und kaufmännisch Tätigen sowie den Industriearbeitern, lebt die Mehrheit der Bewohner von "Nordau" ausschließlich vom Ertrag ihres Gartens. Jede Familie besitzt dabei gerade soviel Gartenland, wie sie bei intensiver Ausnutzung des Bodens, allein, ohne angenommene Hilfskräfte, bearbeiten kann.

Das gesamte Baugewerbe von "Nordau" ist normiert. Es gibt etwa zehn verschiedene Haustypen, die nach Einzel-, Doppel- und Reihenhäusern kategorisiert und entweder ein- oder zweigeschossig sind. Reihenhäuser befinden sich ausschließlich in der Nordau-Straße, da die vorherrschende Ost-West-Windrichtung hier eine gute "Querdurchlüftung" garantiert. Alle Häuser haben begehbare Flachdächer und eine Veranda. Um der "Monotonie des äußeren Eindrucks" zu entgehen, unterscheiden sich die Häuser durch verschiedene Details, z.B. durch andersfarbige Anstriche. Als Baumaterialien dominieren bei den Siedlerhäusern Kalksandstein, bei den öffentlichen Gebäuden Werkstein. Alle Häuser sind an die zentrale Wasserversorgung der Gartenstadt angeschlossen. Anstelle einer Kanalisation gibt es "Torfstreuklosetts", deren Inhalt in Betongruben aufgefangen wird und nachher als natürliches Gartendüngemittel dient.

Das Innere der Siedlerhäuser ist sparsam gehalten. Maßgebend für die Wohnungsgröße ist die Anzahl der Familienmitglieder. Die Wohnfläche einer dreiköpfigen Familie besteht aus einem ca. 15 Quadratmeter großen Wohnzimmer, einem Alkoven als elterlichem Schlafraum und einer kleinen Küche. Im Inneren dominieren Einbaumöbel, die ebenfalls standardisiert sind. Der Fußboden besteht aus "hydraulisch gepreßtem, durch und durch gefärbtem Zement". Tapeten fehlen wegen des starken Nachttaus ganz, die Wände sind mit Gipsplättputz verputzt. Die Zimmerhöhe beträgt mindestens 3, 20 Meter, um in den Räumen eine gute Luftzirkulation durch die oberhalb der Fenster angebrachten Lüftungsluken zu garantieren. Unterhalb der Treppe, die zur Dachterrasse hinaufführt, befindet sich die Dusche.

Im fiktiven Frühjahr 1922 leben in der "Nordau-Gartenstadt" bereits 400 Familien mit rund 2.000 Menschen und 300 alleinstehenden Personen. Monatlich wandern 100 Menschen zu. Dank der Normierung des Baugewerbes kann mit diesem Zuzug Schritt gehalten werden, jeden Monat werden 12 bis 15 neue Häuser fertiggestellt. Welche Größe die Gartenstadt hinsichtlich ihrer Einwohnerzahl einmal haben soll, ob es eine "obere Grenze" wie bei Howard gibt, oder ob dem Zustrom an Menschen freier Lauf gelassen wird, darüber gibt der Text keine Auskunft. In soziodemographischer Hinsicht findet sich in der Immigrantengesellschaft von "Nordau" ein breites soziales Spektrum. Neben Industriearbeitern, Beamten, Lehrern und Kaufleuten ist eine Vielzahl von Handwerksberufen vertreten. Den eigentlichen Landwirt verkörpert hier der Gemüsegroßzüchter, Bauern im herkömmlichen Sinne gibt es nicht.

[…]

Baerwalds Entwurf weist eine Vielzahl von Inspirationsquellen auf und ist einer ganzen Reihe bekannter deutscher Architekten und Gartenstadtverfechter verpflichtet, darunter dem bekannten deutschen Gartenarchitekten Leberecht Migge. Migge war ein frühes Mitglied der DGG [Deutsche Gartenstadtgesellschaft] und hatte in seiner 1918 erschienenen Schrift Jedermann Selbstversorger! die Grundlagen für eine Intensivierung der hausnahen Gärten zusammengetragen. Ähnlich Migge, der seinen Ansatz aus der amtlich geförderten, individuellen Selbsthilfe der Kriegsjahre 1914 bis 1918 zog, entwirft auch Baerwald ein Konzept, in dem landbauliche Produktion auf der Basis intensiven Gartenbaus, anstelle extensiver Landwirtschaft, die Lebensgrundlage der Gartenstadtbewohner bildet. Darüber hinaus sind die Vereinfachung des Hausstandes – Migge hatte das "möbelfreie Haus" gefordert – und das in der "Nordau-Gartenstadt" fest etablierte Migge'sche "Torfstreuklo" deutliche Referenzen an den Gartenbauexperten.

Während Migge im Text namentlich keine Erwähnung findet, nimmt Baerwald direkt Bezug auf den Architekten Hermann Muthesius. Seit 1909 im künstlerischen Beirat der DGG hatte Muthesius für verschiedene deutsche Gartenstädte und Siedlungen Klein- und Typenhäuser entworfen, so 1910 für die erste deutsche Gartenstadt Hellerau. Er gehörte zu den einflussreichsten Architekten innerhalb der Reformdiskussion zur Gartenarchitektur am Beginn des 20. Jahrhunderts und hat auch auf dem Gebiet der Landhausgestaltung vorbildlich gewirkt. Baerwald bezieht sich im Text auf Muthesius, als es um die Wirtschaftlichkeit von Bauweisen geht. Nach dem Ersten Weltkrieg war in Deutschland Sparsamkeit im Bauwesen und insbesondere die sogenannte "Ersatzbauweise" durch Lehmdrahtbauten ein vieldiskutiertes Thema. Muthesius gehörte jedoch zu denjenigen Architekten, die diesen Ersatzbauten weder in wirtschaftlicher, ästhetischer noch komfortabler Hinsicht etwas abgewinnen konnten. Baerwald, der Muthesius' Auffassung teilte, zitierte ihn sogar wörtlich: "Wirtschaftlich ist es heute immer noch das Richtigste, Steinbauten zu errichten, selbst wenn sie wesentlich teurer sein sollten als Baracken, denn sie haben Dauerwert und stellen wohlangelegtes Geld dar." Eingedenk dessen sind in "Nordau" alle Typenhäuser in Massivbauweise errichtet worden, frühere Versuche mit Ersatzbauweise waren aufgegeben worden.

[…]

In ihrer Größe und Ausstattung erinnern Baerwalds Kleinsiedlerhäuser aber auch an die von Alexander Levy und der Palästina-Baugesellschaft propagierten Entwürfe für Typenhäuser nach dem "Erweiterungsprinzip". Baerwald war als Mitglied des Verbandes jüdischer Architekten und Ingenieure und Referent auf der im Mai 1919 abgehaltenen Palästina-Tagung in die von der Baugesellschaft gezeigte kleine Ausstellung involviert. Seine Vorstellungen für ein Reihenhaus veröffentlichte er 1920 in seinem Artikel "Ein Siedlungshaus für Palästina", das als Illustration eines Haustyps der "Nordau-Gartenstadt" angesehen werden kann. Die Ausstellung selbst verarbeitet er zudem literarisch, denn im Gesellschaftshaus von "Nordau" lief gerade eine Musterschau zu Entwürfen für palästinensische Typenhäuser.

Hinsichtlich der Gestaltung der verschiedenen Haustypen, insbesondere was ihre Farbgebung anbelangt, lassen sich Parallelen zu Bruno Taut und der nach seinen Plänen in den Jahren 1913/14 entstandenen Gartenstadt Falkenberg bei Berlin-Grünau ziehen. Die im Volksmund "Kolonie Tuschkasten" genannte Siedlung gilt bis heute als erstes Beispiel gestalterischer Anwendung von Farbe im Massenwohnungsbau. Taut hatte hier als Antwort auf die farbliche Tristesse der steinernen Mietskasernen und dem Grau der bürgerlichen Prachtbauten durch intensive Farben den Typenhäusern Heiterkeit und Individualität verliehen. Im September 1919 war auf seine Initiative in der Bauwelt auch ein "Aufruf zum farbigen Bauen" erschienen, dem sich eine Vielzahl bekannter deutscher Architekten mit ihrer Unterschrift anschloss. Taut selbst veröffentlichte zudem einen Artikel über Farbwirkungen aus seiner Architekturpraxis. Es ist nicht auszuschließen, dass Baerwalds verschiedenfarbige Typenhäuser der "Nordau-Gartenstadt" eine Antwort auf Tauts "farbiges Manifest" waren.

Eine deutliche Referenz an den drei Jahre jüngeren Kollegen ist der aus dem Taut'schen Sprach- und Formenvokabular übernommene Begriff der "Stadtkrone", den dieser mit seinem gleichnamigen Buch von 1919 der Architekturgeschichte als Erbe übergab. Der Gedanke der "Stadtkrone", als Tempel und Sinnbild der Volksgemeinschaft gedacht, der sich baulich über der Stadt erhebt, hat die Architektur- und Stadtphantasien einer ganzen Architektengeneration beeinflusst. So auch Baerwalds. In der "Nordau-Gartenstadt" wird die Stadtkrone durch die Synagoge symbolisiert: "Die Synagoge aber beherrscht das ganze Stadtbild. Wirkt sie nicht geradezu wie die Krone der Gartenstadt?", heißt es im Text. Als Wahrzeichen von "Nordau" und Symbol der jüdischen Volksgemeinschaft verkörpert sie im städtischen Ensemble zusammen mit den sie flankierenden Bauten des Gesellschafts- und Volkshauses zugleich die Trinität der neuen jüdischen Gemeinschaft in Erez Israel – das Land als religiöses, geistiges und administratives Zentrum.

[…]

Das Projekt der "Nordau-Gartenstadt" konnte aus finanzieller Sicht nicht verwirklicht werden. Im Todesjahr Nordaus, Anfang 1923, rief der JNF erneut zu weltweiten Spendensammlungen anlässlich der abzuhaltenden Trauerfeiern zu Ehren des Verstorbenen auf. Dabei wurde auch bemängelt, dass einige Länder mit einer großen jüdischen Bevölkerung und guten Valuta sich bislang nur minimal oder gar nicht an der Sammlung beteiligt hatten. Allein die englischen Juden hätten ihre "Schuld an Nordau einigermaßen abgetragen".

Im Februar 1923 wurde in Tel Aviv ein auf Böden des JNF neugegründetes Stadtviertel zu Ehren Nordaus "Nordijah" benannt. Der JNF gewährte eine Anleihe für den Bau der Hauptstraße, der Wasserleitung und den Häuserbau. Bis zum August waren 170 Häuser errichtet. Ob der JNF hierzu möglicherweise die Spendengelder für die "Nordau-Gartenstadt" verwandte, bzw. wo diese verblieben sind, bleibt ungesichert. […]

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