Krieg im Äther:
Widerstand und Spionage im Zweiten Weltkrieg
Rezension von Karl Pfeifer
Spionagethriller kommen, wenn sie
gut geschrieben sind, auf die Bestsellerlisten und werden manchmal
verfilmt. Wissenschaftler, die ihre Arbeiten gestützt auf Dokumente
verfassten, legen in diesem Sammelband wirklich spannende Arbeiten vor,
die sich zum Teil wie die oben erwähnten Bestseller lesen. Doch es geht
hier nicht nur um interessante Geschichten, sondern auch um einen neuen
Blick auf die Zeitgeschichte, der erst durch den Zusammenbruch des
"realen Sozialismus" und der Öffnung seiner Archive möglich wurde.
Heute scheint uns die Frage, ob es
denn gerechtfertigt war, als Deutscher oder Österreicher mit
ausländischen Mächten zusammenzuarbeiten, um zum Sturz des
Nationalsozialismus einen Beitrag zu leisten, überflüssig. Doch man
überlege sich welche Überwindung es einem monarchistischen oder
konservativen Offizier gekostet haben muss, "gegen sein eigenes Land"
tätig zu werden. Heute zweifelt – außer den Rechtsextremen – niemand
mehr, dass diese Zusammenarbeit nicht nur legitim, sondern in manchen
Fällen auch kriegsverkürzend und so Menschen rettend war.
Aus den Beiträgen wird aber auch klar,
dass nicht nur die Sowjetunion gravierende Fehler beim Einsatz ihrer
Agenten machte, sondern auch die britischen Dienste nicht immer so
brillant gewirkt haben, wie uns das Filme und Bücher weismachen wollen.
Welche Gefahr es für einen aus
Österreich geflüchteten Juden, für einen niederländischen Kaufmann oder
einen desertierten Wehrmachtsangehörigen bedeutete als
Fallschirmspringer in seiner Heimat eingesetzt zu werden, kann man sich
heute schwer vorstellen und doch gab es Antifaschisten und Patrioten die
dazu bereit waren, oft auch ihr Leben dabei verloren.
In diesem Sammelband wird auch das
Wirken der deutschen Nachrichtendienste anhand der neuesten Erkenntnisse
beleuchtet.
Der einleitende Text von Peter
Steinbach (Karlsruhe) setzt sich kritisch mit jenen langlebigen
Tendenzen in der geschichtswissenschaftlichen Forschung auseinander, die
den von außen – d.h. aus dem Exil oder den Alliierten
Kriegsgefangenenlager – geführten Kampf gegen das NS-Regime aus der
Gesamtgeschichte des Widerstandes auszugrenzen versuchten., was häufig
mit massiven politischen Diffamierungen einherging und eine stark
verzerrte, teil von den Feindbildprojektionen des Kalten Krieges
aufgeladene Optik schuf.
Etwas mehr als die Hälfte der Beiträge
beschäftigt sich mit den Aktivitäten der sowjetischen Nachrichtendienste
in verschiedenen europäischen Ländern während der Kriegsjahre.
Besonders spannungsvoll ist der
Beitrag von Peter Huber (Genf), der sich befasst mit der wichtigen
Funktion, welche die Schweiz bereits vor dem Zweiten Weltkrieg im
strategischen Kalkül verschiedener Apparate der Komintern und des NKWD
sowie des GRU (Militäraufklärung) innehatte.
Er schildert den Fall des konservativ
katholischen deutschen Emigranten Rudolf Rössler, der während des
Zweiten Weltkrieges mit dem sowjetischen Geheimdienst zusammenarbeitete
und sein tragisches Schicksal nach dem Zweiten Weltkrieg.
Peter Erler (Berlin) geht den
abenteuerlichen Schicksalen deutscher Kommunisten nach, die in den
dreißiger Jahren und im Zweiten Weltkrieg in China bzw. Persien als
Agenten der sowjetischen Geheimdienste operierten.
Ein zweiter Schwerpunkt des Buches
besteht in der exemplarischen Untersuchung nachrichtendienstlicher
Strukturen des NS-Regimes und der Bekämpfung verschiedener
Widerstandsbewegungen.
Wolfgang Neugebauer (Wien) der einen
Überblick zur Struktur, Tätigkeit und Effizienz des NS-Systems in
Österreich präsentiert wirft ein neues Licht auf manche Probleme der
Zeitgeschichte, zum Beispiel auf die Behauptung, dass angeblich
Österreicher über ihren Prozentsatz im Deutschen Reich bei dem
Massenmord an Juden tätig waren, er erklärt auch warum nach dem
„Anschluss“ es zu solchen judenfeindlichen Ausschreitungen gerade in
Österreich kam.
Die Verflechtung von Spionage- und
Widerstandsaktivitäten in den besetzten Niederlanden analysiert Hans
Schafranek (Wien) in seinem Aufsatz über das sogenannte "Englandspiel",
bei dem es der Abwehr und Sicherheitspolizei Den Haag gelang, mittels
entschlüsselter Funkcodes im Namen gefangener niederländischer Agenten
zwei Jahre hindurch zahlreiche "Funkspiele" mit der SOE (britischer
Geheimdienst) durchzuführen und viele weitere Funk- und
Fallschirmagenten zu ergreifen.
Ich habe diesen Sammelband, an dem 14
Autoren mitgewirkt haben, fasziniert gelesen und kann ihm nur eine
möglichst weite Verbreitung wünschen.
hagalil.com
22-03-04 |