Rechtswissenschaftliches:
Genozid im Völkerrecht
Rezensiert von Nikola Friedrich
Für das "Verbrechen ohne Namen" – wie Winston
Churchill die Vernichtung der Juden während der nationalsozialistischen
Diktatur nannte – prägte der Jurist und Völkerrechtler Raphael Lemkin
1944 die sprachliche Neuschöpfung "genocide". Seit Verabschiedung der
Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes am 9.
Dezember 1948 steht dieser Begriff neben den Kriegsverbrechen und den
Verbrechen gegen die Menschlichkeit für ein völkerrechtliches
Verbrechen.
William A. Schabas, Leiter des Irish Centre for Human
Rights und Inhaber des Lehrstuhls für humanitäres Völkerrecht an der
National University of Ireland in Galway, beschäftigt sich im
vorliegenden Buch ausführlich mit dem Völkermord und der Konvention von
1948. Sein Hauptaugenmerk legt er dabei – unter Rückgriff auf Literatur
und Rechtsprechung – auf die Interpretation der Definition des
Völkermordes sowie auf die Erörterung von Problemen im Zusammenhang mit
Völkermordbeschuldigungen, die sich für die Anklage und die Verteidigung
ergeben.
Schabas folgt in seiner Untersuchung hauptsächlich der
Struktur der Konvention selbst. Die Kapitel 3 – 5 setzen sich mit der
Definition des Völkermordes, wie sie in den Artikeln II und III der
Konvention niedergelegt ist, auseinander. Das dritte Kapitel erörtert
hierbei die durch die Konvention geschützten Gruppen, während die
folgenden zwei Kapitel den objektiven (Kapitel 4) und den subjektiven
Tatbestand (Kapitel 5) des Völkermordes behandeln. Dem fünften Kapitel
schließen sich Ausführungen zu den Formen der Beteiligung am Völkermord
und dem Versuch der Begehung eines Völkermordes an, die in Artikel III
der Konvention geregelt sind (Kapitel 6). Im siebten Kapitel werden
sodann die zulässigen bzw. unzulässigen Verteidigungen dargelegt, die
einer strafrechtlichen Beschuldigung entgegengehalten werden, wie
beispielsweise der unzulässige Einwand der Immunität eines
Staatsoberhauptes oder der nach wie vor umstrittene Einwand des
Befehlsnotstandes.
Die Kapitel 8 – 11 beschäftigen sich mit Fragen jenseits
des materiellen Völkerstrafrechts: die strafrechtliche Verfolgung von
Völkermord vor internationalen und nationalen Gerichten (Kapitel 8), die
Staatenverantwortlichkeit für Völkermord und die Rolle des
Internationalen Gerichtshofs (Kapitel 9), die Verhütung von Völkermord
(Kapitel 10) und vertragsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der
Konvention (Kapitel 11).
Den juristischen Untersuchungen des Völkermordes wurde
ein ausführliches Kapitel über die Ursprünge des strafrechtlichen
Genozidverbotes vorangestellt (Kapitel 1). Neben den ersten Ansätzen
einer strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen für die
begangenen Gräueltaten gegen die armenische Bevölkerung und dem
Nürnberger Prozess befasst sich dieses Kapitel vor allem auch mit den
Ausführungen Raphael Lemkins in dessen Werk Axis Rule in Occupied Europe
von 1944 über den Völkermord und seine mögliche Bestrafung.
Der historische Abriss wird durch die Darstellung der
Ausarbeitungsbemühungen der Konvention und ihre spätere normative
Entwicklung abgerundet (Kapitel 2).
Dem Buch wurden im Anhang die zwei wesentlichen
Textentwürfe zur Völkermordkonvention (namentlich der
Sekretariatsentwurf und der Entwurf des Adhoc-Ausschusses) und die
Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes beigefügt.
Das Hamburger Institut für Sozialforschung hat mit
diesem Buch ein informatives und anspruchsvolles Werk zum Völkermord
publiziert. Da das Statut für den Ständigen Internationalen
Strafgerichtshof vom 17. Juli 1998 die Völkermord-Definition der
Konvention in Artikel 6 fast wortgleich übernommen hat, kann dieses Buch
auch als Kommentar zum Statut herangezogen werden.
hagalil.com
22-08-04 |