Rote Kapellen – Kreisauer Kreise – Schwarze Kapellen:
Neue Sichtweisen auf den Widerstand gegen die NS-Diktatur
Von Max Brym
Karl Heinz Roth und Angelika Ebbinghaus sind die
Herausgeber des Buches "Rote Kapellen – Kreisauer Kreise – Schwarze
Kapellen", das im Hamburger VSA-Verlag erschien. Das Buch will neue
Sichtweisen auf den Widerstand gegen die NS-Diktatur zwischen 1938 und
1945 geben. Dieses Vorhaben ist den Autoren auch weitgehend geglückt.
In dem Buch wird unterschieden zwischen systemimmanenter
und systemfeindlicher Opposition. Für die systemimmanente Opposition
steht signifikant Carl Friedrich Goerdeler. Die systemimmanente
Opposition teilte zwischen 1933 und 1938 im wesentlichen die Politik des
Hitlerregimes. Die "Schwarzen Kapellen" kamen aus der Oberschicht der
Gesellschaft und waren mit der Zerschlagung der Arbeiterbewegung, der
Entrechtung der Juden und der Politik der Hochrüstung einverstanden.
Ganz wesentlich waren viele "Zivilisten" um den preußischen
Finanzminister Popitz und den Reichsbankpräsidenten Schacht an der
finanziellen Vorbereitung des Krieges beteiligt.
Allerdings wollten einige Vertreter aus Armee und
preußischem Junkertum die Risikopolitik Hitlers ab 1938 nicht mittragen.
Sie befürchteten, dass ein übereilter Krieg zu einer für Deutschland
katastrophalen 2-Fronten-Situation führen könnte. Aus diesem Grund trat
Generaloberst Beck von seinem Posten zurück. Der militärische
Geheimdienst unter dem Chef der Abwehr, Admiral Canaris, betrieb
Geheimdiplomatie und suchte eine Verständigung mit den Westmächten. Doch
der Blitzkrieg Hitlers zerschlug alle systemimmanenten Zielsetzungen und
führte die Opposition in tiefe Lethargie.
Der Angriff auf die Sowjetunion, der Vernichtungskrieg
in Rußland, fand bei den meisten "Oppositionellen und späteren
Oppositionellen" begeisterte Zustimmung. Viele Gestalten, die uns in dem
Buch am 20. Juli als "Widerstandskämpfer" begegnen werden, waren tief in
Verbrechen auf russischem Territorium verwickelt. So z.B. der
langjährige Chef des Stabes der Heeresgruppe Mitte, Henning von
Tresckow. Am 20. Juli versuchten auch Massenmörder wie Arthur Nebe (1941
Chef einer Einsatzgruppe zur Judenvernichtung) und der Berliner
Polizeipräsident Graf Helldorff, ihre Schäfchen ins Trockene bringen.
Die Konzeption der Kreise um Goerdeler und Hassell war, am 20. Juli den
2-Fronten-Krieg zu beenden, um im Bündnis mit den Westmächten gemeinsam
gegen die Sowjetunion weiter zu kämpfen. Die Denkschriften dieser Kreise
sind genuin antidemokratische Produkte, in denen auch kein Bruch mit dem
Antisemitismus vorgesehen war. Hierfür liefert das vorliegende Buch
ausgezeichnete Belege und Zitate.
Die Offiziersopposition
Bekanntlich wurde das gescheiterte Attentat auf Hitler
von Claus Schenk von Stauffenberg durchgeführt. Stauffenberg war
Repräsentant der Opposition der "jungen" Generalstabsoffiziere.
Stauffenberg und sein Kreis nahmen im Gegensatz zu den Zivilisten
Goerdeler und Popitz sowie den Feldmarschällen Kluge oder Rommel eine
progressive Entwicklung. Zuerst begrüßte Stauffenberg den Machtantritt
Hitlers und auch den Kriegsbeginn. Nach kurzer Zeit sprach er sich für
eine Ethnisierung des Krieges in Rußland aus, unter dem Motto: "Russen
können nur von Russen geschlagen werden." Ab Ende 1942/43 brach
Stauffenberg mit seinen bisherigen Auffassungen. Er näherte sich mit
seinen Leuten dem "Kreisauer Kreis" Helmuth von Moltkes.
Der Kreis nimmt in dem Buch eine wichtige Rolle ein und
das zu Recht. Der "Kreisauer Kreis" verfocht ein originär demokratisches
Konzept im Widerstand gegen die NS-Diktatur. Er ging von einer
Niederlage Deutschlands im Krieg aus und propagierte eine neue
selbstverwaltete Demokratie im Rahmen einer europäischen Föderation. Von
Moltke arbeitete direkt mit Vertretern italienischer Widerstandsgruppen
sowie mit Vertretern des dänischen Untergrunds zusammen. Dem dänischen
Untergrund übermittelte der "Kreisauer Kreis" das Datum der geplanten
Judendeportation aus Dänemark, woraufhin die meisten dänischen Juden
gerettet werden konnten.
In einem langen Gespräch das Angelika
Ebbinghaus mit der Frau Helmuth Moltkes, Freya von Moltke führte, wird
dieser historische Sachverhalt spannend vor Augen geführt. Der
"Kreisauer Kreis" kooperierte eng mit den Sozialdemokraten Julius Leber,
Adolf Reichwein und Carlo Mierendorf. Die Letzteren brachten
sozialistische Zielstellungen wie die Enteignung der Großindustrie und
der Nazikriegsverbrecherkonzerne in die Programmatik des "Kreisauer
Kreises" ein.
Es begann die Zusammenarbeit zwischen dem
"Kreisauer Kreis" und dem sich 1943 wieder stärker bemerkbar machenden
kommunistischen Arbeiterwiderstand speziell um die Gruppe Saefkow,
Jacob, Bästlein. Stauffenberg betrachtete gegen Ende seines Lebens
Julius Leber als seinen politischen Mentor und begrüßte auch die
Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Karl Heinz Roth stellt fest, dass
die Unentschlossenheit und Zerfahrenheit der "Opposition der
Honorationen" etwas mit der politischen Ausrichtung des aktivistischen
Kreises um Stauffenberg zu tun hatte.
Rote Kapelle
Die 1942 zerschlagene Widerstandgruppe um
Harro Schulze-Boysen war von Anfang an gegen das Naziregime eingestellt.
Die Mitglieder der Gruppe nutzten ihre Stellungen im Militär- und
Wirtschaftsapparat der Nazis zur bewußten Sabotage. So informierte die
"Rote Kapelle" Stalin vor dem beabsichtigten Angriff auf die
Sowjetunion. Die "Rote Kapelle" hatte Mitglieder mit unterschiedlicher
weltanschaulicher Grundhaltung. Unter ihnen gab es Kommunisten,
Pazifisten und Menschen, die von humanen christlichen Werten geprägt
waren. Sie kombinierten verschiedene Formen des Widerstandes, von der
Flugblatt- und Klebezettelaktion bis zu dem, was man Spionage nennt.
Fast sämtliche Mitglieder der "Roten Kapelle" wurden lange vor dem 20.
Juli 1944 hingerichtet. Im Buch wird nochmals rekapituliert, dass die
"Rote Kapelle" bis heute in der BRD als Widerstandsorganisation
offiziell geächtet ist. Sowohl Helmut Kohl wie Rudolf Scharping lehnten
es schriftlich ab, in ihren Reden zum 20. Juli, der "Roten Kapelle" zu
gedenken. Die "Rote Kapelle" ist bis heute eine verfemte Organisation.
Massenwiderstand
Der Historiker Ludwig Eiber aus München geht
in seinem Beitrag auf den Widerstand aus den Reihen der Arbeiter- und
Gewerkschaftsbewegung ein. Dieser existierte nach Eiber von Anfang an,
im Gegensatz zu dem Widerstand aus dem privilegierten sozialen Milieu.
Obwohl nach Eiber der Widerstand von "kleinen Leuten" nicht überschätzt
werden darf, so darf er auch nicht unterschätzt werden. Eiber analysiert
den kommunistischen Widerstand als aktivistischen Widerstand von unten,
der vom NS-Regime zwischen 1936 und 1937 weitgehend zerschlagen werden
konnte.
Eiber beschreibt den sozialdemokratischen
Widerstand als informellen Widerstand, weitestgehend ohne den Anspruch
nach außen tätig zu sein, wodurch viele sozialdemokratische Strukturen
erhalten werden konnten. Auch auf den kirchlichen Widerstand wird
eingegangen, wobei hier wieder das Phänomen zu finden ist, dass nur der
Widerstand aus den unteren Bereichen kirchlicher Funktionsträger eine
gewisse Relevanz hatte. Eiber gedenkt aber auch der
Kriegsdienstverweigerung durch die Zeugen Jehovas und er erinnert an die
Zahl der deutschen Wehrmachtsdeserteure, die bei rund 100.000 liegen
dürfte. Das Reichskriegsgericht sprach allein wegen Fahnenflucht 20.000
Todesurteile aus.
Insgesamt ist das Buch ein lebendiges Stück
deutscher Zeitgeschichte. Das Werk liefert den Beweis, dass trotz einer
großen Zahl von Büchern noch lange nicht alles über den Widerstand gegen
das NS-System in seiner ganzen Widersprüchlichkeit gesagt und
geschrieben wurde.
hagalil.com
03-01-04 |