Erwin Ringel:
Die österreichische Seele.
Zehn Reden über Medizin, Politik, Kunst und Religion
Herausgegeben von Franz Richard Reiter
Unveränderte Neuauflage der Originalausgabe, in die neue Rechtschreibung
übertragen und mit den nach 1984 erschienenen Publikationen ergänzt.
Kremayr & Scheriau/Orac Wien 2005
Euro 19,90
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Erwin Ringel:
Die
österreichische Seele
Rezension von Karl Pfeifer
Der 1994 verstorbene österreichische Psychiater Erwin Ringel
gehörte nicht zu den Leisetretern in diesem Land. Oft und laut erhob er
seine Stimme, wenn er Missstände kritisierte und seine Stimme wurde gehört.
Von der österreichischen Seele sprechen heute viele und wissen nicht, wer
diese Worte berühmt gemacht hat.
In
meiner Erinnerung taucht ein Bild auf. Eine Podiumsdiskussion vor
Auslandsjournalisten in der zweiten Hälfte der 80er Jahre in den Räumen
einer Wiener Bank, ein hoher Staatsbeamter verteidigte nicht gerade kohärent
die "Pflichterfüller" und deren Symbol Bundespräsident Kurt Waldheim. Ringel
qualifizierte diese Stellungnahme als "dumm". Nie zuvor habe ich derartige
Schärfe bei einer solchen Diskussion in Wien erlebt. Erwin Ringel hatte auch
Feinde, aber die meisten Menschen, die ihn kannten liebten ihn und hörten
mit Vergnügen zu, wenn er sprach, denn er war ein begnadeter Redner, der
auch etwas zu sagen hatten.
Sein
Buch "Die österreichische Seele, Zehn Reden über Medizin, Politik, Kunst und
Religion" ist ein Sachbuch, dass auch für den gebildeten Laien verständlich
ist. In diesem Buch finden wir auch bewegende Worte des Christen Ringel über
den Papst Johannes XXIII und den neuen Geist, den dieser versuchte seiner
Kirche nahe zu bringen. Doch Ringel vermerkte auch, dass man dabei sei "sehr
viel von dem, was wir damals gewonnen haben, wieder zu verlieren." Er
beklagte die postkonziliäre Entwicklung: "Wir werden wieder verschlossener,
selbstgefälliger, intoleranter, üben wieder Macht aus, richten wieder."
Erwin
Ringel rief zur Besinnung auf: "Als Christ kann man in dieser Situation
nicht schweigen, ich kann es schon gar nicht. Kurt Tucholsky, sicher
kein Mann, der einer besonderen Sympathie für das Christentum verdächtig
ist, notierte angesichts der Pariser Gedenktafel für Karmeliterinnen, die
während der Französischen Revolution ihrer Idee getreu in den Tod gegangen
sind:
"Welche
ungeheure Kraft könnte von diesem katholischen Christentum ausgehen, wenn es
sich auf die Evangelien besänne.""
Ringels scharfsinnige, präzise und schonungslose Analyse der
österreichischen Befindlichkeit regt zum Nachdenken an.
hagalil.com
15-12-05 |