Hans Rauscher:
Israel, Europa und der neue Antisemitismus.
Ein aktuelles Handbuch
Molden Verlag Wien, 2004
Euro 22,80
Bestellen? |
Aktuelles Handbuch:
Israel, Europa und der neue Antisemitismus
Von Karl Pfeifer
Dem Autor Hans Rauscher ist Mut zu bestätigen, gerade
jetzt ein aktuelles Handbuch zum Thema Antisemitismus zu publizieren. Denn
in der Regel wird auch im Standard, dessen Kommentator der Autor ist,
das Phänomen geleugnet oder heruntergespielt. Rauscher zitiert einen
beliebten Gastkommentator seiner Zeitung, der dies tat und vom international
renommierten Schriftsteller und Journalisten Paul Lendvai eine scharfe
Abfuhr erlitt.
Wie es der Zufall will, musste gerade erst, am 5. November
2004, Standard online bei 12 Meldungen, die sich hauptsächlich mit
der Gesundheitslage von Yasser Arafat befassten, folgende Anmerkung
beifügen:
"Aufgrund der großen Anzahl von antisemitischen und rassistischen Postings
sieht sich derStandard.at/Politik gezwungen, zu diesem Artikel ausnahmsweise
keine Postings zuzulassen."
Das ist leider nicht das erste Mal, dass die online Diskussionen aus diesem
Grund eingestellt werden mussten.
Der Autor beantwortet die Frage "Was uns das angeht?" und
zeigt auf wie sich der neue Antisemitismus 60 Jahre nach Hitler darstellt.
Besonders interessant fand ich die Beschreibung der verschiedenen
Definitionen des Antisemitismus, eines wie der Autor zu recht bemerkt
pseudowissenschaftlichen Begriffes, der vom Antisemiten W. Marr 1879 geprägt
wurde und der sich derart eingebürgert hat, dass er nicht mehr durch andere
Begriffe ersetzt werden kann.
Hans Rauscher kritisiert den main stream Antisemitismus in
Österreich und schildert auch detailliert das Schicksal einer vom "European
Monitoring Centre on Racism and Xenophobia" (EUMC) kommissionierten
Untersuchung über den Antisemitismus in Europa. Rauscher ist absolut
beizupflichten, wenn er zur Lage in Österreich bemerkt, "dass die
Polizeibehörden gerne eindeutig antisemitische oder fremdenfeindliche
Vorfälle als "nicht politisch motiviert" bezeichnen, was ihnen dann
gelegentlich, aber nur sehr gelegentlich vor Gericht widerlegt wird."
Der Verfasser vernachlässigt auch nicht die Rolle der
Rechtsextremisten, die versuchen, "mit der israelischen Besatzungspolitik
die eigenen Belastungen zu relativieren und zu verharmlosen." Jörg Haider
sprach Israel praktisch den Charakter einer Demokratie ab, "und sein
zeitweiliger "intellektueller Guru", der nunmehrige Europaabgeordnete
Andreas Mölzer, ein schlagender Burschenschafter mit Mensurnarben,
verkündete, eines seiner Arbeitsgebiete im Europäischen Parlament werde der
Kampf gegen den "gewalttätigen Zionismus" sein."
Rauscher zitiert den ersten von Werner Bergmann und
Juliane Wetzel erstellten EUMC-Bericht, der erklärt, wieso der
Antisemitismus heute auch aus der Mitte der Gesellschaft kommt: "Die
Tradition der Dämonisierung von Juden aus der Vergangenheit wird nun auf den
Staat Israel übertragen."
Hans Rauscher dokumentiert auch die antisemitische
Schreibweise von Hans Dichands beliebtesten und langdienenden Kommentator
Richard Nimmerrichter alias Staberl und auch dazu gehört heute, wo alle
politischen Parteien um die Gunst dieses einflussreichen Herausgebers der
NKZ buhlen, Mut.
Die Aktivitäten und Stellungnahmen des ehemaligen
Bundesministers Erwin Lanc (SPÖ) und von Fritz Edlinger, voriges Jahr noch
Vertreter der SPÖ bei der Nahostkommission der sozialistischen
Internationale und gleichzeitig Generalsekretär der
österreichisch-arabischen Freundschaftsgesellschaft hätten auch eine
Erwähnung verdient ebenso wie der Wiener Landtagspräsident Johann Hatzl, der
2003 erklärte: "Ich kann mich nicht zur Stunde bei einem israelischen Ball
wohl fühlen, wenn gleichzeitig eine israelische Schandregierung alle
Grundsätze einer zivilisierten Gesellschaft über Bord wirft und einen
gnadenlosen Kampf gegen ein anderes Volk führt. Wer in dieser Form den
Terrorismus bekämpft, macht sich - und das gilt insbesondere für ihren
Ministerpräsidenten (Ariel) Sharon - zum Staatsterroristen."
Ein wenig enttäuschend ist, das Hans Rauscher das modische
Gerede über die zwei Narrative der Geschichte akzeptiert. In Wirklichkeit
geht es darum, dass es auf der einen Seite seriöse Historiker gibt, die mit
den Methoden der Geschichtswissenschaft die Geschichte analysieren und
darstellen und auf der anderen Seite Leute, die primär politische Agitation
hinter der Maske einer "revisionistischen" Geschichtsschreibung, betreiben.
Er berichtet über den politischen Wandel von Benny Morris, vergisst aber
hinzufügen, dass gerade Morris auch schon früher die palästinensische
"Narrative" widerlegte. Tatsache ist, dass die "neuen Historiker" und ihre
palästinensischen Freunde, einseitig nur die Teile in Morris' Werk
wahrnahmen, die sich kritisch mit Israel beschäftigten. Tatsache ist auch,
dass Morris' grundlegendes Buch über die Entstehung des Problems der
palästinensischen Flüchtlinge bereits 1991 – also vor seiner politischen
Wende – vom angesehenen israelischen Verlag Am Oved publiziert wurde. Wenn
Morris eine "stark revidierte[n] Neuauflage" dieses Buches publizierte, dann
nicht weil er seine politische Meinung änderte, sondern weil sein Buch von
seriösen Geschichtswissenschaftlern wie Ephraim Karsh und anderen sachlich
kritisiert wurde.
Ein anderer Fehler, der regelmäßig von den meisten Autoren
begangen wird: Rauscher schreibt, dass 1948 im Dorf Deir Yassin der Irgun
250 Araber massakrierte. Diese Zahl wurde vom Irgun propagiert. In
Wirklichkeit, so fand Sharif Kanaana, von der arabischen Universität
Birzeit, der diese Geschichte erforscht hat, gab es rund einhundert Opfer.
Das soll und kann nicht dieses Verbrechen entschuldigen, das unter den Juden
damals allgemeine Empörung hervorrief.
Hans Rauschers flüssig geschriebenes Handbuch ist für ein
Publikum geschrieben, das rationalen Erklärungen zugänglich ist. Es ist ein
Buch, dass gerade jenen empfohlen werden kann, die immer wieder erklären
"man wird doch Israel kritisieren dürfen" und damit versuchen ihre
antiisraelischen Ressentiments zu legitimieren, denn Rauscher nimmt sich bei
der Kritik an Israel kein Blatt vor dem Mund, zeigt aber auch auf einige
wunde Stellen der österreichischen Gesellschaft, die sich auch 59 Jahre
nachdem die Alliierten dieses Land befreiten, nicht vom Antisemitismus in
Politik und Medien freimachen kann.
hagalil.com
07-11-04 |