Avi Primor:
Terror als Vorwand
Von Max Brym
In zweiter aktualisierter Auflage verlegte der Droste
Verlag im Januar 2004 das Buch von Avi Primor: "Terror als Vorwand". Avi
Primor wurde 1935 in Tel Aviv geboren und studierte Politikwissenschaft.
Im Jahr 1961 trat Primor in den diplomatischen Dienst des Staates Israel
ein und war von 1993 bis 1999 Botschafter in Deutschland. Danach bis
Ende September 2003 Vizepräsident der Universität Tel Aviv und ab
Oktober 2003 Leiter des Instituts für Europastudien an der
IDC-Universität Herzliyya.
Das Buch von Avi Primor ist ein spannendes Stück
Geschichte, von den Wurzeln des jüdischen Volkes bis zur aktuellen
Entwicklung des weltweiten Terrors. Primors Buch ist das Produkt eines
unabhängigen Geistes, der hinter allen Wirrnissen stets eine Hoffnung
lauern sieht. Primor erklärt Vieles ohne zu verklären. Sein Buch
behandelt den fundamentalistischen islamistischen Terror aber auch die
Interessen der USA. Bezogen auf den Konflikt Israel - Palästina versucht
Primor beiden Seiten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Primor und der Irak-Krieg
Den Krieg der USA gegen den Irak beleuchtet Primor sehr
kritisch. Er geht von geostrategischen Interessen der USA und dem
konkreten Bestreben nach dem Besitz von Ölquellen aus. Nach Primor
intervenierte die USA nicht, um ein terroristisch faschistoides Regime
zu stürzen, sondern um ihre Position in der Region zu sichern. Primor
befürchtet, dass die USA mit der Intervention und der Besatzungspolitik
im Irak den islamistischen Terror nicht schwächt, sondern stärkt. Für
Primor hat der individuelle Terror eine lange Geschichte in der
islamischen Welt. Primor beschreibt wie drei von vier Kalifen nach
Mohammed durch Selbstmordattentate umgebracht wurden. Für Primor geht es
auch den heutigen "fanatischen Islamisten" in erster Linie darum, die
"Verräter" am Islam zu liquidieren.
Relativ neu ist nach Primor die Tatsache, dass die jetzigen
Terrornetzwerke bedenkenlos Zivilisten umbringen, um eine Gesellschaft
nach den Prinzipien der absoluten Barbarei zu errichten. Der Kampf gegen
die "Moderne" wird mit modernen Mitteln geführt. Die Führer der
Terrornetzwerke sind vermögende Leute (Bin Laden), ihre Leitungskader
kommen aus dem Mittelstand und die Basis stellen Menschen aus arabischen
Elendsquartieren. Staaten wie Pakistan oder Saudi Arabien unterstützten
und unterstützen islamistische Netzwerke.
Der Kampf gegen den Terror durch die USA kommt Primor sehr
widersprüchlich vor. Bekanntlich gelten Saudi Arabien und Pakistan als
enge Verbündete der USA. Nach Primor war der 11. September 2001 für die
US-Elite ein idealer Vorwand, um die US-Gesellschaft in den Krieg zu
führen. Allerdings verurteilt Primor scharf die faschistoiden Attacken
gegen US-Bürger und weißt jede Art von Verschwörungstheorie zurück.
Dennoch gestattet sich Primor die Freiheit, von eigenen imperialen
Interessen der USA auszugehen, die den Terror als Vorwand benützen, um
Machtpolitik zu betreiben.
Israelis und Palästinenser
Für Primor ist es ein Paradoxon, dass die meisten Israelis
und die meisten Palästinenser nichts von der Geschichte und
Lebensrealität des jeweils anderen wissen oder wissen wollen. Die zweite
Intifada ab Oktober 2000 bezeichnet er als "Unglück für Israelis und
Palästinenser". Neben der endlosen Orgie aus Blut und Gewalt beschreibt
Primor die ökonomischen Auswirkungen des Konfliktes. Er stellt fest,
"dass die meisten Palästinenser von ein bis zwei Dollar im Monat leben".
Konkret benennt Primor, was die israelische Kontrollpolitik im
Westjordanland und die Aufhebung jeglicher Bewegungsfreiheit bedeutet.
Zugleich verschlechtert sich in Israel für die meisten
Menschen rapide der Lebensstandard. Die Entwicklung des
Bruttosozialproduktes zeigt für Israel, dass der Lebensstandard in den
letzten drei Jahren um 6,2% gesunken ist. Von Anfang 2001 bis Ende 2002
stieg die Arbeitslosenzahl von 8,4% auf 10, 4%. Primor schreibt, "das
heißt, 278.000 von insgesamt 2,6 Millionen Arbeitnehmern hatten Ende des
Jahres 2002 keine Anstellung mehr". Unter israelischen Kommentatoren
wird gegenwärtig nur noch darum gestritten, "ob die gegenwärtige Krise
mit der von 1948 oder der wirtschaftlichen Krise von 1952 vergleichbar
ist". Nach Primor hat die Krise externe Ursachen in der globalen
Wirtschaftslage, denn Israel wurde vom Kurssturz des Nasdaq schwer
getroffen, da Israel eine hochentwickelte High-Tech-Industrie besitzt.
Entscheidender ist aber die Tatsache, dass keine
nennenswerten Investitionen in Israel stattfinden, in bestimmten Maße
gibt es sogar eine Kapitalflucht. Das Kapital ist bekanntlich ein
"scheues Reh" und meidet unsichere Plätze. Wird der Logik von Primor
gefolgt, befinden sich immer mehr Kapitalfraktionen sowie die
israelische Arbeiterschaft im objektiven Interessensgegensatz zur
Politik von Ariel Sharon. Aber auch die Masse der Palästinenser kann
sich nicht von der politischen Mafia um Arafat repräsentiert fühlen.
Selbstverständlich sind Gruppen wie die Hamas nur dazu da, Menschen in
Israel zu töten und die Palästinenser in Not, Elend und Verzweiflung zu
stürzen.
Optimist Primor
Es mutet seltsam an, aber Primor ist Optimist, was die
Lösung der Probleme angeht. Er nennt die Genfer Initative von Israelis
und Palästinensern "einen hoffnungsvollen Weg". Bekanntlich haben sich
israelische Politiker, Intellektuelle, aber auch ehemals hochrangige
Vertreter des israelischen Sicherheits- und Millitärapparats, mit
bestimmten Palästinenser auf einen gemeinsamen Fahrplan für den Frieden
verständigt. Kern ist der Gedanke nach gegenseitiger Anerkennung und
Gewaltverzicht im Rahmen einer Zweistaatenregelung.
Primor glaubt letztendlich an die Vernunft auf beiden
Seiten. Als Indiz wertet Primor die Aussage von Ariel Sharon vom Mai
2003 vor der Likud Fraktion: "Was wir betreiben, ist eine Besatzung"
sowie die Aussage von Shimon Peres : "Solange es Besatzung gibt, wird es
Terror geben". "Am Ende wird Israel gezwungen sein, von seiner
Siedlungs- und Besatzungspolitik abzugehen", meint Avi Primor. Nach
Primor wird Sharon daran scheitern, einen lebensunfähigen
Palästinenserstaat nach dem Vorbild der südafrikanischen Homelands zu
installieren. Auf arabisch-palästinensischer Seite wird die Politik des
alles oder nichts überwunden werden, denn das Resultat war immer wieder
nichts. Primor zitiert Aba Eban: "Die Palästinenser haben keine
Möglichkeit ausgelassen, eine Chance zu verspielen". Das ist in der Tat
die Geschichte Arafats und seiner Leute. Bis heute fehlt Arafat der Mut
eines Ben Gurion, der mitten im Krieg 1948 eigene, undisziplinierte,
rechte Haufen um Lechi und Etzel entwaffnete.
Fazit
Avi Primor denkt in dem Buch über die Hintergründe, die
Ängste und die historischen Wurzeln der aktuellen Tragödien nach. Für
ihn gibt es keine einfachen Lösungen. Weder für den weltweiten Terror,
noch für den Konflikt in Israel und Palästina. Dennoch können für ihn
die Probleme gelöst werden, wenn von einem einfachen schwarz-weiß Schema
Abstand genommen wird. Es gibt konkret weder "die Araber" noch "die
Israelis". Auf allen Seiten gibt es reaktionäre und progressive
Menschen. Kritik und Selbstkritik muß zum Lebenselexier jeder
Gesellschaft werden.
Kritik braucht auch der Staat Israel, genauso wie jeder
Mensch die Luft zum Atmen benötigt. Allerdings gilt es die Beweggründe
des Israelkritikers im Ausland oftmals näher unter die Lupe zu nehmen.
In Deutschland ist Israelkritik häufig nur ein Ventil, um die eigene
Vergangenheit zu entsorgen und dem antisemitischen Ressentiment unter
dem Tarnmantel des Antizonismus Erleichterung zu verschaffen. Dem
zuletzt genannten Tatbestand sieht Primor nach dem Geschmack des Autors
dieser Zeilen nur ungenügend ins Auge.
hagalil.com
18-03-04 |