Andreas Pretzel (Hg.),
NS-Opfer unter Vorbehalt. Homosexuelle Männer in Berlin nach 1945
Lit Verlag 2002
Euro 25,90
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Bis heute gibt es offene Rechnungen in
der Geschichte. Zumindest eine von ihnen wurde im Landesarchiv Berlin
vor großem Publikum aufgemacht: Das Schicksal von unter den Nazis
verfolgten Homosexuellen nach 1945.
Historiker gehen von etwa 50.000 homosexuellen NS-Opfern aus. Geschätzt
wird, dass 5.000 davon aus Berlin waren. 1945 erlebten sie die Befreiung
vom Faschismus, nicht aber die Befreiung vom NS-Recht. Ihre Anerkennung
als Opfer und ihre Rehabilitierung haben sie aufgrund der rigiden
Gesetzgebung zu Homosexualität, die in der Bundesrepublik erst 1969
geändert wurde, meist nicht mehr erlebt. Denn bis zu diesem Zeitpunkt
blieb das NS-Sonderstrafrecht gegen Homosexuelle in der BRD erhalten.
Schwule, die unter den Nazis verurteilt wurden, wurden als Kriminelle
behandelt. Auch nach 1945 galten sie als vorbestraft.
Fast 60 Jahre nach Ende des Krieges hat der
Kulturwissenschaftler Andreas Pretzel eine erste wissenschaftliche
Studie vorgelegt, die die meist vergeblichen Bemühungen der Betroffenen
um Tilgung des Unrechts nachzeichnet. "NS-Opfer unter Vorbehalt.
Homosexuelle Männer in Berlin nach 1945" ist der Titel des Buches. Darin
wird nicht verschwiegen, dass im Falle der Homosexuellen die
Bundesrepublik mitunter das Werk der Nazis vollendete.
"Die Hitlerei vernichtet mich erst jetzt." Mit diesen
Worten hat der Jurist Kurt Gudell 1952 seiner Wut, aber auch seiner
Verzweiflung Ausdruck verliehen. Er ist einer von vielen, die dies
erlebten. Jahrelang kämpfte er um die Rückgabe seines ihm 1938
entzogenen Doktortitels. Die Aberkennung kam faktisch einem Berufsverbot
gleich. Auch die Staatsbürgerschaft war ihm entzogen worden. Seine
Wiedereinbürgerung erreichte er im Jahr 1951, die Rückgabe seines
Doktortitels erst 1962. Da war er bereits 64 Jahre alt. Zwei Jahre
später starb er.
Bei der Vorstellung des Buches, einer Veranstaltung
des Landesarchivs Berlins zusammen mit dem Aktionsbündnis
Magnus-Hirschfeld-Stiftung, dem Schwulen Museum und dem Lit-Verlag,
erinnerte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit in seiner
Eröffnungsrede daran, dass Toleranz und Offenheit gegenüber
Homosexuellen in der Gesellschaft auch heute nicht für immer garantiert
seien. |