Wolfgang Form, Oliver Uthe (Hg.):
NS-Justiz in Österreich.
Lage- und Reiseberichte 1938-1945
LIT Verlag 2004
Euro 49,90
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Verfolgerperspektive:
NS-Justiz in Österreich
Rezension von Karl Pfeifer
Der Wiener LIT-Verlag hat Lageberichte aus den
Oberlandesgerichtsbezirken der "Ostmark", der Oberreichsanwaltschaft beim
Volksgerichtshof sowie Reiseberichte und einige andere interessante Texte
über die NS-Justiz in den "Alpen und Donaugauen" veröffentlicht.
Auf 503 Seiten wird die Verfolgerperspektive dokumentiert
und beleuchtet. Auch dieser Band ist ein Ergebnis der längerfristigen
wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Philipps-Universität Marburg
(Institut für Kriminalwissenschaft und für Politikwissenschaft) und dem
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW).
Aus diesen Berichten erfahren wir über den "Bandenkrieg"
in Kärnten und Steiermark, über den Widerstand gegen das NS-Regime, über das
Echo auf den Mord an Geisteskranken, aber auch über die Beziehungen
österreichischer Frauen mit Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern. Da
beanstandet der Oberlandesgerichtspräsident aus Linz Ende 1943: "Durch den
im Gau Oberdonau (Oberösterreich) besonders starken Arbeitseinsatz der
ausländischen Arbeiter macht schon jetzt vielfach eine Rassenmischung
bemerkbar." Ihm missfällt auch, dass "bei der männlichen Jugend das
Autoritätsgefühl stark im Sinken begriffen ist" und er schlägt vor, wie dem
zu begegnen sei, "man müsste auch die Möglichkeit ins Auge fassen, mit
ausreichenden Züchtigungsmitteln einzugreifen".
Die Abschrift eines 1942 gefällten Urteils zeigt wohin der
Rassenwahn führte: "Die Tatsache, dass der Beklagte rein arischer Abstammung
ist, kann dieses Ergebnis [dass er weil er zum Judentum übertrat und eine
Jüdin heiratete zum "Volljuden" erklärt wurde] nicht ausschließen; die
Tatsache rein arischen Blutes schließt ja sogar in der unmittelbaren
Anwendung des Gesetzes nicht aus, dass der Enkel von 4 vollarischen
Großeltern als Jude zu behandeln ist, wenn diese Großeltern der jüdischen
Religionsgemeinschaft beigetreten waren und dass auch dann, wenn weder seine
Eltern noch er selbst jemals der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört
haben."
Anfang 1943 meldet der Oberreichsanwalt beim
Volksgerichtshof, im November 1942 "sind durch die Post bei dem
"Landgericht" und bei dem "Sondergericht" in Wien zwei Durchschläge eines
"offenbar von der KPÖ" herausgegebenes Flugblattes eingegangen, das sich in
gehässigen staatsfeindlichen Äußerungen gegen die "Bluturteile" des
Sondergerichts in Wien wendete. In ihm hiess es, "Die Bluturteile werden
nicht abschreckend, sondern nur lähmend wirken. Die Bestialität des
Naziregimes richtet sich nicht nur gegen das ‚geeinte’ Europa, sondern auch
gegen das eigene Volk".
Im Juni 1944 beschwert sich der Generalstaatsanwalt in Graz: "Es fällt
weiter auf, dass die Wehrmacht sich an der Bandenbekämpfung überhaupt nicht
beteiligt, so auch in Kärnten..."
Gleichzeitig beruhigt der Generalstaatsanwalt beim
Oberlandesgericht in Linz, "das einfältige Gerede, die Ostmark werde seitens
der Feinde des deutschen Volkes einer Sonderbehandlung teilhaftig werden,
wird trotz allen Flugblättern von niemandem mehr geglaubt."
Die Edition wurde im Rahmen des von der VW-Stiftung
geförderten Forschungsprojektes Politische NS-Justiz in Österreich und
Deutschland erarbeitet und ist ein wertvoller Beitrag zur Geschichte
Österreichs in der Zeit zwischen dem "Anschluss" 1938 und der Befreiung im
Frühjahr 1945.
hagalil.com
05-04-05 |