Paul Lendvai:
Reflexionen eines kritischen Europäers
Kremayr & Scheriau/Orac, Wien, 2005
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Paul Lendvai:
Reflexionen eines kritischen Europäers
Rezension von Karl Pfeifer
Paul Lendvai ist einer der bekanntesten
österreichischen Journalisten, Autor einiger Bestseller, hier sei nur an
sein 1972 publiziertes Buch "Antisemitismus ohne Juden" erinnert, mit dem er
die Fratze des Antisemitismus in einigen osteuropäischen Ländern entlarvte.
Das vorliegende Buch ist eine Auswahl seiner Artikel aus
den letzten Jahren. Wie viele "Zugraste" [Zugereiste] ist auch Lendvai ein
österreichischer Patriot, der aber nie kritiklos Lobhudelei betreibt.
Beispielsweise beschreibt er Bundeskanzler Wolfgang Schüssel als den
nervenstärksten politischen Taktiker, den die österreichische Volkspartei je
hervorgebracht hat, und bemerkt: "Ob er sich auch als ein Stratege der
politischen Erneuerung Österreichs erweisen wird, muss freilich noch
dahingestellt bleiben."
Auch dort, wo man nicht ganz einverstanden mit Lendvai
ist, muss man anerkennen, im Gegensatz zu vielen anderen Journalisten,
schreibt er nur über Themen, mit denen er sich gründlich befasst hat.
Seine Artikel über Antisemitismus – Israel – Judentum
zeigen, dass er nicht in die Falle der Bagatellisierung des Antisemitismus
gerät. In seinem Artikel "Jüdisches Komplott" setzt er sich mit jenen
auseinander, die Juden für den Irak-Krieg verantwortlich machen wollen, u.a.
auch mit Rudolf Burger, der von der Macht der "jüdischen Lobby" in den USA
sprach, die "politisch von den moralischen Zinsen des Holocaust-Kapitals
lebt". Seine Voraussage vom 20.3.2003 war leider allzu richtig: "Eine der
weltweit sichtbaren Folgen des Irak-Krieges wird die nachträgliche
politische Rechtfertigung seit langem herrschender antisemitischer Neigungen
sein".
Lendvai beanstandete auch mit Schärfe die "Einäugigkeit
linker Globalisierungskritiker". Auf einen ad personam Angriff von Robert
Misik antwortet er würdevoll: "ich war und bin kein Zionist, sondern ein
humanistischer Internationalist, der aber nicht bereit ist, die
Verniedlichung des Antisemitismus, von rechts oder von links, hinzunehmen
und die Definitionsmacht den Wortführern der Einäugigkeit zu überlassen."
Seinen Artikel "Israel und die Juden" schließt er so: "Die
Grenzlinie zwischen berechtigter Kritik am Staate Israel oder der
israelischen Regierung und bewusstem oder unbewusstem Antisemitismus ist
auch für aufrechte Demokraten sehr schwer zu ziehen. Für die Juden verläuft
sie seit Auschwitz im Geiste, im Herzen, in der Erinnerung, ja im Blut. In
Zeiten des weltweiten Aufstiegs tribalen Hasses braucht man aber weniger
denn je unverbesserliche Kiebitze einer tragischen Entwicklung."
Lendvais Buch beinhaltet außerdem noch folgende Kapitel:
Österreich, Deutschland: Der schwankende Koloss, Europäische Union: Die
verkannte Erfolgsstory, Osteuropa: Länder im Umbruch, Balkan: Das Pulverfass
Europas, Russland: In Putins eisernem Griff, USA: Das Ende der Allmacht, Die
Macht politischer Führung und Medien.
Das 221 Seiten umfassende, schön gestaltete Buch eignet
sich hervorragend als Geschenk für die kommenden jüdischen und christlichen
Feiertage.
hagalil.com
30-09-05 |