Die Lebensgeschichte Ernesto Krochs:
Heimat im Exil - Exil in der Heimat
Von Max Brym
Die Autobiographie des 1917 in Breslau geborenen,
jüdisch linken "Weltbürgers" Ernesto Kroch, neu herausgegeben vom
Assoziation A Verlag, ist ein gelungenes Werk. Krochs Lebensgeschichte
ist durch ein doppeltes Exil geprägt. Als deutsch jüdischer Kommunist
wurde Kroch von den Nazis verfolgt und floh 1938 nach Lateinamerika. Als
1973 in Uruguay eine Militärdiktatur die Macht übernahm, war Kroch
Anfang der achtziger Jahre gezwungen, den umgekehrten Fluchtweg zu
wählen und Asyl in Deutschland zu suchen.
Seit 1985 lebt Ernesto Kroch wieder in Montevideo und
ist als engagierter Linker weiterhin in sozialen Basisorganisationen und
im Umfeld des Linksbündnisses Frente Ampolio aktiv.
Lebendige Geschichte
Ernesto Kroch war in seiner Jugend viel mit den
"Kameraden" des Jugendbundes unterwegs. In der freien Natur, auf großer
Fahrt, versuchte damals in Deutschland die Jugend aus dem Mief und der
Enge der spießigen Verhältnisse herauszukommen. Es gab sozialistische,
katholische, jüdische und nationalistische Verbände in der
Wanderbewegung. So sehr sich die Vereine inhaltlich unterschieden, die
einen suchten nach Gott, die anderen nach Blut und Boden, und wieder
andere nach Naturerlebnis und Solidarität, so sehr waren bestimmte
Formen der Bewegung gleich. Der Rucksack, die Fahne, das Lagerfeuer, das
Abenteuer. Gerne erinnert sich Ernesto Kroch an diese Zeit. Er selbst
gehörte einer deutsch jüdischen Wandergruppe an.
Ab dem Jahr 1932 konnte der jüdische "Jugendbund
Kameradschaft" die politische Enthaltsamkeit nicht mehr
aufrechterhalten. Ein Teil der Mitglieder näherte sich zionistischen
Organisationen an, ein anderer Teil versuchte sich durch besondere
"Deutschtümelei" durchzuschlagen und der dritte Teil orientierte sich an
der sozialistisch-kommunistischen Arbeiterbewegung. Ernesto Kroch
arbeitete in der FDJJ (Freie Deutsch Jüdische Jugend) mit. Die FDJJ war
von Stadt zu Stadt unterschiedlich, entweder mit der SPD, der KPD, der
SAP oder KPO verbunden.
In Breslau war die KPO (Kommunistische Partei
Opposition) die Organisation, die Ernesto und seine Freunde am meisten
anzog. Die KPD-O wandte sich unter Führung des ehemaligen KPD
Vorsitzenden Heinrich Brandler und August Thalheimers gegen den
ultralinken Kurs der KPD ab 1928. Sie lehnte die Politik der SPD
grundsätzlich ab, dennoch schlug sie zur Abwehr des Faschismus eine
taktische Einheitsfront zwischen SPD und KPD vor. Letzteres lehnte
sowohl die SPD, als auch die KPD Führung ab. Hinlänglich bekannt sind
die historischen Folgen der nicht zustande gekommenen Einheitsfront
zwischen KPD und SPD gegen den Nazifaschismus.
In den Memoiren von Kroch wird dargelegt, dass die
organisierte deutsche Arbeiterbewegung durchaus Chancen gehabt hätte,
durch gemeinsame Aktionen den Faschismus zu besiegen. Ernesto Kroch war
ab 1932 Lehrling in einem Metallbetrieb und erinnert sich genau daran,
wie die Arbeiter 1933 auf ein Signal zum Kampf gegen Hitler warteten.
Der ADGB warnte jedoch vor "Abenteuern" und betonte, "dass Hitler legal
zur Macht gekommen sei". Noch im März 1933 erlitt in Gesamtdeutschland
die NSBO anläßlich der Vertrauensleutewahlen in den Betrieben eine
vernichtende Niederlage. Ernesto Kroch will zeigen, dass der Sieg des
Faschismus in Deutschland, vor allem auf das Versagen der Führungen der
Arbeiterbewegung zurückzuführen war.
Auch der sinnvolle Aufruf zum Generalstreik durch die
KPD vom 30. Januar 1933 konnte daran nichts mehr ändern. Die KPD hatte
sich mit ihrer "Sozialfaschismus Theorie" und ihrer linkssektiererischen
Gewerkschaftspolitik (RGO-Aufbau eigener Gewerkschaften) in den
Betrieben isoliert. Ernesto Kroch war bis Ende 1934 im illegalen
antifaschistischen Widerstand für die KPO tätig. Dann wurde er von den
Nazis geschnappt, bis zum Jahr 1937 war Ernesto Kroch zuerst im
Gefängnis und anschließend im KZ- Lichtenberg inhaftiert.
In eine neue Welt
Im Jahr 1937 gelangte Ernesto Kroch über die
Tschechoslowakei nach Jugoslawien. Dort versuchten ihn zionistische
Organisationen für ein Leben in Palästina zu gewinnen. Darauf ließ sich
Ernesto Kroch im Gegensatz zu seinem Bruder und seiner Schwester jedoch
nicht ein. 1938 musste er Jugoslawien aufgrund des Druckes der dortigen
Behörden verlassen. Als noch sehr junger Mensch landete Kroch im selben
Jahr in Uruguay. Kroch fand sich schnell mit dem Leben auf dem neuen
Kontinent zurecht. Ihn faszinierte die Leichtigkeit des Seins in
Montevideo, die völlig anders geartete Mentalität der Arbeiter. Von
Vorteil war dabei seine Jugend, die bekanntlich mit Neugier und Antrieb
verbunden ist. Die älteren Emigranten hingegen hingen mehr am alten
Kontinent, ihren Verlusten und der deprimierenden Lebensbilanz.
Kroch arbeitete bald wieder in einem Metallbetrieb,
organisierte sich in der Gewerkschaft und traf die Emigranten in
"Antifaschistischen Komitees". Mitglied der Kommunistischen Partei wurde
Kroch nicht, deren damaligen Führer Gomez nennt er einen
"Miniaturstalin" und auch gegenüber den gegebenen Verhältnissen in der
Sowjetunion hatte Kroch seine Vorbehalte.
Uruguay
Uruguay galt lange Zeit als die Schweiz Lateinamerikas.
Ein typisches Einwanderungsland mit einem breiten Mittelstand
ermöglichte lange Zeit den "Luxus" der bürgerlichen Demokratie. Dennoch
entwickelte sich das Land ökonomisch sehr einseitig. Wenige
Agrarprodukte und Rohstoffe wurden exportiert, industrielle
Fertigprodukte hingegen importiert. Das Land geriet zunehmend in
Abhängigkeit von den entwickelten kapitalistischen Metropolen,
vermittelt durch die Preisschere zwischen Rohstoffpreisen und den
Preisen für industrielle Fertigprodukte. Das Land sitzt seit den
sechziger Jahren in der Schuldenfalle des IWF. Das ist verbunden mit
sattsam bekannten Privatisierungen und fortgesetzter Abwertung des
Geldes. Die Zeche dafür zahlten hauptsächlich die Arbeiter, aber auch
Teile des Mittelstandes wurden ab den sechziger Jahren in den Ruin
getrieben.
Aus der Intelligenz entwickelten sich in den sechziger
Jahren die Tupamaros, die mittels bewaffneter Aktionen die Verhältnisse
ändern wollten. Kroch weißt darauf hin, dass dies im wesentlichen
kleinbürgerlich verzweifelte Aktionen waren, die scheitern mussten. Die
Arbeiter- und Volksbewegung in Uruguay entwickelte hingegen vielfältige
Aktionen des sozialen und politischen Widerstandes. In den
Volks-Komitees organisierten die Menschen Aktionen gegen Wohnungsnot und
Mietpreiserhöhungen. Mehr Wohnraum und Lohnausgleich wurden in den
sechziger Jahren in Uruguay teils erfolgreich erkämpft. An all den
Aktionen war Ernesto Kroch als führendes Mitglied der
Metallarbeitergewerkschaft und bestimmter Stadtteil-Komitees beteiligt.
Im Jahr 1973 gab es in Uruguay einen Militärputsch,
detailliert beschreibt Kroch die Hintergründe des Putsches und die
Verwicklung der USA in die Angelegenheit. Kroch beschreibt die
Militärjunta zwischen 1973 und 1983 als 'improvisierte' Brutalität.
'Improvisiert' aufgrund der Schlampigkeit der Behörden (der CIA
versuchte den Terror zu systematisieren) und der fehlenden Unterstützung
in der Bevölkerung. Viele konnten vor einer Verhaftung gewarnt werden,
die Solidarität der Arbeiter wurde nicht gebrochen.
Exil in der Heimat
Dennoch musste Ernesto Kroch zu Beginn der achtziger
Jahre aus dem Land flüchten. Er kam als politischer Flüchtling nach
Deutschland. Diese Entscheidung fiel Ernesto Kroch aus zwei Gründen
nicht schwer: 1. Er hatte sich immer eine tiefe Liebe zu Deutschland,
dem Land seiner Jugend bewahrt. 2. Stets unterschied Kroch zwischen den
Nazis und dem deutschen Widerstand. Ihm war bewusst, dass es auch in den
dreißiger und vierziger Jahren nicht nur Naziverbrecher (die seine
Eltern töteten) in Deutschland gegeben hat. Daneben gab es den
kommunistischen und sozialdemokratischen Widerstand, aber auch die Weiße
Rose, die Bekennende Kirche und den Kreis um Graf Stauffenberg.
Kroch hält nichts von der Kollektivschuldthese, im
Gegenteil, er ist der Meinung, dass diese These den wirklichen Nazis am
meisten hilft, "denn wenn alle gleichermaßen Schuld sind, ist am Ende
keiner mehr Schuld". Bis 1985 lebte Ernesto Kroch in Deutschland, die
Solidaritätsarbeit für politische Gefangene in Uruguay war ihm dabei ein
besonderes Anliegen. Im Jahr 1985 kehrte Ernesto Kroch nach Uruguay
zurück.
Ein schreibender Arbeiter
Das Buch von Ernesto Kroch ist eine politische Zeitreise
über zwei Kontinente hinweg und eine Reise in das Innenleben der
klassischen Arbeiterbewegung. Ernesto Kroch ist ein gebildeter jüdischer
Autodiktat. Neben den politischen Erfahrungen des Autors, erfährt der
Leser viel über Privates, dass sehr politisch sein kann. Selbstkritisch
beschreibt der Autor das Scheitern seiner ersten Ehe aufgrund seiner
zeitraubenden politischen Aktivität.
Der Autor akzeptiert und unterstützt das Existenzrecht
Israels. Allerdings meint er, nach einigen Besuchen bei Verwandten in
Israel festgestellt zu haben: "Weite Teile der Gesellschaft sind
nationalistisch, viele in Israel können sich nicht mit dem Elend anderer
identifizieren". Ernesto Kroch ist den Idealen seiner Jugend treu
geblieben, er hält den Untergang dessen, was sich sozialistisch nannte,
nicht für das Ende der Geschichte. Kroch ist davon überzeugt, dass sich
die Menschheit bei Strafe des eigenen Unterganges, den Kapitalismus auf
Dauer nicht leisten können wird.
hagalil.com
01-06-04 |