Jüdischer Friedhof Königstraße:
Ein Archiv aus Stein
Der jüdische Friedhof Königstraße wird
jetzt endlich restauriert und erforscht: Vergangene Woche stellten
Michael Studemund-Halévy und Gaby Zürn eine erste Publikation zur
Geschichte dieser und anderer jüdischer Grabstätten in Hamburg vor
Von Kai-Uwe Scholz
Bilderrätsel, in Stein gehauen. Wo ein Mensch
in einer Löwengrube zu sehen ist, liegt ein Daniel begraben, eine
Harfe deutet auf David, die Himmelsleiter auf einen Jakob hin. Schon
in kunsthistorischer Hinsicht ist der jüdische Friedhof Königstraße
höchst bedeutsam: "Die Einzigartigkeit der jüdisch-portugiesischen
Grabkunst zeigt sich vor allem in der Darstellung von Menschen- und
Tiergestalten unter Verletzung des zweiten Gebots - ,Du sollst dir
kein Bild machen'", sagt Michael Studemund-Halévy, der den Altonaer
Friedhof erforscht hat. Neben den Zeichen des "Memento mori" wie
Sanduhr und Totenschädel sowie der jüdischen Stämme-Symbolik wie den
Händen der Priesterdynastie Cohen, entfaltet sich ein reiches
Bildprogramm figürlicher Szenen, die oft auf den Namen des
Bestatteten hinweisen. Wohl dem, der bibelfest ist.
In Altona, nicht weit von Reeperbahn und Großer
Freiheit, liegt der Friedhof. Auf den Straßen ringsum braust der
Verkehr, auf dem Bolzplatz nebenan tobt das Leben. Mittendrin eine
Oase der Stille - die nur leider nicht betreten werden kann. Aus
Sicherheitsgründen ist der Platz mit einem hohen Metallgitter
umfriedet, wird der Eingang stets verschlossen gehalten.
Mittelfristig könnte sich das jedoch ändern. Damit stünde ein
einzigartiges kulturgeschichtliches Zeugnis wieder offen.
Der älteste jüdische Friedhof Hamburgs wurde 1611
von der sefardischen (portugiesisch-stämmigen) Gemeinde erworben.
Schon bald wurde auch ein Bereich für Bestattungen aschkenasischer
(deutscher und aus Osteuropa kommender) Juden eingerichtet. Während
die Sefarden ihre Toten mit liegenden Grabplatten und Zeltgräbern
ehrten, bevorzugten die Aschkenasim aufrecht stehende Stelen. Bis
1869 belegt, konnte der Friedhof NS-Zeit und Zweiten Weltkrieg
überdauern und stellt mit 6400 Grabmalen ein riesiges "Archiv aus
Stein" dar. Hier liegen unter anderem Angehörige der einflussreichen
Bankiersfamilie Teixeira (die "Fugger Hamburgs"), berühmte Rabbis
wie Jonathan Eibeschütz, Jakob Emden und Jecheskel Katzenellenbogen,
oder auch Samson Heine, der Vater des Dichters. Der Kunsthistoriker
Georg Dehio bezeichnete den Begräbnisplatz als das "wichtigste
Denkmal der Geschichte des Judentums in Norddeutschland".
Aufgrund seiner Bedeutung stellen Behörden und
Sponsoren 1,5 Millionen Euro zur Restaurierung und Erforschung des
Friedhofs zur Verfügung. Koordiniert von der Hamburger Stiftung
Denkmalpflege, sind diese Arbeiten bereits angelaufen; bei der
Unesco wurde der Status "Weltkulturerbe" beantragt. Doch der beste
Schutz ist wohl, den Friedhof der öffentlichen Aufmerksamkeit zu
empfehlen. Wenn die Grabsteine einer kompletten fotografischen
Bestandsaufnahme unterzogen worden sind, sollte man an eine
vorsichtige, zeitlich beschränkte Öffnung denken, sagt
Studemund-Halévy. Ein kleines Gebäude am Eingang könnte
Gärtnerhäuschen, Info- und Kontrollstation zugleich sein. Wichtig
wäre vor allem, einen Dialog zwischen Ort und Besucher herzustellen
- durch Informationstafeln, aber auch durch Veröffentlichungen, die
dem interessierten Laien Aufschluss über Friedhofskultur und
Grabmalkunst geben.
Studemund-Halévy ist mit gutem Beispiel
vorangegangen: Nach der Publikation opulenter Studien hat er mit
Ko-Autorin Gaby Zürn nun das Büchlein Zerstört die Erinnerung
nicht vorgelegt, das kurz und bündig über den "guten Ort" an der
Königstraße und andere jüdische Bestattungsplätze in Hamburg
informiert.
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Wer den Friedhof besuchen
möchte, kann bei der Jüdischen Gemeinde Hamburg anrufen: Tel. 440 94
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hagalil.com
03-12-02 |