Von Ruth Klüger
Erschienen in: Die Welt,
21.05.2005
Das ist ein Buch für Jüdinnen oder Christinnen, für alle Frauen, die
sich im Alten Testament einigermaßen auskennen, und sich noch besser
auskennen möchten. Es ist auch ein Buch für alle, die sich über die
Geschichte und Entwicklung des jüdischen Glaubens in Bezug auf Frauen
eine Vorstellung machen wollen. Pauline Bebe ist selbst Rabbinerin, die
erste in Frankreich.
Natürlich gehört sie einer progressiven Richtung an, denn für die
Orthodoxie ist das Rabbinat nach wie vor kein Frauenberuf. Wie es zu
Rabbinerinnen kam und wie viele es gegeben hat und gibt, kann man unter
der Rubrik "Rabbiner und Rabbinerinnen" nachlesen: ein Eintrag unter den
107 alphabetisch geordneten dieser "Enzyklopädie".
Unterwegs von Abigail bis Zipora
"Isha" ist hebräisch für "Frau". Rabbinerin Bebe erzählt die Geschichte
der wichtigsten Frauen der Bibel und des nachbiblischen jüdischen
Schrifttums. Sie ist eine streitbare Frau, kennt ihre Heldinnen gut und
läßt sich nicht einschüchtern von Gelehrten, die die Rolle dieser
Gestalten der Vergangenheit und der Sage (dazu gehört etwa die legendäre
Lilith, Adams erste Frau) einschränken wollten. Bebe findet wohl alle
Stellen in der Bibel, wo die Matriarchen erwähnt und geehrt werden. Die
anderen Frauen, von A bis Z, von Abigail, einer relativ unabhängigen
Frau im Leben König Davids, bis zu Zippora, Moses' Frau und der einzigen
Frau in der Bibel, die die rituelle Beschneidung an einem Neugeborenen
vollzieht, ergibt sich das bunte Bild eines alten Israel, zu dem die
Frauen als wesentlicher Bestandteil gehörten. Ihre Geschichten werden
hier anders erzählt als wir es gewöhnt sind, weil die dazugehörigen
Männer so weit wie möglich in den Hintergrund rücken.
Auf die Nacherzählung folgt jedesmal ein spannender Kommentar, in dem
es um weibliches Recht und Unrecht geht, um die Stellung der Frau und
häufig um die Mißgunst der späteren Kommentatoren, die diese Frauen
verteufelt haben oder ihnen ihre Eigenständigkeit, sofern es sie gab, zu
nehmen suchten. Es wird eben nicht nur erzählt, sondern es wird auch
Stellung bezogen, und zwar von einer Schriftgelehrten, wie es so schön
heißt, also einer gestandenen Theologin, und so kann man auch recht viel
dabei lernen.
Doppeldeutigkeiten und Widersprüche werden auf ihren Sinn befragt und
Lösungen vorgeschlagen. Zum Beispiel behandelt Bebe im Beitrag über Eva
ausführlich die komplizierte doppelte Schöpfungsgeschichte (in der einen
wurden Mann und Frau gleichzeitig geschaffen) sowie das Problem mit dem
Gebot der Fruchtbarkeit, das ja schon vor dem Sündenfall von Gott
ausgesprochen wurde und bedeutet, daß Sexualität nicht von vornherein
sündig war. Bei der Geschichte von Rebekka, die wir als Betrügerin
kennen, denn sie ermöglichte es ihrem Lieblingssohn Jakob, sich als sein
älterer Zwillingsbruder zu verkleiden, betont Bebe die "Charakterstärke
und Entschlossenheit" der Mutter, die zum gottgewollten Ziel führten.
Sie berichtet, wie verschiedene Ausleger Macht und Weisheit der Königin
von Saba, die des weisen Salomons ebenbürtige Gesprächpartnerin war, oft
verkleinert oder abgestritten haben. Sie sieht in Judith, die übrigens
nicht in den Kanon der jüdischen Bibel gehört, eine Frau, die
"angesichts einer scheinbar aussichtslosen Lage die Hoffnung" nicht
aufgab. Dagegen rügt sie Esther, eine Heldin es konventionellen
Judentums, wegen ihrer Unterwürfigkeit.
Das ist der eine Teil der Enzyklopädie. Der andere hat mit jüdischen
Sitten, Gesetzen und Bräuchen zu tun, unter Titeln wie "Erbrecht",
"Familienplanung", "Heirat", "Scheidung" und "Vergewaltigung". "Der Gott
aller Menschen", meint die Autorin, "kann nicht die Herrschaft der einen
Hälfte der Menschheit über die andere vorgeschrieben haben." Die
Religion soll nicht stillstehen, sondern fortschreiten, und dieses Buch
zeigt ausführlich, was es an progressiven Entwicklungen gegeben hat und
wie es, aus feministischer Sicht und im Sinne der Gleichberechtigung,
weitergehen soll. Die Zielrichtung ist modern, aber der Ausgangspunkt
ist die Tradition.
In der orthodoxen jüdischen Gesetzgebung wurden Frauen oft auf dieselbe
Stufe wie Sklaven und Minderjährige gestellt, nur in Ausnahmefällen als
Zeugen zugelassen und galten für öffentliche Kultusveranstaltungen als
unbrauchbar. Dieselben Gesetze geben Frauen aber auch einen gewissen
gesetzlichen Schutz. Bebe weist auf das Streben nach Gerechtigkeit in
diesen Traditionen, die dann von den reformierten Gemeinden fortgesetzt
wurden und werden. Sie berichtet mit Genugtuung, was sich in unserer
Zeit zugunsten der Frauen in den konservativen und liberalen (also nicht
orthodoxen) Synagogen geändert hat.
Für einen geschlechtsneutralen Monotheismus Es sind gerade die
dezidierten Ansichten der Autorin, die das Buch, trotz der willkürlich
anmutenden alphabetischen Anordnung, aus der Kategorie eines neutralen
Katalogs oder eines Nachschlagewerks herausheben und das Lesevergnügen
fördern. Es läßt sich gut darin schmökern, denn Bebe zählt nicht nur
auf, was ist, sondern vertritt eine Meinung, wie es sein sollte.
Die jüdische Religion sei wie andere monotheistische Religionen
männlich ausgerichtet, während es im Polytheismus Göttinnen, daher auch
Priesterinnen, gab. Auf dem Weg zum alleinigen Gott ging also etwas
verloren. Und so wäre es die Aufgabe des modernen Judentums "einen
Monotheismus zu erschaffen, der weder männlich noch weiblich ist, in dem
sich Männer und Frauen gleichermaßen erkennen und anerkennen und an dem
sie auf gleiche Weise teilhaben können". Ob solche Reformen sich auf
breiter Basis durchsetzen, mag man, angesichts der anhaltenden
Machtposition der Orthodoxie, besonders in Israel, bezweifeln.
Inzwischen hat uns die Rabbinerin Bebe ein schönes und anregendes Buch
auf den Weg in die Zukunft mitgegeben.