Rezension von Karl Pfeifer
Halil Ibrahim Hammad (HIH), kam 1951 als junger Medizinstudent nach
Österreich und hoffte hier sein Studium zu beenden. Die Grazer Ärztin
Gabriele H. Baumann hat die nicht alltägliche Geschichte dieses
arabischen Palästinensers veröffentlicht.
In der Regel lesen wir nur von denen, die es geschafft haben
erfolgreich zu sein, dieses Buch aber beschreibt das Scheitern eines
Menschen. Kurz vor seinem Tod erklärte Hammad: "Jetzt, wo ich fast am
Ende meines Lebens meine Heimat Palästina auch in meinem Herzen
aufgegeben habe und in aller Form Österreicher geworden bin, habe ich
das verzweifelte Verlangen, ganz mit meiner Vergangenheit zu brechen.
Gestern bin ich in aller Form und im kleinen Kreis von ein paar Freunden
zum katholischen Glauben übergetreten." 2000 starb Halil Ibrahim Hammad
und die Stadt Graz bezahlte ein Armenbegräbnis.
HIH studierte Medizin an der Amerikanischen Universität in Beirut, doch
mehr als die Medizin interessierte ihn die Politik. Als Mitglied einer
linken, der Libanesischen Kommunistischen Partei nahestehenden
Studentengruppe, erhielt er den dringenden Rat sein Studium anderswo
fortzusetzen. HIH war 26 Jahre alt als er 1951 in Wien ankam. Hier
erwartete ihn ein Kulturschock. Noch pflegte er den Umgang mit
arabischen kommunistischen Studenten. Doch als er erfuhr, dass einige
von diesen ihre Vermieter in der sowjetischen Zone erpressten und er von
einem "Genossen" eine Warnung erhielt, da wechselte er im Winter 1953
lieber nach Graz, in die britische Zone.
Das Medizinstudium machte auch hier nur zähe Fortschritte, denn er
interessierte sich immer noch eher für Politik, obwohl er nach der
Erfahrung in Beirut sich nicht mehr damit befassen wollte. Er wurde zum
Präsidenten des arabischen Studentenvereins in Graz gewählt: "Meine
Landsleute, die so wie ich in dieser Stadt wohnten, machten mich zu
ihrem Anführer, und ich übersah dabei, dass meine Ideen mit ihren
Vorstellungen nichts zu tun hatten." HIH schildert unvoreingenommen
seine österreichische Umgebung, die sich so sehr von der traditionellen
arabischen unterscheidet. Er schont sich nicht und macht für sein
Scheitern nicht "die Gesellschaft", "Österreich" oder gar "die Juden"
verantwortlichen.
Seine Familie in Ramallah erwartet, dass er als erfolgreicher Arzt
zurückkehrt, doch es gelingt ihm nicht dieser Anforderung gerecht zu
werden. Schritt für Schritt beschreibt er sein Versagen. Bevor er 1966
seine letzte Reise in den von Jordanien besetzten Teil Palästinas
unternahm - so erzählt es HIH erhielt er das Angebot der PLO ihr
"Finanzminister" zu werden, doch er lehnt ab. Er begeistert sich im
Gegensatz zu den meisten Arabern nicht für den ägyptischen Diktator, für
Gamal Abd an Nasir. "Auf meiner letzten Reise in den Nahen Osten traf
ich viele, deren Gedanken, um ihren Bauch kreisten, die fett und geplagt
von Selbstmitleid auf ihren Teppichen und Pölstern lagen, und sich
trotzdem für tapfere, unbezwingbare Krieger hielten, Flüche gegen Israel
ausspuckten, drohten, die Juden aus Palästina zu vertreiben, selbst aber
kaum vom Tisch zum Bett gehen konnten." Solche scharfe Kritik hört man
selten aus arabischem Mund.
Sehr lebhaft geht es im ersten Teil des Buches zu, wo er mit der
abenteuerlichen Geschichte seiner Familie beginnt. Se non è vero, è ben
trovato. Wenn es nicht wahr ist, so ist es doch gut erfunden. Kann man
es HIH verdenken, wenn er seine Jugend in idyllischen Farben zeichnet?
Genau beschreibt er das Internat der Franziskaner in Jerusalem, "Terra
sancta", in der King George Straße, wo "es keine Bastonade" gab, "wie
sie in den arabischen Schulen gang und gäbe war." Vielleicht waren es
auch diese Jugenderinnerungen, die ihn, einen Moslem kurz vor seinem Tod
dazu bewegten, zum Katholizismus zu konvertieren. HIH besuchte zuvor
eine Koranschule, in der keine Fehler gemacht werden durften, "sonst
wurden uns die richtigen Wort mit der Falaqa, der Bastonade, in das
Gehirn geprügelt. Zwei Jahre lernte ich auf diese Art den Koran, Silbe
für Silbe, Wort für Wort."
Er schildert die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Arabern und
Juden, zum Beispiel wie er aus einem Hinterhalt auf jüdische
Dorfbewohner schoß und wie entsetzt die teilnehmenden jordanischen
Beduinen waren, als sie merkten, dass sie auf Frauen geschossen hatten.
"Beduinen töten keine Frau! Das ist ein ungeschriebenes Gesetz! Sie
würden ihre Ehre verlieren, ein Tabu verletzen! Wir anderen besitzen
diese Hemmung nicht. Wir töten auch die vierte Frau. Sie konnte nicht
entkommen."
HIH schildert die blutigen Kämpfe am "7 März 1948" [in der Zeittafel
ist das Datum richtig mit 7. April angegeben] um Al-Qastal westlich von
Jerusalem, wo der Anführer Abd-al-Qadir al-Hussayni, der Cousin des
berüchtigten Nazikollaborateurs Hadj Amin al-Hussayni, fiel. Bei diesen
Kämpfen wurden viele Araber verletzt und HIH fragt, wie es denen erging,
"die keine Verwandten hatten, niemanden, der sich um sie kümmerte? Und
er erzählt von einem Bekannten, der von einer Kugel getroffen wurde.
"Der arabische Arzt, Sohn einer der bekanntesten Familien in Tiberias,
weigerte sich, ihn zu behandeln. Er sagte: >>Wer bezahlt mich, wenn ich
ihn behandle?<< Ich bin mir sicher, Doktor Jussimov oder Doktor Steiner,
die beiden jüdischen Ärzte hätten sich" um seinen Bekannten gekümmert,
"aber die durften wir nicht fragen."
Das vorliegende Buch erhebt nicht den Anspruch der Objektivität,
trotzdem werden es hier einige so lesen, als ob alles, was Hammad
schildert, sich auch genau so ereignet hätte.
Zum Beispiel der neunte April 1948: "An diesem Tag ging ein Aufschrei
durch Jerusalem und alle Einwohner dieser Stadt strömten zu der Mauer.
Auch ich stand auf diesem Wall und musste sehen, was ich lieber nicht
gesehen hätte. Auf der Ladefläche jüdischer Lastwagen wurden junge
palästinensische Mädchen nackt vor den Mauern von Jerusalem hin- und
hergefahren." Hier setzt er das Gegenstück zu der beduinischen Ehre, die
es verbietet auf Frauen zu schießen und unterstellt Juden sich nicht mit
dem Massaker in Deir Yassin begnügt, sondern auch noch die Überlebenden
entwürdigt zu haben.
Ich habe die zu den "Neuen Historikern" zählenden israelischen
Historiker Avi Shlaim und Prof. Benny Morris, der eines der
gründlichsten Bücher über das Entstehen des palästinensischen
Flüchtlingsproblems 1947-49 schrieb, dazu befragt. Shlaim wußte nichts
von "nackten Mädchen" und Morris antwortete: "diese Geschichte ist eine
reine Erfindung."
Auch Sharif Kanaana, von der arabischen Universität Birzeit, der im
April 1998 einen Vortrag hielt, in dem er den letzten Stand der
Forschung schilderte, hat keine "nackten Mädchen" festgestellt. Im
Gegensatz zu der Behauptung von Hammad, der von 254 Opfern in Deir
Yassin sprach, meint dieser arabische Forscher (und die beiden Israelis)
es handelt sich um rund einhundert Opfer. Das soll und kann nicht dieses
Verbrechen entschuldigen, das unter den Juden allgemeine Empörung
hervorrief.
Der Rezensent hofft mit Gabriele H. Baumann, dieses Buch könnte "einen
Beitrag dazu leisten, die Menschen im "Heiligen Land" ein bisschen
besser zu verstehen. Denn eines verbindet diese Menschen über alle
Grenzen hinweg: Der Wunsch nach Heimat, wo sie in Frieden ein
menschenwürdiges Leben führen können, und die Angst, diese zu
verlieren."